Predigt zu Gründonnerstag 2001
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12. April 2001 - khg St. Nikolai Göttingen
Verweis
auf den Film "Heat" (1995) von Michael Mann |
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1. Zweckrational handeln
- Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße. Das hat eine praktische,
handgreifliche Bedeutung. Die Straßen sind staubig. Die Sandalen sind
löchrig. Ein vornehmer
Gast wird geehrt, indem ein Diener ihm die Füße wäscht.
Für die Fußwaschung gibt es also eine gute Erklärung: sie ist sinnvoll,
weil die Füße schmutzig sind.
Ebenso ist das Abendmahl zunächst Mahl. Es gibt etwas zu essen. Die
Dinge haben offensichtlich und handgreiflich ihr Ziel und ihre
Rationalität und ihren
Sinn.
- Dieser praktische Sinn ist es, mit dem wir es zumeist zu tun
haben. Ja, wir sind darauf trainiert, zweckgerichtet gut zu handeln.
Erfolg hat, wer den
Anforderungen gewachsen ist, die Aufgabenstellung bewältigt.
- Meines Wissens gibt es nur einen Film, in dem Robert de Niro und
Al Pacino auf einander treffen. Im dem Thriller Heat spielt der eine
einen Polizisten, der
anderen einen Verbrecher, aber beide gleichen sich fast bis aufs Haar
darin, dass sie im Rahmen ihrer Zielsetzung "gut", wenn nicht gar
perfekt sind. Michael
Mann zieht den Zuschauer in den Sog der Faszination der Perfektion.
Nicht nur technisch, sondern auch menschlich beherrschen beide ihr
Handwerk, sind
teamfähig und charakterlich ausgeglichen. Fast macht das einen -
Zuschauer wie Protagonisten - vergessen, dass sie ganz unterschiedliche
Berufe ausüben -
oder Ziele haben.
2. Den Rahmen sprengen
- Den meisten von uns ist der Rahmen für unser Handeln vorgegeben.
In diesem Rahmen ist zweckgerichtet-effizientes Handeln gefordert. Das
ist dein Job,
mach ihn gut! Es ist dabei gar nicht mal so, dass "die da oben"
diesbezüglich besser dran wären als einer weiter unten im Getriebe. Im
Gegenteil, um oben zu
bleiben darf man zumeist noch viel weniger den vorgegebenen Rahmen
hinterfragen.
- Von daher gelingt es vielleicht, das Evangelium zu verstehen.
Jesus geht es nicht darum, dass wir unseren Job effizienter machen oder
im Umgang mit Kunden
und Kollegen, Kommilitonen oder Freunden besser werden. Er nimmt etwas
aus diesem Bereich, etwas Praktisches und Zielgerichtetes - das
Füßewaschen -
als Zeichen der Gastfreundschaft. Aber damit sprengt er zugleich den
Rahmen. Verstehen was er tut: Er der Meister wäscht die Füße.
Der Sinn dieser Tat ist kein platt moralischer: Seid nett zueinander!
Den Sinn enthüllt Jesus dem Petrus, der sich weigert: Nur durch die
Fußwaschung erhält
Petrus »Anteil« an Christus. Jesus begründet eine Gemeinschaft, die in
diesem Saal beginnt und sich ausstreckt bis zum Himmlischen
Hochzeitsmahl, bei dem
Christus mit seiner Kirche wieder von der Frucht des Weinstocks kostet.
- Was Christus tut findet sein klarstes Symbol in der Ablegung
seines Gewandes. Er vollzieht hier selbst und freiwillig, was am
morgigen Karfreitag ihm die
Soldaten voll Gewalt antun. Origenes deutet die Ablegung des Kleides auf
die Entäußerung der Gottheit und das Wasser der Fußreinigung auf die
Taufe. Es
ist also nicht das moralische Vorbild: "Handelt so!", sondern
es ist eine Veränderung von Realität: Der höchste Herr hat sich
entäußert. Gott ist nicht
Lehrmeister, Gott ist Täter.
Im Johannesevangelium wird das ganz deutlich. Es sind immer konkrete
Taten Jesu, deren Sinn sich dann erschließt, wenn wir erkennen, wer es
ist, der da
handelt. Damit aber sprengt Jesus die horizontale Dimension des
Zweckrationalen. Es eröffnet sich die Chance, aus der verblendenden
Faszination der
Effizienz auszubrechen und zu fragen "Warum tust du das?"
3. Das gegebene Ziel ergreifen
- So nimmt Gott unsere zweckmäßige Welt ernst und auf - und formt
sie um und öffnet sie, indem er uns ein Ziel gibt. Die Größe dieses
Ziels aber besteht im
Dienst, nicht in der Herrschaft, in der Auslieferung nicht in dem Wahn,
alles zu beherrschen und zu kontrollieren.
Der alte Katechismus stellte die Frage "Wozu sind wir auf Erden?". Im
Gefängnis der Zweckrationalität ist diese Frage eine Zumutung. Für den
Menschen ist
sie Befreiung.
- Johannes notiert, der Satan habe dem Judas ins Herz gegeben, Jesus
zu verraten und auszuliefern. Ein zerstörerisches Prinzip hat von Judas
Besitz ergriffen.
Man kann über die historischen Gründe des Verrats spekulieren. Sicher
aber scheint mir, dass es in irgendeiner Form eine in sich verschlossene
Logik war, die
dem Judas in dem Augenblick ganz und gar einleuchtete und innerhalb
derer sich Judas groß vorkam.
Was Judas nicht konnte, ist dieses sein Herz umzuwerfen, auszuliefern,
sich von seinen Zielen zu entkleiden, um die Gemeinschaft mit Jesus zu
suchen. Statt
dessen geht er hinaus in die Nacht.
- Was wir heute Abend feiern, ist das Letzte Abendmahl Jesu mit
seinen Jüngern. Johannes deutet die Eucharistie von der Fußwaschung her.
Christus entkleidet
sich seiner für uns so fernen Gottheit, um uns im Brot seine Nähe zu
geben. Dadurch verschiebt er die Realität, weil der Mächtigste nun der
Dienende wird,
der, der sich verschenkt. Jesus lädt uns ein, uns beschenken zu lassen,
ganz praktisch uns die Füße waschen zu lassen, ganz praktisch uns im
Brot nähren zu
lassen - und damit teilzuhaben an dem neuen Kosmos, der allein wert ist,
Ziel zu heißen.