Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr B 1997 (Johannes)

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9. März 1997 - Pfarrei Rickenbach/Hochschwarzwald

1. Schadensersatz

  • Schadensersatz ist im US-amerikanischen Recht eine beliebte Institution. Es gibt kaum einen Schaden, für den nicht irgend jemand um Ersatz beklagt werden kann. Vor einigen Jahren gab es ein besonders extremes Beispiel. Der Sportler O.J. Simpson war des Mordes angeklagt, wurde aber im Strafrechtsverfahren aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt. Danach gab es aber ein zweites, jetzt zivilrechtliches Verfahren, in dem die Angehörigen der Ermordeten um Schadensersatz klagten. Wegen Mordes wurde Simpson nicht belangt, musste aber - zivilrechtlich - Millionen Dollar Schadensersatz zahlen. Ob er für Mord bestraft werden soll, mochten die Geschworenen nicht entscheiden. Dass er für Menschenleben Geld zahlen muss, dafür schienen die Beweise auszurechen.
  • Schadensersatz ist im Bereich der Rechtsprechung ja ganz sinnvoll. Aber das Denken in Ansprüchen und Bewertungen nistet sich ja auch in unserem Alltag ein. Wir bewerten. Wie viel ist dieses und jenes wert? Wie viel zahlen wir, um hier oder da Ersatz zu leisten? Leistung fordert Gegenleistung und fordert damit die Bewertung, dessen, was mir gegeben wurde und was ich entsprechend zurückgeben muss.
  • Letztlich geht es immer um Ansprüche. Wovon kaufen wir uns frei? Wir nutzen die Möglichkeit zu zahlen um frei zu werden gegenüber der offenen, verdeckten oder auch nur vermeintlichen Anforderung anderer. Das Ziel ist es, uns freizukaufen und abzusichern, damit nicht irgendwann jemand dasteht und offene Rechnungen präsentiert.

2. Sich schenken

  • Das Freikaufen funktioniert aber nicht immer. Nicht immer können wir uns hinter dem Ersatz verstecken. Manchmal, ja, in den eigentlich entscheidenden Dingen immer sind wir selbst gefragt. Wo es um menschliche Beziehungen geht, da können wir nicht mit irgendetwas Schadensersatz leisten. Im Eigentlichen können wir nur uns selbst einsetzen, mit unserer eigenen Person. Das fällt nicht nur schwer, weil wir damit unsere Freiheit aufgeben. Das fällt auch allein deswegen schon schwer, weil wir uns gar nicht selbst besitzen. Wir gehören uns gar nicht selbst, so dass wir uns selbst geben könnten. Wir hängen in zu vielen Beziehungen und Verpflichtungen fest, um uns einem anderen Menschen so völlig anvertrauen zu können, dass wir sagen könnten: Ich bin Dein! Verfüge über mich!
  • Es ist aber auch schwer, ein Zeichen, ein Symbol dafür zu finden, das dem anderen sagt: ich schenke mich Dir selbst. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich ganz einem anderen schenken will: wie zeige ich das, wie sage ich das?
    Das Wichtigste, das ich heute von mir einem anderen Menschen geben kann, ist Zeit. Zeit kann ich nicht kaufen; mit Zeit kann ich nur mich selbst schenken. Die Zeit die ich für Kinder habe, die Zeit für meinen Partner bedenkenlos verschwende, die Stunden oder Tage, die ich am Sterbebett eines geliebten Menschen verbringe, ist ein solches Mich-selbst-schenken. Aber auch hier geht es darum, mich erst einmal selbst zu besitzen, die Freiheit zu gewinnen, das Telefon abschalten zu können, um mich schenken zu können: nicht um Schadensersatz zu leisten, nicht um mich freizukaufen, nicht weil ich verpflichtet bin, sondern aus freier Entscheidung und - letztlich immer - aus Liebe.
  • Die Fastenzeit meint im Eigentlichen: Einüben in diese Freiheit. Einüben in die Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden: und mich selbst zu geben. Einüben in den Selbstbesitz, um mich selbst verschenken zu können. Offen zu werden, statt in Selbstgerechtigkeit oder Selbstmitleid mich selbst zu begraben. Fastenzeit könnte heißen: nicht einmal nur wieder fast nur Zeit zu haben für andere, sondern wirklich. Nicht nur gerne einmal geliebt haben, sondern wirklich eine Tat der Liebe zu tun. Auch das Fasten im wörtlichen Sinn ist ja ein Einüben in Freiheit.

3. Wo Gott sich selber schenkt

  • Wenn wir so die Fastenzeit als Einüben in die Freiheit über uns selbst begehen, dann ist das die beste Vorbereitung auch für das Osterfest. Denn es hilft uns sensibel zu werden für das, was die Karwoche und was Ostern eigentlich ist. Von unserem eigenen Bemühen und Suchen her könne wir allein verstehen, was Gott so einzigartig vollbracht hat. Gott hat nicht irgendetwas gegeben, mit irgendetwas den Schaden bezahlt, den wir Menschen angerichtet haben. Gott gibt nicht irgend etwas, um uns freizukaufen - wem auch würde er etwas schulden! Im Glaubensbekenntnis wissen wir, dass in Jesus Christus Gott selbst Mensch geworden ist, dass der wahre Gott, wahrer Mensch geworden, dass der Vater ganz im Sohn ist.
  • Gott hat ein Leben drangegeben. Gott hat sein eigenes Leben drangegeben. Oder genauer noch: Gott hat sich aus seiner unendlichen Vollkommenheit gelöst (wie so etwas möglich ist!) und hat sich in den endlichen Rahmen unseres menschlichen Lebens geworfen - um auch dieses Leben dranzugeben. Die göttliche Freiheit hat sich nicht gescheut, sich in die Banden menschlicher Freiheit zu binden (wir können es nur ahnen!) um auch noch über diese ganz zu verfügen und sich ganz in die Hände der Menschen auszuliefern.
  • "Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat." Gott gibt sich selbst, das ist das tragende Fundament unseres Glaubens. Das ist das letztlich einzige Fundament, das uns befähigt zur Freiheit, auch über unser Leben zu verfügen, indem wir es aus Liebe übereignen und darüber verfügen lassen. Und Gott hat auch ein Symbol gefunden, um das, was er an uns tut, auszudrücken: Das Brot, in dem er sich in unsere Hand legt. Mit der Erinnerung an diese Übereignung, mit der Feier des Gründonnerstags werden wir in drei Wochen die Heiligen Tage beginnen. Ostern ist das Ziel. Die Erinnerung geht auf das, was Gott bereits getan hat. Darauf können wir uns unter allen Umständen verlassen. Amen.