Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 7. Sonntag im Lesejahr C 2022

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20. Februar 2022 - St. Peter, Sinzig

 

1. Wem gelten die Seligpreisungen?

  • Wir hatten in der Gemeinde in Hamburg eine ziemlich fitte Gruppe von Jugendlichen. Ich hatte den Eindruck, dass sie gut sind, wie sie miteinander umgehen und wie sie die einzelnen dabei mitnehmen. Und sie haben sich auch gut für die Gemeinde engagiert.
    Es war einer dabei, der körperlich sicher zu den kleineren und schwächeren gehörte, der aber eine besondere Rolle gespielt hat. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, aber er war gut darin, andere zu manipulieren. Die anderen waren größer gewachsen. Doch der Kleine wusste immer genau, auf welchen Knopf er drücken muss, damit die Großen reagieren. Leider war das meistens der Knopf, bei dem er die Großem dazu brachte, aus der Haut zu fahren. Und das ist doch schon erstaunlich.
  • Wahrscheinlich gibt es diesen Knopf oder solche Knöpfe bei den meisten von uns. So sehr wir meinen, selbstbestimmt zu leben, passiert es dann doch immer wieder, dass wir unkontrolliert auf andere reagieren. Und dann verhalten wir uns so, wie wir eigentlich gar nicht sein wollen.
    Dahinter steckt wahrscheinlich etwas grundlegend Menschliches. Wir lernen Menschen zu sein in Reaktion auf andere. Das ist auch ganz in Ordnung. Anders funktioniert es nicht, wenn ich in einer Gemeinschaft zu werden.
  • Aber wenn das ganze Leben so läuft, dass ich mein Leben abhängig mache von anderen, dann bin ich zutiefst unfrei. Der Grundsatz: "Wie du mir so ich dir!" fasst das gut zusammen. Das Prinzip funktioniert zwar im Prinzip, um Gewalt einzudämmen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, aber eben nicht zwei Zähne für einen Zahn. Das ist schon ein wichtiger Fortschritt. Aber immer noch bin ich ganz von anderen abhängig.

2. Die Logik der Gegenseitigkeit durchbrechen

  • Genau diese Unabhängigkeit des eigenen Handelns von den Vorgaben anderer ist das erste große Thema der Predigt Jesu, wie sie bei Matthäus in der Bergpredigt und – kürzer – bei Lukas im heutigen Evangelium überliefert ist. "Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür?"
  • Vielleicht ist der Ausdruck "Dank" an der Stelle irreführend. Das trifft es auch, aber Jesus meint es weiter: Welches Geschenk, welche Gabe, welche Veränderung bedeutet es für Dich, nur die zu lieben, die dich lieben? Was bringt dich mehr zu dem, was dir für dein Leben wichtig ist?
    Ja, von dem Wort "charis", das im Evangelium an der Stelle steht, kommt unser Fremdwort Charisma! Also diese Gabe des Geistes, die einen Menschen so besonders macht. "Wenn ihr die liebt, die euch lieben," macht euer Leben und Handeln keinen Unterschied in dieser Welt, es fehlt euer besonderes Charisma! "Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt."
  • [Gut ausgewählt zu diesem Evangelium ist die erste Lesung. Dort wird wiederum geschildert, wie der alte Saul den jungen David bis aufs Blut verfolgt. Ein glücklicher Zufall bringt David in die Situation, Saul umbringen zu können. Seine angeblichen Freunde feiern das bereits. Aber David nimmt nicht Maß an seinem Verfolger. Er bricht vielmehr die Logik des Hasses auf und schafft damit neues Vertrauen.]

3. Gesetz der Freiheit

  • Die Logik der Gegenseitigkeit ist nicht einfachhin moralisch verwerflich. "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu" und der kantische Kategorische Imperativ folgen letztlich ja auch dieser Logik. Aber diese Logik befreit nicht aus dem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, von "wie du mir, so ich dir".
  • Es gibt Situationen, in der das Gesetz der Gegenseitigkeit unverzichtbar ist. Das ist immer dort, wo es keine übergeordnete Instanz, kein Gericht und keine staatliche oder sonstige Autorität gibt, die den Frieden bewahren kann. Dann braucht es die glaubwürdige Abschreckung, um den Aggressor abzuschrecken.
    Ich bin mir sicher: Dass der Einmarsch russischer Truppen in Georgien 1989 in Moldawien 1992 und in der Ostukraine 2014 ohne wirkliche Reaktion der Staatengemeinschaft geblieben ist, spielt bei dem Aufmarsch und – nun drohend – dem neuerlichen Krieg Russlands gegen einen Nachbarn eine wichtige Rolle. Manchmal geht es nicht ohne das Gesetz der Gegenseitigkeit. Aber gerade an dem Beispiel wird überdeutlich, dass das ein erzwungenes, unfreies Reagieren ist!
  • In der Auslegung der Gebote durch Jesu wird dagegen sichtbar, dass das Gesetz Gottes Freiheit schenkt, weil es aus der Logik ausbricht. Wer erkennt, dass Gott ist wie eine Mutter oder ein Vater, die mir durch bedingungslose Liebe Zuversicht und Selbststand geben, der wird Maß nehmen an Gott und seiner Güte: "Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!". Und diese Freiheit, verändert etwas. Sie schafft innere Freiheit für die, die diesem Gesetz folgen und baut mit am Reich Gottes unter allen Menschen. Amen.