Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig Lesejahr C 2022 (Fest)

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20. November 2022 - St. Peter, Sinzig

1. Christkönig - Politik und Religion

  • Politik und Religion seien zwei Sphären, die strikt zu trennen seien. Vielen gilt das als selbstverständlich. Aber es ist einer von den Gemeinplätzen, die unhinterfragt zitiert werden, obwohl ihnen widersprochen werden sollte. Erstens ist Religion – und hier meine ich ausdrücklich die verfasste, institutionelle Form etwa der Kirchen – Teil der Gesellschaft. Politik, die sich nicht mehr aus der Gesellschaft speist, ist abgehoben oder totalitär, aber kein Ideal. Doch natürlich sind die Religionsgemeinschaften und ihre Institutionen nur eine gesellschaftliche Kraft unter anderen und muss staatliches Handeln – das, worauf Politik immer zielt – um diese Vielfalt wissen und sie berücksichtigen. Die Forderung der Trennung von Politik und Religion meint aber sehr häufig auch, wer in der Politik Verantwortung übernehmen wolle, müsse seinen religiösen Glauben außen vor lassen. Frömmigkeit sei eine Privatsache.

  • Das Fest Christkönig widerspricht dem vehement. Als es 1925 in der westlichen katholischen Kirche eingeführt wurde, war es ausdrücklich gemeint als Widerspruch gegen den Laizismus. Dabei hat sicher auch eine Rolle gespielt, dass die kirchliche Hierarchie ihre politische Sonderrolle verteidigen wollte (der Papst nannte das "gerechte Freiheit der Kirche") und bewusst mit 'Christus als König' an die Zeiten der Monarchie erinnerte. Aber es war zugleich auch ein neues Fest, das dem seit dem 19. Jahrhundert grassierenden Nationalismus entgegentrat („Zügellosigkeit der Leidenschaften und Begierden, die sich nicht selten unter der Maske der Vaterlandsliebe verbergen“ – Pius XI). In Deutschland konnte "Christkönig" daher ein zentrales Motiv werden, sich dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus zu widersetzen. Und ebenso war damals schon ein Motiv, dass Liberalismus und Kapitalismus zerstörerische Mächte sein können.

  • Sowenig also der kapitalistische Liberalismus einfach 'unpolitisch' wäre, sowenig ist es der Glaube. Und ich denke es kommt ein zweites hinzu: Gerade um Religion dort entgegenzutreten, wo ihre Verdrehung totalitär und gefährlich geworden ist, muss ein reflektierter, engagierter Glaube politisch sein. Wir brauchen eine öffentliche Auseinandersetzung mit falscher Religion.

2. Autoritäre Gewalt und Anarchie

  • Autoritäre Gewalt kommt leider allerorten im Bündnis mit Unterstützung von Religiösen einher. Lange haben wir dabei auf islamisch geprägte Länder wie den Iran geschaut. Aber heute sind es Protestanten in Brasilien, in den USA leider auch viele Katholiken, in Europa häufig konservative Katholiken an der Seite eines Ressemblè National und vielleicht auch der der Fratelli d'Italia. Vor allem sticht der Segen des einflussreichsten Patriarchen der Orthodoxie, Kyrill I. In Moskau, für das kryptofaschistische Regime Putins hervor. Immer ist Religion im Bunde mit den Autoritären.
    Ist das Wasser auf die Mühlen der Laizisten, die Religion aus der Öffentlichkeit und erst Recht der Politik verbannt sehen wollen?

  • Mir fällt in Deutschland auf, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt, der AfDler und Wagenknecht-Linke, DDR-Nostaligiker und Impfgegner auf der Straße zu Verbündeten macht. Es ist nicht der Atheismus, nicht nur A-Theos, die Gehorsamsverweigerung gegenüber Gott, sondern dessen konsequentester Abkömmling, der An-Archismus, der sich jeder Herrschaft verweigern will. Was die Menschen verbindet, die es gegen Corona-Maßnahmen und für billiges Putin-Gas auf die Straßen zieht, ist vielleicht genau dies: Anarchismus, ob von rechts oder links. Es ist der Anarchismus, jener extremer Sprössling auch des Liberalismus, der sich der Autorität nicht nur des Staates verweigert. Statt dessen geht es um das eine große "Ich", das niemandem verpflichtet ist, schon gar nicht der Vernunft.

  • Ja, selbst der Gehorsam gegenüber der Wahrheit wird pathetisch verweigert mit dem Ruf, man dürfe ja wohl noch seine Meinung sagen dürfen. Die Nachfrage nach Gründen dient diesen Menschen dazu, sich ihrer Freiheit beraubt zu sehen. Dass im selben Atemzug kollektive Identität bemüht wird – Nationalismus vor allem – widerspricht dem nur scheinbar. Der Anarchismus ist historisch immer wieder dialektisch in Kollektivismus umgeschlagen. Wer sich der Herrschaft Gottes entzieht ist leider keineswegs frei.

3. Christus ist König

  • Die Grundwahrheit des Christentums ist das Reich Gottes, das mit Jesus Christus unter uns Menschen offenbar geworden – universal für alle Menschen. Christi Herrschaft aber, davon zeugt das ganze neue Testament, ist ein Paradox: ohnmächtige Macht. Absoluter Anspruch Gottes, der sich doch den Völkern ausliefert. Nur dort, wo das Kreuz als Zeichen dieses Anspruches in Ohnmacht aufgerichtet ist, ist es das christliche Kreuz. Vom Kreuz her richtet Christus die Welt und eröffnet Zugang zu Gottes Gegenwart – "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!"

  • Das ist politisch. Denn es bestimmt nicht nur die Haltung von Christinnen und Christen in der Politik, wo es um Fragen geht, bei denen die Freiheit des Einzelnen abgewogen wird gegenüber der Verpflichtung für andere: beim Thema Abreibung das Recht des geborenen Lebens, bei assistiertem Suizid oder pränataler Diagnostik die Verpflichtung für eine Kultur, die auch das Unvollkommene und Schwache wertschätzt. Hier kämpfen Christen um Mehrheiten, gehen aber auch Kompromisse ein, um bestmögliche Lösungen zu finden. Jedoch gerade die jetzige Ampelkoalition in der Bundesrepublik und manche Länderregierungen haben sich auf dem Gebiet der Kulturpolitik gegen Verbindlichkeiten und für libertäre Regelungen entschieden. Da kommt noch einiges auf uns zu, weil die Christen, die sich dagegen stemmen, in der Minderheit sind.

  • Die mächtige Ohnmacht Jesu ist auch und gerade dort politisch, wo sie keine eigene Mehrheit hat und Christen sich einer anderen Mehrheit beugen müssen. Der alte Absolutismus christlicher Monarchien war da weniger christlich. Doch heute Minderheit zu sein, bedeutet nicht zu schweigen. Als Christen dürfen und müssen wir auf Argumente vertrauen. Wir müssen daran festhalten, dass Menschen nicht alles machen dürfen, was sie können. In Deutschland haben wir dabei in besonderer Weise das Grundgesetz auf unserer Seite, das in den Artikeln 1 und 20 nicht geändert werden darf: Menschenwürde und Bindung an das Recht. Auch diese Bestimmung ist machtlos: Wenn ein Mob den Bundestag stürmte, können rein faktisch auch diese Artikel geschleift werden – auch wenn sie in sich unabänderlich sind. Ebenso halte ich an Christus fest, König, Richter aller Menschen. Ohnmächtig, kritisch auch mir selbst gegenüber, aber bekennend: Über uns allen ist ein Herr.