Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Hochzeit - In Gott lieben

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23. Juni 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Lieben sollen müssen?

  • Jörn, "du sollst" Sonja lieben. Sonja, "du sollst" Jörn lieben. Für Sie beide gilt: Wenn Ihre Familie ein Kind haben wird: "Du sollst" dieses Kind lieben. Und sollten es, man weiß ja nie, zwei Kinder werden, dann heißt es, "du sollst" jedes Kind lieben "ebenso wichtig" wie das andere. Dieses immer wieder steht "du sollst" in diesem Evangelium, das Sie beide sich für Ihre Hochzeit heute ausgesucht haben
  • Das klingt nach stressigen Auflagen gleich zu Beginn der Ehe. Dabei habe ich den Eindruck, dass das sicher nicht das war, was Sie gemeint haben, als sie diesen Text ausgesucht haben. Lieben ist doch kein "du sollst"; vielmehr lieben Sie einander, Punkt. Und Sie wollen heute öffentlich und vor Ihren Freunden und Familien, ja vor Gott, einander die Treue versprechen, weil das viel fester und verbindlicher klingt - und wohl auch ist - als nur einen "Wisch beim Standesamt" zu unterschreiben (um die Worte des Bräutigams zu benutzen). Nicht also "du sollst", sondern "ich will" ist Ihrer beider Botschaft an uns.
  • Die Liebe, die Sie beide zusammengeführt hat, ist keine Leistung, die mit "du sollst" hätte eingefordert werden müssen. Sie bräuchte auch gar nicht eingefordert werden. Sie ist da! Ich sage das so einfachhin. Dabei braucht man diesen Satz, Ihre Liebe ist da!, nur auszusprechen, um zu merken, dass dies weder selbstverständlich ist, noch gar etwas, was sie als eigene Leistung gemacht hätten. Ihre Liebe zu einander ist Ihnen vielmehr geschenkt. Oberflächliche Beobachter mögen das als eine Folge des Zusammenwirkens hormoneller und soziologischer Einflüsse einschätzen. Das mag alles stimmen, trifft aber nicht den Kern: Das Geheimnis, dass Ihnen diese Liebe geschenkt ist, unverfügbar, als Geheimnis, das zu wahren und zu hüten Sie sich vorgenommen hat. Ja, das Geschenk dieser Liebe ist etwas Heiliges.

2. Gott lieben können

  • Damit sind wir wieder bei dem Evangelium. Denn dort wird die Liebe zum Nächsten auf das Engste verbunden mit der Liebe zu Gott. Von dieser Liebe heißt es, das sie aus dem tiefsten Inneren kommt: "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken". Schon dadurch wird deutlich, dass wir Gott nicht 'zusätzlich' zu diesem oder jenem Menschen lieben. Gott ist auch in Ihrer Ehe nicht einfach ein 'dritter im Bunde'; das werden vielmehr - so Gott will - die Kinder sein. Gott zu lieben hingegen bedeutet nicht etwas zusätzliches, sondern ist der Tiefengrund aller echten Liebe.
  • Gott kann man nicht lieben wie einen Menschen oder gar einen Lieblingsgegenstand. Wer es versuchte, würde scheitern. Denn Gott ist nicht ein Teil der Welt, sondern ihr Urgrund: Der Grund des Lebens eines jeden von uns und der Urgrund in jedem Atemzug, den wir tun. Während ich jeden Teil dieser Welt - selbst den Ehepartner - liebe und dabei wohl immer auch ein wenig einberechne, dass etwas für mich dabei abfällt, kann ich Gott nicht nach einem benefit für mich berechnen.
  • Gott zu lieben bedeutet vielmehr die Erfahrung, überwältigt zu werden von dem unbeschreiblichen Reichtum und der Schönheit, die mich umgibt, überwältigt zu werden von einer Liebe, die nur als Geschenk empfangen werden kann, überwältig zu werden, wenn ich ahne, dass all dies eine Quelle und einen Grund hat. Deswegen kann ich Gott, wenn es denn Gott und nicht irgend eine Wunschprojektion von Gott ist, nur lieben "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all meinen Gedanken", nicht weil ich dauernd an Gott denke, sondern weil ich keinen einzigen guten Gedanken denken kann, ohne dass Gott sein Grund wäre. Gottesdienste wie diese, aber auch die Momente des täglichen Stillwerdens und des Gebetes sind nur Momente, in denen das ausdrücklich wird, wie wenn aus den alltäglichen selbstverständlichen Atemzügen auf einmal ein Lied wird.
    Das Gebet und der Gottesdienst kann von heute an zum Lied werden, in denen Sie für die beständigen Atemzüge Ihrer Liebe danken und erneut erfahren, was Großes Ihnen geschenkt ist.
  • Wenn Sonja und Jörn einander "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all ihren Gedanken" lieben, nicht berechnend, nicht auf eigenen Vorteil schielend und nicht nur in guten, sondern auch in schweren Tagen, dann leben sie das Sakrament der Ehe. Denn Sakrament ist, wo im Leben und Tun von uns Menschen Gott selbst gegenwärtig ist.

3. Den Nächsten lieben wollen

  • Solche Liebe trägt Frucht. Das ist der zweite Teil der Antwort Jesu im Evangelium: "Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Nicht Jörn und Sonja sind hier gemeint, obwohl sie einander ganz nah und insofern einander am Nächsten sind. Vielmehr hat Jesus einmal auf Nachfrage erklärt, wer dieser Nächste ist: Der Unbekannte, der unter die Räuber gefallen ist, der hier und jetzt meine Hilfe braucht (Beispiel vom barmherzigen Samariter, Lk 10, 25-37).
  • In der Befragung nach der Bereitschaft zu einer christlichen Ehe und im Großen Ehesegen wird das nachher ausdrücklich; wir werden zu Gott beten: "Hilf ihnen, eine christliche Ehe zu führen ... verleihe ihnen Offenheit für andere Menschen und die Bereitschaft, fremde Not zu lindern." Dazu gehört auch die Gastfreundschaft. Das sind die Erkennungsmerkmale einer Liebe zweier Menschen in der Ehe. Sie geben einander Halt, sie erfahren, dass Gott sie trägt und hält, und sie werden so fähig, offen zu sein für andere, gerade auch für die konkrete Not derer, denen sie begegnen und die an ihre Tür klopfen.
  • Dies ist der Grund, warum Jörn und Sonja das Fest ihrer Ehe hier feiern, in einer Kirche. Sie haben uns alle eingeladen, dieses Fest mit ihnen zu feiern. Wir dürfen spüren und erleben, wie die beiden das Geschenk ihrer Liebe annehmen und zum Versprechen der Treue werden lassen. Wir dürfen mit ihnen Gott als den Urgrund dieser Liebe feiern. Wir dürfen uns von diesen beiden Mut machen lassen, Gott zu lieben und unsren Nächsten wie uns selbst. Amen.