Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest Taufe des Herrn 1996 (Lesejahr A)

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08.01.1996 - St. Josef, Frankfurt/Main-Oberrad

1. Wir lassen die Schuld am Körper anderer austragen

  • Krankheiten erkennen wir an ihren Symptomen. Ein Temparaturanstieg, Schwellungen, Hautveränderungen, Schmerzen: all das sind Symptome, die Fachkundige zu deuten wissen.
  • Ist es bei "körperlichen" Krankheiten häufig schon schwer, eine Krankheit an ihren Symptomen zu erkennen, so gilt das für Krankheiten des Gemüts noch viel mehr. Vor allem gilt eines bei psychischen Erkrankungen mehr als bei (sogenannten) körperlichen Erkrankungen: Die Ursache für die Krankheit ist nie zu begreifen, wenn ich die Krankheit als individuelles Problem des Kranken behandle und nicht sehe, dass an dem Kranken eine Krankheit in ihren Symptomen sichtbar wird, an der auch die Umgebung des Kranken leidet, die auch die Umgebung des Kranken mit verursacht.
  • Waschzwang ist eine psychische Erkrankung, die man an einem nicht enden wollenden Bedürfnis sich zu waschen erkennt. Der Kranke kann nicht aufhören, sich immer und immer wieder, sorgfältig, ja rituell, zu waschen, bis die Haut wundgescheuert ist. Waschzwang ist die falsche Antwort der Psyche auf ein richtiges Problem; eine Erfahrung kommt hier in Symptomen ans Licht, unter denen niemand mehr leidet als der Kranke selbst, der ganz genau weiß und merkt, wie sinnlos sein Tun ist - und der es dennoch tun muss, zwanghaft.
  • Diese seltene Krankheit ist ein Symptom für ein Defizit im Leben und in der Umgebung des Kranken. Häufig liegen die entsprechenden Erfahrungen schon lange zurück. Manchmal ist ganz konkret die Erfahrung von Verbrechen, die von anderen an einem selbst verübt werden, Auslöser für die Krankheit. So gibt es immer wieder den Fall von Frauen, die vergewaltigt wurden, und deren Psyche dieses Verbrechen eines Mannes am Körper damit beantwortet, dass ein tief sitzender Waschzwang zum Ausbruch kommt. Dies ist der brutalste Ausdruck dafür, dass in einer Krankheit Defizite, Schuld, ja Verbrechen anderer zum Ausdruck kommen.

