Predigt zum Fest Erscheinung des Herrn, Dreikönig 1990
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06.01.1990 - St. Evergislus, Bonn Bad-Godesberg Plittersdorf
1. Zeichen
- An Weihnachten war ich im Altenwohnheim Emmaus. Dort habe ich Bewohnerinnen und Bewohner besucht, die keine
Verwandten und Freunde mehr haben, und deswegen sonst keinen Weihnachtsbesuch bekamen.
Eines der Zimmer, in dem ich dadurch war, war auffällig kahl. Die Frau, die dort wohnte hatte keinen Schmuck, kaum
Möbel in ihrer Wohnung stehen. Umso auffälliger war ein Bild das an der Wand hing; es zeigte in einer alten vergilbten
Fotographie ihren verstorbenen Ehemann.
Ihr Mann lebt schon lange nicht mehr bei ihr. Aber sein Bild hängt an der Wand. Das hält nicht nur die Erinnerung
lebendig. Durch das Bild wird er selbst gleichsam gegenwärtig. Dieses Bild, das für jeden anderen ein beliebiges altes
Foto wäre, bringt in ihre Welt die liebende-geliebte Gegenwart des Mannes, mit dem sie ihr Leben geteilt hat.
- Das ist nicht ein liebenswerter Spleen einer alten Frau, die ja nichts mehr zu verlieren hat. Darin drückt sich ein
Grundgesetz unseres Lebens aus: Die Dinge, die uns umgeben, sind mehr, als sie zu sein scheinen. Sie sind Zeichen einer
größeren Wirklichkeit, die sie gegenwärtig machen.
Für ein Kleinkind ist die Zuwendung der Mutter (und wohl auch des Vaters) der Garant einer Welt, in der es geborgen
ist. Gemessen an den unzähligen Erlebnissen eines langen Lebens mögen diese Gesten der Zuneigung in den wenigen
Monaten nach der Geburt vernachlässigenswert erscheinen. Und doch hat diese Zeit schon Bedeutung dafür, ob ein
Mensch sich voll Vertrauen seinem Leben zuwenden kann oder ob er an der Welt zerbricht. Das Zeichen der Zuwendung
bleibt unvertauschbar, unersetzlich.
2. Das Zeichen des Kindes in der Krippe
- Das Zeichen, in dem mehr gegenwärtig wird, als der Augenschein vermuten lässt, ist Voraussetzung des Glaubens. Daran
mögen Sie ersehen, wie wichtig dies ist.
- Denn: Nur so ist es überhaupt möglich, dass Weihnachten, irgendein Tag von 365, für uns Bedeutung hat.
- Nur so ist es möglich, dass der unendliche Gott in unserer begrenzten Welt gegenwärtig wird.
- Nur so ist es möglich, dass das Kind in der Krippe Heil für die ganze Welt bedeutet.
- Nur so ist es möglich, dass wir nicht unter der Gewalt der Fakten versinken, sondern die Kraft haben, uns inmitten
unseres Alltags bleibend über die Alltäglichkeit hinauszuheben.
- Jede Revolution beginnt mit einem Zeichen. Die Revolution Gottes in der Welt macht da keine Ausnahme. Und heute, am
Fest der Erscheinung des Herrn, feiern wir genau dies: Gott ist gegenwärtig. Das unendliche Geheimnis hat sich uns
genaht und wird darin sichtbar wie ein heller Stern.
- Die Erscheinung des Herrn, das Kind in der Krippe war für die Hirten wie für die Weisen der Morgenstern, der ihr Leben
veränderte. Aber die Lesung weist uns darauf hin, dass dieses scheinbar private Ereignis in einem großen Zusammenhang steht.
"Auf Jerusalem, werde Licht" ruft der Prophet der heiligen Stadt zu, die nach den Jahren der Verbannung wieder
besiedelt wird, "denn die Herrlichkeit Gottes erstrahlt über dir". Gott schenkt seinem Volk Licht, neuen Anfang, Zukunft.
Aber diese Zukunft, und das ist das Entscheidende, ist nicht eine Zukunft für dieses Volk Israel. Gott reißt die Mauern
der Verbannung nicht nur ein, damit das Volk neue Mauern des Egoismus baut. Das Volk wird befreit, um Licht zu sein
für andere Völker. Die Freiheit soll leuchten für alle. Das Heil gilt allen Völkern und niemand bekommt die Freiheit
geschenkt, um seine nationalen Besitzstände zu wahren.
3. Ein Zeichen aufgerichtet für uns
- Das Volk Israel, das Volk Gottes, die Kirche, sie stehen immer in der Gefahr, zu verweigern Zeichen für die Völker zu
sein. Der Evangelist Matthäus schildert dies, wenn er vom Erschrecken des Herodes spricht, "und ganz Jerusalem mit
ihm", als die Fremden in das Land kommen, um dem Kind zu huldigen.
Wenn die Tradition einen der drei Weisen einen Farbigen sein lässt, dann kommt darin diese "multikulturelle" Dimension
der Geburt Christi zum Ausdruck: Das Kind aus dem Königshaus David, das kommt als Licht des Volkes Israel, ist die
Freude aller Völker.
- Das ist die Botschaft des Festes Erscheinung des Herrn: Gott erscheint vor den Weisen der Welt, vor der Weisheit der
Welt, im kleinen Kind im Stall.
Es ist interessant, dass aus den Gelehrten, den Magiern und Sterndeutern im Laufe der Zeit Könige wurden. Oft drückt
sich in solchen Verschiebungen ein richtiges Empfinden aus:
Dass nicht nur die Weisheit der Welt es nötig hat, vor dem Kind das Knie zu beugen, sondern vor allem auch die Macht
der Welt. Die Könige, die Machthaber, die Diktatoren (und die selbstherrlichen Bürokratoren) werden durch die Legende
von den Drei Königen verwiesen auf Gott, der das Kleine groß macht und im Kind gegenwärtig wird.
- Das ist dann auch die Botschaft für unser Leben. Wir finden Gott nur, wenn wir ihn da suchen, wo er zeichenhaft da sein
will.
Als Kind, das uns nachdenklich macht, ob wir es nötig haben, großzutun. Als Stern, der uns erinnert, dass wir mit
unserem Leben nicht stehen bleiben, sondern aufbrechen.
Als Menschen neben uns, der unsere Schwester, unser Bruder ist. Im Sakrament, in dem in Brot und Wein Jesus der
Christus für uns greifbar gegenwärtig ist. Amen.