Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 1. Fastensonntag Lesejahr C 2001

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04.03.2001 - khg Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai

1. Versuchung

  • Das Wort Versuchung hat einen süßen Klang. Es klingt nach Lockendem und Lohnendem. Nicht zuletzt hat es den Beiklang des Verbotenen. Das aber macht die Versuchung erst aus: Dass ich, wenn ich ihr erliege, zugleich kleinliche Verbote mit Missachtung strafe. - Dies zumindest hat der Sprachgebrauch aus dem Wort Versuchung gemacht. Mit dem Ereignis, von dem das heutige Evangelium spricht, hat das nichts zu tun.
  • Dabei steckt die Bedeutung im Wort: Versuchung. Allerdings meint das Wort nicht „etwas versuchen", so wie man vom Kuchen nascht, auch wenn es die Kalorientabelle verbietet. Versuchung ist: „jemand versuchen", oder besser: „versuchen wie weit jemand belastbar ist". Versuchung ist ein erbarmungsloser Vorgang, in dem der Schwachpunkt ans Licht kommt, an dem ein Mensch zusammenbricht. Nicht umsonst beten wir: „Und führe uns nicht in Versuchung!"
  • Was uns im Evangelium geschildert wird, ist also der Versuch, Jesus in dem was er ist und will aufs Kreuz zu legen. Es gelingt nicht. Die widergöttlichen Mächte werden Jesus ans Kreuz schlagen, aber es gelingt ihnen nicht, Jesus in dem, was er ist und will, zu zerstören: Gottes Liebe, die in Ohnmacht um uns wirbt.

2. Vernichtung

  • So lobenswert es sein mag, wenn jemand die Fastenzeit dazu nutzt, die Naschsucht zu bekämpfen und den zartesten Versuchungen der Schokolade zu widerstehen - dazu braucht es nicht das Evangelium. Vielmehr schaltet sich Gott in unser Ringen darum ein, dass unser Leben als Ganzes gelingt, in dem was wir sind und wollen.
  • Als der andere am Boden lag, war die Versuchung groß, ihn endgültig fertig zu machen."
    Das ist Versuchung. In einem Augenblick der Stärke den Maßstab verlieren und meine Macht auszuspielen. Die Versuchung kleidet sich dabei leicht in den Mantel der Guten Sache, um derentwillen der Streit geführt wird. Die Versuchung zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass sie mit etwas lockt, das nicht zum Ziel führt, sondern alles gleichzeitig vernichtet: Den anderen, die Gute Sache und mich selbst als Mensch.
  • Als die Ehe in eine Krise kam, war die Versuchung groß, fremdzugehen".
    Das ist Versuchung. Die Ehe, die ein Leben lang halten sollte, mag durch diese Krise nicht unrettbar verloren sein. Sie wird erst zerstört durch die Versuchung, diese Krise als Vorwand zu nutzen. In den wenigsten Fällen will der, der fremdgeht, eine andere Beziehung aufbauen. Er will sich nur trösten oder rächen für erlittenes Unrecht. Er will sich beweisen, dass er noch jemand ist und noch etwas kann. Die Eitelkeit ist der Schwachpunkt, an dem die Versuchung ein Lebensprogramm aufbricht und vernichtet. Die Versuchung kleidet sich in die Verharmlosung des Wortes „Seitensprung". Sie suggeriert, es nicht ernst zu meinen. Die Versuchung ist der erbarmungslose Vorgang, in dem herauskommt, ob ich um der Herausforderung einer Situation willen alles fahren lasse, was mir wichtig ist.

3. Rettung

  • Das Evangelium schildert, dass Jesus in der Wüste drei Mal versucht wird.
    Er erlebt die Versuchung, die Erfahrung des liebenden Gottes auszutauschen gegen den Rausch der Macht, gegen die Wohltat des Applauses der Menge und gegen das Verlockende der Selbstherrlichkeit.
  • Die Bedeutung dieses Ereignisses besteht nicht etwa darin, dass Jesus uns netterweise mit gutem Beispiel voran gegangen ist. Das wäre auch schon etwas Ermutigendes, aber bekanntermaßen ist Jesus in vielerlei Hinsicht ein besserer Mensch als ich und große Vorbilder finde ich immer wieder entmutigend.
    Die eigentliche Bedeutung des Ereignisses liegt darin, dass sich in Jesus Gott selbst offenbart.
  • Gott offenbart sich als der versuchbare Gott, der die Not der Uneindeutigkeit dieser Welt an sich heran lässt, aber doch sich selbst treu bleibt. Gott offenbart sich in diesem Jesus Christus als Gott, der seine Größe nicht darin zeigt, dass er die Muskeln seiner Allmacht spielen lässt und sich in unserer Anbetung sonnt. Seine Größe ist die Ohnmacht der Liebe, die um uns wirbt und sich darin treu bleibt.
    Die Fastenzeit ist die Einladung an uns, diese Größe Gottes für uns zu begreifen und im Vertrauen auf seine Treue unser Leben vor dem Absturz in die Versuchung zu retten. Amen.