Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr A 2011

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03. April 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Der erste Akt: Ungewolltes Leben

  • Da ist ein von Geburt an schwer behinderter Mensch. Er sitzt als Bettler am Straßenrand. Wie konnte es dazu kommen? Mit dieser Frage wird das Evangelium heute eröffnen. Wer trägt die Schuld? Heute würde gefragt: Haben seine Eltern oder hat der Arzt bei der pränatalen Diagnostik einen Fehler gemacht? In jedem Fall wird der Behinderte nur als Problem gesehen: Von Geburt an blind, so etwas soll es nicht geben
  • Jesus aber widerspricht. Von diesem Behinderten gilt: An seiner Würde "soll das das Wirken Gottes offenbar werden". Als Zeichen dafür nimmt Jesus vom Staub der Erde, wie in der ersten Schöpfung, und legt dem Mann einen Teig auf die Augen.
  • Dann aber fordert er ihn auf, selbst aktiv zu werden: am Teich, dessen Name bezeichnenderweise "Gesandter" bedeutet. Aus dem Problemfall, dem Behinderten, der nicht sein soll, wird ein Gesandter Gottes. Ende des ersten Aktes. Jesus tritt von der Bühne und bleibt doch präsent.

2. Der zweite Akt: Riskante Beziehungen

  • Im folgenden erfahren wir, was einem Menschen passieren kann, der durch die Begegnung mit Christus befreit wird. Er war ein Blindgeborener, und er war ein Bettler. Damit war er in der menschlichen Ordnung festgelegt. Wir sollten nicht so überheblich sein, dass das heute völlig anders sei. Auch und gerade in der deutschen Gesellschaft gibt es genügend Festlegungen durch sozialen Status, Geschlecht, Hautfarbe oder auch Behinderung.
  • Der vormals Blinde wird zunehmend sehend. Mehr und mehr gewinnt er im Lauf der Konflikte an Selbstbewusstsein. Er bekennt sich zu Christus, der ihn geheilt hat. Anfangs spricht er von Jesus noch als von "dem Mann, der Jesus heißt". Später bekennt er ihn als "der Prophet". Vollends selbstbewusst klingt der sehend Gewordene, wenn er ironisch den Pharisäern antwortet: "Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet.".
  • Den Kontrast bilden zunächst "die Nachbarn". Nach dem Grundsatz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, meinen einige von ihnen, dass dieser geheilt und selbstbewusst auftretende Mann doch nie und nimmer der Blinde sein könne: "Er sieht ihm nur ähnlich", meinen sie. Noch schwächer stehen seine Eltern da. Notgedrungen bestätigen sie, dass dieser ihr blindgeborener Sohn sei. Aber auch sie haben sich völlig mit der Rollenzuschreibung arrangiert und wollen nicht für ihn einstehen. "Fragt doch ihn selbst, er ist alt genug und kann selbst für sich sprechen." Damit wollen sie eigener Ausgrenzung entgehen und sprechen doch die entscheidende Wahrheit über die Heilung aus. In der Tat ist aus dem Blindgeborenen einer geworden, der für sich selber sprechen kann. Aber dafür, was er zu sagen hat, wird er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen: "Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus."

3. Der dritte Akt: Das Gericht über die angeblich Sehenden und angeblich Blinden

  • Im dritten Akt tritt wiederum Jesus auf. Die Frage, ob er aus Gott sei, obwohl er am Sabbat heilt, hielt ihn im gesamten zweiten Akt präsent. Jetzt erhalten wir eine Deutung des Ganzen als ein Gericht, in dem an Tag kommt, was zu entscheiden ist. Jesus selbst ist zum Gericht gekommen. Er ist "Richter", aber nicht mit Verhör und Entscheid, wie bei den Pharisäern. Vielmehr kommt mit ihm an's Licht, wer wirklich sehend ist und wer blind - und damit, wer geheilt werden kann und wer nicht geheilt werden will.
  • Die Pharisäer stehen für die Führungsschicht, die Gottes Handeln nicht wahrhaben wollen, weil es sich nicht in ihre Regeln fügt. Weil sie meinen, dass sie sehend sind, kann ihre "Sünde" nicht geheilt werden - sie haben keine Gemeinschaft mit dem heilenden, liebenden Gott. Ganz anders der, der blind gewesen ist und sich von Christus an's Licht führen ließ. Er ist sehend geworden und - in der Sprache des Evangeliums - ist nun ein "Kind des Lichtes".
  • Daher wurde dieses Evangelium auch schon in der frühen Kirche als wichtiges Stück auf dem Weg zur Taufe und für uns alle zur Tauferinnerung an Ostern. Es konfrontiert uns mit der Wahrheit unserer eigenen Blindheit und lädt uns gerade deswegen dazu ein, sehend zu werden und im Licht zu leben.