Predigt zum 5. Sonntag im Lesejahr A 1993 (Lesungen vom Tag)
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6. Februar 1993 - St. Alfons Aachen
1.
- Die beiden Lesungen des heutigen Sonntag stehen in einer eigentümlichen Spannung, vielleicht sogar in einem
Widerspruch zueinander. Das macht deutlich, dass die Heilige Schrift nie fundamentalistisch so gelesen werden darf, dass
man einen Teil herausgreift, aus sich interpretiert und verabsolutiert. Vielmehr muss jeder Teil aus dem Ganzen und aus
der Entwicklung des Ganzen heraus gelesen werden. Denn die Heilige Schrift ist das Buch vom Werden der Offenbarung
Gottes.
- Die erste Lesung aus dem Buch Jesaja ist eine Predigt des Propheten, in der dieser auffordert zur Gerechtigkeit. Dabei
wird das Buch Jesaja sehr konkret: Hungrige speisen, Nackte bekleiden. Dann, und nur dann scheint etwas von Gottes
Herrlichkeit unter den Menschen auf: Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach.
Jesaja meint, so liest es sich, dass Gottes Nähe von unserem Tun und unserer Gerechtigkeit abhängig sei.
- Ganz anders liest sich der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief. Nicht durch das gerechte Tun, sondern in der Schwäche
des Verkündigers liegt die Chance für Gott, selbst zur Sprache zu kommen: Paulus sagt daher von sich: Ich kam in
Schwäche zu Euch, damit der Glaube sich nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes kraftvolles Wort stützt.
2.
- Die Spannung zwischen den beiden Texten ist nicht zufällig. Die beiden Aussagen stammen aus verschiedenen Etappen
der Offenbarung. Im ersten Fall spricht ein Prophet zu dem Volk Gottes, dass durch permanente Ungerechtigkeit die
Erfahrung der Nähe Gottes verloren hat. Der König und die Herrschaftsschicht sind die Verantwortlichen dafür, dass von
den Geboten Gottes so wenig Realität geworden ist. Paulus hingegen schreibt an die kleine Gemeinde in der großen
Hafenstadt Korinth, die im Überschwang des eigenen Erwählungsbewusstseins vergessen zu haben scheint, dass Gott
derjenige ist, der allein Leben schenkt.
Die Spannung zwischen des Lesungen ist die unaufhebbare Spannung, in der sich jeder Christ wiederfindet: Kommt es
darauf an, selbst etwas zu tun, aktiv zu werden und die Dinge in die Hand zu nehmen oder ist es nicht vielmehr wichtiger,
ganz Gott zu vertrauen? Anders gefragt: Wovon hängt "das Heil der Welt" letztlich ab?
- Es hilft dazu, das Evangelium zu Rate zu ziehen; an diesem und am vergangenen Sonntag haben wir den Beginn der
Bergpredigt gehört. Da sind zunächst die Seligpreisungen, die diejenigen preisen, die als arm und hungrig gelten. Die
Seligpreisungen gipfeln darin, dass Jesus die Jünger auffordert, sich zu freuen, wenn sie verfolgt und verleumdet werden.
Die Welt, so macht Jesus den Jüngern deutlich, speit euch aus. Ihr seid der lebende Widerspruch zu ihrer
Gesetzmäßigkeit.
- Dann aber bricht - im heutigen Evangelium - die Predigt Jesu um. Ihr seid das Licht der Welt: Ihr seid ganz und gar
unentbehrlich. Wenn Ihr versagt, "schal geworden seid", dann fehlt dieser Welt Licht und Salz. Eben dieselben Jünger,
die verfolgt und verachtet werden, sind für eben diese Welt unentbehrlich.
Das aber bedeutet doch: Dieses Salz und Licht sind wir nicht für uns selbst. Nicht aufgrund unseres leuchtenden Lebens
sind wir unentbehrlich. Vielmehr, wenn wir durch unser ganzes Leben verkünden, dass es Anderes und Größeres gibt als
unsere Leistung, sind wir Licht.
3.
- Soweit die Theologie. Wie lässt sich das ins Leben übersetzen? Auch hier würde ich sagen: je nach Lebenssituation
verschieden. Wo ich Verantwortung für soziale Strukturen habe, wo ich mich in Situationen finde, in denen Gerechtigkeit
gefordert ist, sieht es anders aus, also dort, wo ich in der Versuchung bin, mich mit meinem Glauben an Gott groß zu tun.
- Wer der selbst mehr der "aktive Typ" ist, wer mitten in Verantwortung und Berufsleben steht ist aufgefordert, alle Kräfte
einzusetzen - und durch die ganze Weise, in der er hören, lernen, zurückstehen kann daraus leben, dass Gott es ist, der
alles bewirkt.
Wer hingegen durch Alter und Krankheit zum Nichts-Tun verdammt ist, an Einsamkeit und Leere leidet, soll seine ganze
Liebe und Sorgfalt in das legen, was ihm oder ihr geblieben ist. Die Versuchung, sich über die "Jugend von heute" und
die Gegenwart zu erheben, ist hier vielleicht die Situation, in die hinein Paulus seinen Korintherbrief schreibt.
- Für alle Christen aber gilt: Ob ich gefordert bin, mich einzusetzen, oder ob ich gefordert bin, meine Schwachheit
anzuerkennen, immer dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott es ist, der den Weg mit uns geht. Amen.