Predigt zum Hochfest Allerheiligen 2010 (Fest)
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1. November 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Heiliger Martinus Luther
- "Martin Luther war fehlbar und kein Heiliger". Es reizt mich, diesem Satz zu widersprechen. Er
stammt vom evangelisch-lutherischen Hauptpastor der Hauptkirche St. Michaelis, der großen
Nachbarin unseres Kleinen Michel. Da wir und von Herzen freundschaftlich und in der Lust am
Disput verbunden sind, greife ich Hauptpastor Röders Zitat gerne auf. Er sprach vorgestern bei
einem Studientag zu der Versöhnung zwischen Mennoniten und Lutheranern, die diesen
Sommer in bewegender Form in Stuttgart gefeiert worden war. Die Mennoniten in der
Tradition der Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts waren nicht nur von den Katholiken
verfolgt und blutig unterdrückt worden. Auch Luther hatte die Todesstrafe für Täufer ausdrücklich gut geheißen und gefordert. Darauf bezog sich der Satz "Martin Luther war fehlbar und
kein Heiliger".
- Kann mein lutherischer Amtsbruder in Martin Luther einen Heiligen sehen, auch wenn Luther
fehlbar war und sogar ganz eindeutig schwerwiegende Fehler gemacht hat? Meine Antwort ist
ein eindeutiges "Ja"! Es ist geradezu das Kennzeichen der Heiligen, dass Gottes Barmherzigkeit
an ihnen sichtbar wird und nicht ihre eigene Perfektion. Es ist gerade dies, was die vielen,
vielen Heiligen der Kirchengeschichte für mich so wertvoll macht, dass an ihnen eines sichtbar
wird: Gott verwirklicht sein Reich unter uns durch fehlbare Menschen.
- Deswegen meine Antwort an unseren evangelischen Nachbarn: Ob Martin Luther zu den
großen Heiligen Gottes gehört, misst sich nicht daran, ob er fehlbar war, sondern daran, ob Gott
durch sie in ihrer Zeit sein Heil gewirkt hat, und ob deswegen auch wir heute zuversichtlich
sein können, dass Gott auch mit uns fehlbaren Menschen sein Heil wirken will - sei es im
Verborgenen, sei es sichtbar und anerkannt vor der Gemeinschaft der Kirche.
2. Viele einzelne in der unzählbaren Schar der Heiligen
- Die Lesungen von Allerheiligen spannen den Bogen: Da sind die Seligpreisungen der Bergpredigt. In ihnen benennt Jesus den Maßstab, nach dem allein auch heute ein Christ Zeugnis
geben kann für das Himmelreich. Da ist die Hoffnung des Johannesbriefes: "Wir wissen, dass
wir Christus ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird", verbunden damit dass diese
Hoffnung entscheidend ist "Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist."
Und schließlich ließ uns die erste Lesung teilhaben an der Vision der Offenbarung des
Johannes von denen, die einst vor dem Thron Gottes "weiße Gewänder tragen", "eine große
Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen". Die drei Lesungen spannen
den großen Bogen der Heiligen.
- Die Heiligenfeste über das Jahr hinweg sind wie Facebookeinträge. Ich nehme zu jemanden
Beziehung auf, oute mich als Fan und "das finde ich gut". Die einzelnen Feste sind Freundschaftseinträge zwischen der Kirche des Himmels und unserer Kirche heute auf der Erde. Das
Fest des eigenen Taufpatron kann - und sollte, finde ich - dabei einen besonderen Stellenwert
haben.
- Allerheiligen feiert dem gegenüber, dass es eben nicht nur die paar Heiligen sind, an die wir
uns erinnern, sondern das Gottes Liebe in ungezählten Menschen erfahrbar und sichtbar
geworden ist. Wenn wir schon ihren Namen nicht kennen, erinnern wir uns wenigstens an diese
Tatsache. Wir feiern das, was die Lesungen beschreiben: Die unzählbar große Schar derer,
durch die Gott seine Gnade offenbar macht.
3. Die Gnade zur Heiligkeit
- Damit sind wir wieder bei uns. Es steht nicht zu erwarten, dass sich künftige christliche
Gemeinden nach einem von uns hier benennen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass hier unter uns
Heilige sind. Dies nicht nur in dem Sinne, wie Paulus das Wort gebraucht, dass jede und jeder
durch die Taufe geheiligt ist und wir alle zur Gemeinschaft der "auserwählten Heiligen"
(Kol 3,12) gehören. Ich denke vielmehr, dass unter uns Heilige in diesem besonderen Sinn sind:
Menschen, durch die Gott unseren gemeinsamen Glauben, unsere gemeinsame Hoffnung und
die Liebe, die uns verbindet, in besonderer Weise stärken will. Dies tut Gott in allen Zeiten!
- Nur, Heilige sind keine Übermenschen. Heilige sind fehlbar und - wie Luther in der Täuferfrage - Kinder ihrer Zeit. Heilige können, wie unser Co-Patron am Kleinen Michel, Bernhard
von Clairvaux, sein: Er war begnadeter Mystiker und Theologe und hat zugleich durch
Kreuzzugspredigten schwere Schuld auf sich geladen. Wir sollen Heilige nicht unkritisch
sehen, als seien sie unfehlbar. Das ist keiner von uns Menschen. Vielmehr sind die Heiligen,
derer wir uns vor Gott erinnern, fehlbare Menschen, in denen wir dennoch das Wirken der
Gnade Gottes verehren, weil diese Gnade in ihnen in besonderer Weise zum leuchten kommt.
- Ich möchte vermuten, dass mir in all dem Hauptpastor Röder zustimmen wird (und werde ihn
natürlich fragen). Denn in seinen Satz, Luther sein kein "Heiliger" gewesen, hat er das
umgangssprachlich gemeint. Wir sind aber, als evangelische wie als katholische Christen, dem
Wort der Heiligen Schrift verpflichtet, dass Gott uns nicht nur berufen hat heilig zu sein,
sondern dazu auch die Kraft und die Gnade gibt. Amen.