Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr C 2004 (Lukas)

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21. März 2004 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Der fehlende Schluss des Evangeliums

  • Da fehlt doch der Schluss des Evangeliums. Zumindest fehlt noch ein Satz. Der müsste heißen: "Darauf freute sich der ältere Bruder und ging mit hinein, seinen jüngeren Bruder zu begrüßen und mit ihm ein Fest zu feiern - und sie lebten glücklich bis an ihr Ende". Nur, der Satz steht da leider nicht. Jesus erzählt sein Gleichnis nicht zu Ende. Wir erfahren nicht, was der ältere Bruder tut. Es bleibt uns also nichts anders übrig als Mutmaßungen anzustellen. Was hat der ältere Bruder wahrscheinlich getan. Ist er zum Fest hinein gegangen oder ist er draußen geblieben?
  • Zur Beantwortung der Frage haben wir Indizien. Im Unterschied zum jüngeren Bruder ist der ältere daheim geblieben. Er hat sich nicht einen Erbteil auszahlen lassen. Er ist nicht losgezogen und hat kein vergnügliches Lodderleben mit dem Geld verbracht. Dadurch ist ihm aber auch das Schicksal bitterer Armut erspart geblieben. Während der Jüngere - selbstverschuldet! - im Dreck lag, war er, der ältere daheim, hat ordentlich gearbeitet und deswegen auch Anspruch auf das volle Erbe.
  • Aber er ist sauer. Keiner hat ihn draußen auf dem Feld informiert, dass der Herr Lebemann zurück sei. Er muss nachfragen und erfährt: "Sein Bruder ist gekommen, und sein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat." Die Freude des Vaters über den Zurückgekehrten ist maßlos. Ebenso der gerechte Zorn seines älteren Sohnes. Man versteht, warum er nicht hineingehen will, um mit zu feiern. Deswegen kommt der Vater zu ihm heraus, um ihn zu überreden: "Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden." Ob ihn das überzeugt mit zu feiern?

2. Im Schmollwinkel

  • Wir werden nie wissen, was der ältere Bruder getan hat. Es ist ja auch nur ein Gleichnis. Wir können aber sehr wohl nachsehen, wie wir in der Situation reagiert hätten - oder schon längst haben. Denn vielleich haben wir das so ganz ähnlich selbst schon erlebt! Denn der Schmollwinkel gehört durchaus zu den bevölkerten Teilen dieser Welt.
  • Im Schmollwinkel steht, wer Recht hat. Ich vermute zumindest, dass tatsächlich der im Schmollwinkel nicht nur meint Recht zu haben, sondern zumeist "objektiv" im Recht ist - wie der ältere Bruder. Nach Recht und Gesetz, nach Maß und Verstand hat sein jüngerer Bruder jeden Anspruch auf das volle Erbe verwirkt. Nach jedem gesunden Menschenverstand ist es Unsinn, ein Fest zu feiern, nur weil der Kerl abgewrackt daheim wieder auftaucht, um sich durchfüttern zu lassen.
  • Unser Rechtsgefühl ist sehr ausgeprägt, wo es darum geht, Recht zu behalten. Auf der Autobahn erkennt man dieses Rechtsgefühl bei den Oberlehrern der Nation in Mittelklassewagen, die sich als Kenner des Verkehrsrechts gebärden. Verletztes Recht, versagte Anerkennung will sich zu Wort melden. So oder so dürfte jeder das Gefühl kennen, wie verletzend es ist, wenn die Anerkennung ausbleibt, die Verdienste nicht gewürdigt werden und zugleich ein anderer, obwohl er eine Niete ist, mit Freuden begrüßt wird.

3. Anwendungen

  • Eine erste Anwendung: Es hat sich herumgesprochen, dass in anderen Ländern der Glauben lebendiger zu sein scheint, als hier in Deutschland. Gerade für die Älteren muss das sehr schmerzlich sein, die die deutsche Kirche noch in den kraftstrotzenden fünfziger Jahren erlebt haben. Man mag sich darüber freuen, wenn die Kirche in Afrika oder Indien aufblüht und lebt. Ganz andere Töne aber hört man, wenn es um den Glauben in osteuropäischen Ländern geht oder gar den USA. Da wird schnell gemutmaßt, es sei entweder kein richtiger Glaube oder die hätten halt noch keine richtige Freiheit. Die Freude etwa der Polen an ihrer Kirche ruft hierzulande mehr Ablehnung als Begeisterung hervor. Der ältere Bruder steht draußen und sieht ohne rechte Freude drinnen das Fest.
  • Eine zweite Anwendung. Wie oft steht einer am Rande, wo ein Fest gefeiert wird, weil er sich in seiner Selbstachtung verletzt fühlt. Da steigt die tollste Party, aber der Herr des Hauses sitzt im Schmollwinkel und lässt sich missmutig volllaufen. Da sind Gäste im Haus und man unterhält sich prächtig, aber der Junior missgönnt allen alle Freude, weil er benachteiligt wurde. Dabei geht es vielleicht gar nicht um die Benachteiligung des Schmollers, sondern darum, dass ein anderer aus unnachvollziehbarer, irrationaler Begeisterung und Liebe beschenkt wurde: Kaum ist "der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen zugebracht hat"...
  • Daher die wichtigste Anwendung: Kaum ist der gekommen feiert der Vater ein großes Fest. Gottes Begeisterung für uns ist nicht in Maßstäben unserer Gerechtigkeit zu messen. Die Versöhnung, die er feiert, sprengt alle Vernunft. Alle Welt, alle Sünder, alle, die es nicht Wert scheinen, sie kommen zusammen, weil Gott das Fest des Glaubens mit ihnen feiern will. Recht und Vernunft hin oder her - es wäre doch schade, beim großen Fest des Glaubens nicht dabei zu sein! Amen.