Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest Fronleichnam, Lesejahr C 2022

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16. Juni 2022 - Sinzig-Franken

 

1. Randbeobachter

  • Im Stadtteil St. Georg stehen zwei Hamburger und beobachten eine interessante Szene. In St. Georg ist man Merkwürdiges gewohnt. Es ist das Viertel hinter dem Bahnhof, wo viele Kulturen und auch die Hamburger Schwulenszene zu Hause ist. Deswegen beobachten die beiden neugierig einen Demonstrationszug, der über die Lange Reihe zieht. Leider gibt es keine Transparente, an denen man sehen könnte, wogegen oder wofür hier demonstriert wird.
  • Vielleicht ist es keine politische Demonstration, denn es gibt Blasmusik. Sie spielt traurige Melodien, zu denen kaum hörbar ein paar Leute mitsingen. Der Vorsänger über die Mikrofonanlage ist unverständlich. Wahrscheinlich, so schließen unsere Beobachter aus der Trauermelodie messerscharf, handelt es sich um eine Trauerprozession. Jemand ist gestorben. Da bei der Prozession zudem eine ganze Reihe Männer in Frauenkleidern mitlaufen – bunten langen Gewändern –, handelt es sich vermutlich um einen Verstorbenen aus der Gay Community. Doch aus Deutschland wird der Verstorbene nicht kommen, denn in der Mitte des Demonstrationszuges wird ein merkwürdiger Gegenstand aus Gold getragen, der sicher aus einem anderen Land stammt.
  • Sie sehen, wenn Hamburger an Fronleichnam in St. Georg am Rand stehen, dann haben sie viel Gelegenheit, sich gesellig zu unterhalten.

2. Bedeutung

  • Wir können uns damit beruhigen, dass hier im Dorf, nachher bei der Prozession, doch sicher alle anderen wissen, was das bedeutet und was wir hier tun. Aber ganz sicher sollten wir uns da nicht sein. Wie viel von dem, was dieses Fest bedeutet, wird verständlich, in dem was wir heute bei der Prozession zeigen? Vielleicht ist es ja auch hier so, dass die klassischen Prozessionslieder für eine jüngere Generation nur nach Trauermarsch klingen.
  • Vor allem aber frage ich mich, wer das versteht, was in der Mitte dieser Prozession ist. Wären sie in Hamburg am Straßenrand gewesen, wie hätten Sie es den beiden Hamburgern erklärt, was dieses prächtige Zeigegerät ist und die Runde Backoblate in der Mitte bedeutet?
  • Vielleicht wäre der beste Ansatz, um es anderen zu erklären, damit zu beginnen, was ist Ihnen selbst bedeutet. Ob das dann theologisch alles richtig ist, wäre für mich zweitrangig. Was bedeutet für Sie die Fronleichnamsprozession, wenn sie nachher mitgehen? Erleichterung, dass es nach zwei Jahren wieder stattfindet? – sicher. Enttäuschung, weil jedes Jahr weniger Leute mitgehen? –vermutlich auch. Anspannung, ob alles richtig abläuft, so wie es geplant wurde? – auch. Aber das ist doch alles Oberfläche. Was bedeutet Ihnen diese Prozession? Was bedeutet Ihnen das, was in der Mitte der Prozession feierlich getragen wird? Die Antwort auf diese Frage kann sich nur jeder selber geben

3. Werden, was es ist

  • Die Backoblate, Sie ahnen es, ist eine Hostie, das eucharistische Brot, der Leib Christi. – Für mich wird gerade an Fronleichnam deutlich, dass dieses weiße Etwas in der Mitte der Monstranz noch nicht fertig ist. Es muss erst werden, was sein Wesen ist. Das ist bei jeder Hl. Kommunion in der Messe so, heute aber besonders. Nur in der goldenen Monstranz gezeigt ist der Leib Christi nicht "fertig".
  • Die Oblate müsste zu allererst einmal Brot werden. Das katholische Messbuch schreibt eigentlich vor, dass die heilige Kommunion als Brot erkennbar sein muss. Es ist nur die Bequemlichkeit der Tradition, wenn wir diese Vorschrift meist immer noch ignorieren. Erkennbar Brot soll es deswegen sein, weil Brot etwas ist, das Kraft gibt und nährt. Natürlich, das Essen in der Messe ist symbolisch. Aber auch Symbole können irgendwann so ausgedünnt werden, dass sie niemand mehr versteht. Und erst recht müssen wir im übertragenen Sinne schauen, ob es wirklich bereits stimmt, dass dieses Brot mich nährt, mir Kraft gibt? Ich spreche durchaus auch von mir selbst. Oft genug ist es Gewohnheit, Ritus, irgendwie geistlich, aber nicht sonderlich wirksam.
  • Deswegen muss ein Zweites dazukommen. Vom Evangelium her ist völlig klar, dass das Brot gebrochen wird: Als er das Brot gebrochen hat, erkennen die Jünger von Emmaus den Auferstandenen. Zum Brotbrechen kommen die Christen am Sonntag zusammen. "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht." Das Weizenkorn in die Erde, das Brot gebrochen – Jesus meint damit Liebe, die mitgeteilt wird.
    Die Hostie jedoch, die wir in der Monstranz an Fronleichnam tragen, ist noch nicht gebrochen. Sie wartet noch darauf, sich brechen zu lassen und verteilt zu werden an die vielen, die eingeladen sind, sich von Gott stärken zu lassen und die Gemeinschaft im Brot brechen zu erfahren. Fronleichnam wartet darauf, dass die Zeichen wahr und wirklich werden.
  • Wie oft schon wollte jemand uns etwas Gutes tun – im Bild gesprochen das Brot mit uns brechen? Doch wir hatten zu wenig Zeit. Wir fanden, der andere riecht schlecht oder passt nicht zu uns. Wir haben auf ihn herabgeblickt, weil wir doch etwas Besseres wären und es nicht nötig haben, Geschenke entgegenzunehmen (Diese abwertende Haltung meint Paulus, ist der Grund, warum wir "unwürdig" von dem Brot essen 1Kor 11,27).
    Wenn wir Fronleichnam ernst nehmen, dann ist es die Einladung, uns das Brot brechen zu lassen und es zu empfangen. Selbst ganz einfach zu werden wie das Brot, um fähig werden, die ganz einfache Liebe zu empfangen.
  • Ich gebe zu, dass das am Straßenrand in St. Georg schwer einem Hamburger zu erklären ist. Aber vielleicht verstehen es die anderen Menschen hier im Ort, wenn Sie als Christen erkennbar diejenigen sind, die Gastfreundschaft üben, aber auch ohne Angst Gastfreundlichkeit annehmen, wenn Sie zulassen, dass andere auf sie zugehen, und wenn Sie sich beschenken lassen, statt zu meinen, sie hätten schon alles. Dann sind wir nahe dran an Fronleichnam. Dann können wir sagen: Dies, dort ist Brot! Es ist bereit, sich brechen zu lassen und zum Geschenk zu werden. Amen.