2. Unsere Unfähigkeit zur Reinigung

  • Dass es in unserer Mitte Waschzwang gibt macht am Leib einiger weniger Menschen deutlich, woran es uns allen mangelt. Dort wo das Bedürfnis nach Reinigung kein Maß mehr findet, unheilvoller Zwang dem Menschen die Hände führt, dort kommt zum Ausdruck, dass wir alle zwar gelernt haben, an der Oberfläche, an der Außenhaut hygienisch zu sein; die Hygiene der Seele aber haben wir verlernt, weil wir uns keinen Begriff mehr machen von der Schuld, mit der wir uns und andere verunreinigen.
  • Dort wo Menschen zusammenleben, in Familien und Partnerschaften, dort erfahren wir ganz unmittelbar, dass das Versagen des einen die anderen betrifft und dass die Kulturlosigkeit der anderen das Leben des einen zerstört. Durch Egoismus und Kurzsichtigkeit lassen wir einander nicht atmen.
  • Ich glaube nicht, dass das etwas Neues ist, das vergangene Epochen nicht kannten. Ich glaube aber wohl, dass wir heute in besonderem Maße daran leiden, dass wir mit unserem Versagen nur noch sprachlos umgehen können. Wir gehen auseinander, lassen Beziehungen an unserem Versagen zerbrechen, sprechen uns bestenfalls noch in der Intimität einer Behandlung beim Psychologen aus.
  • Dabei haben wir in der Taufe, mit der wir alle getauft wurden, doch ein ganz anderes Fundament, auf dem wir bauen könnten. Wir haben ein ganz anderes Talent, mit dem wir wuchern können. Wir haben schon längst ein Geschenk, nach dem wir uns - blind - immer noch ausstrecken. In der Taufe sind wir, zumeist als wehrlos in die Welt schreiende Babys, von Gott durch die Kirche in eine Gemeinschaft gestellt, in der wir mit Schuld, Egoismus, Versagen umgehen können: Weil wir nicht auf uns selbst gestellt sind, weil wir mit unserem kleinen Licht nicht das ganze Dunkel des Universums ausleuchten müssen, gibt es einen Weg, mit der wir uns dem Versagen stellen können, bevor es unsere Beziehungen unter sich begräbt.
  • Die Kirche kennt beides: Das intime Bekennen der Schuld in der Beichte und die gemeinsame, öffentliche Bitte um Vergebung am Beginn jeder Heiligen Messe oder in den Bußandachten vor Weihnachten und Ostern. Diese rituellen Formen sind Erinnerungen, Verlebendigungen unserer Taufe. Denn in der Taufe wurde in großen Buchstaben "Vergebung" und "Rettung" über unser Leben geschrieben. Wir sollten nur damit beginnen es ernst zu nehmen.
  • Wir brauchen beides: Wir brauchen die rituelle, immer wieder kehrende Erneuerung der Taufgnade. Der Ritus im Schuldbekenntnis hält wach und lebendig, dass wir alle zusammen nicht aus uns heraus heilig sind, sondern von Gott berufen sind, zu seinem Heiligen Volk zu gehören. Wir dürfen einander nicht die Achtung verweigern, die Gott uns gewährt. Wir brauchen aber auch die intime, individuelle Reinigung im Sakrament der Buße, im Beichtstuhl oder Beichtgespräch, bevor unsere Zukunft an unserer Vergangenheit in die Brüche geht.

3. Die Taufe des Gottesknechts

  • Jesus geht den Weg zum Jordan, um sich der Taufe des Johannes zu unterziehen. Eben erst hatte Johannes die Schriftgelehrten abblitzen lassen, die sich taufen lassen wollten, ohne von ihrem selbstgefälligen Leben abzurücken. Jetzt will Johannes Jesus von der Taufe abhalten, weil er weiß und spürt und merkt, dass niemand weniger ein solches Bad der Reinigung braucht als Jesus, der Christus.
  • Jesus will es trotzdem. Er will es aus dem selben Motiv, aus dem er beim Letzten Abendmahl, am Ende seines Wirkens, als Diener seinen Jüngern die Füße wäscht, so sehr sich Petrus auch sträubt. Jesus vollzieht das Bad der Reinigung, in der Taufe am Jordan, in der Fuschwaschung im Abendmahlssaal, damit wir Gemeinschaft mit ihm haben und miteinander.
  • Das Kreuz von Golgotha hat nichts mit Masochismus zu tun. Es hat aber viel zu tun mit dem heutigen Fest. Es hat viel zu tun damit, dass Gott sich nicht mit seiner Heiligkeit zufrieden sein lässt, sondern sich mit uns abgibt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass einige unsere Krankheiten ausbaden müssen, dass andere an unserer Zivilisation zerbrechen, dass wir auf Kosten anderer leben. Gott geht den umgekehrten Weg: Er lässt sich infizieren von dem, was uns gefährdet, um den Antikörper zu entwickeln, der uns rettet.
  • Deswegen ist es kein beliebiges Geschehen, wenn wir uns aufrichten an der Vergebung im Schuldbekenntnis und der Erneuerung der Taufe. Es ist die wirksame Gegenwart unseres Gottes, der uns hier heilen will, damit wir leben können, als Gemeinschaft der Kinder Gottes in eine Welt hinein, die Heilung bitter nötig hat. Amen.