Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest Taufe des Herrn 1995 (Lesejahr C)

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08.01.1995 - St. Ignatius, Frankfurt/Main

1. Risikofaktor "Liebe"

  • Vor ein paar Wochen wurde eine Studie veröffentlicht, die untersucht hat, ob sich die Werbekampagne zur AIDS-Vorsorge in Deutschland erfolgreich ist und ob sich die Leute an die Regeln des "safer sex" halten oder nicht, und wenn nein: warum nicht. Das Ergebnis lohnt, darüber nachzudenken. Die Studie hat ergeben, dass sich die Leute in Risikosituationen sehr - wie es dann heißt - "verantwortungsbewusst" verhalten, wenn sie mit einem Partner nur für eine schnelle Befriedigung zusammen sind oder sich des ältesten Gewerbes bedienen.
    Als Risiko hat sich statt dessen eine ganz andere Situation herausgestellt. Wenn Menschen auch nach dem Xten Scheitern einer Beziehung zum ersten Mal mit einem neuen Partner schlafen, verzichten sie fast immer auf den Schutz vor AIDS, trotz aller Aufklärung. Das hat nicht mit Prüderie zu tun; Kondome kann man im Supermarkt kaufen wie Tempo-Taschentücher. An der Bettkante einer neuen Beziehung sind Kondome tabu, weil damit die Illusion zerstört wird, diesmal sei es die tragende Beziehung, diesmal sei es nämlich Liebe.
    So absurd es klingt: In diesen Situationen verzichten Menschen auf den Gummi-Schutz vor AIDS, weil sie meinen, jetzt treu sein zu können, richtig katholisch treu.
  • Die AIDS-Forschung spricht bei diesem Phänomen vom "Risikofaktor Liebe". Wo Menschen verliebt sind, da schalten sie ihre Vernunft aus und da werden klar gewusste, objektive Risiken souverän ignoriert.
    Der "Risikofaktor Liebe" liegt vor, wenn die Vernunft von der Sehnsucht nach einer gültigen, endgültigen Beziehung besiegt wird. Umso tragischer, dass nach aller Statistik auch diese Beziehung wohl wieder nur eine Lebensabschnittsgefährtenschaft bleiben wird.
  • Gegen das Scheitern von Beziehungen kann man sich nicht versichern, auch nicht durch Kirchenzugehörigkeit. Die Erfahrung belehrt uns, dass auch Menschen, die versuchen ihren Glauben zu leben, in Beziehungen und Bindungen scheitern.
    Und doch gehen Menschen das Risiko der Liebe ein, schalten die Vernunft aus, verlieben sich, hoffen voll Sehnsucht. "Alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit".

2. Ein risikofreudiger Gott

  • "Ich, der Herr habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand", sagt Gott in der Lesung aus dem Buch Jesaja zu seinem Volk, seinem Gottesknecht. "Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein."
    Im Evangelium wird diese Zusage auf Jesus hin konkretisiert. Als Jesus sich einreiht unter die vielen Menschen und sich als einer aus dem Volk taufen lässt, öffnet sich der Himmel, sichtbar kommt der Geist auf ihn herab und hörbar wird die Stimme: "Du bist mein geliebter Sohn".
  • Die Beziehung, die für uns so schwierig und risikobehaftet ist: Gott geht sie ein. Er geht sie ein im Bund mit seinem Volk. Er geht sie ein im Menschen Jesus von Nazareth, in dem er selbst sichtbar gegenwärtig ist. Er geht sie seitdem ein in der Taufe eines jeden Menschen, jedes kleinen Menschenkindes, das unter seinen Namen gestellt ist, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
  • Gott geht diesen Bund vor allem ein im schmerzlichen Wissen darum, dass wir uns mit der Treue so schwer tun. Es ist kein abstrakter Bund, den zu halten uns leicht fiele. Es ist ein konkreter Bund mit jedem einzelnen Menschen, der deswegen auch den widrigen Winden unseres ganz konkreten Lebens ausgeliefert ist.
    Gott geht dabei ein großes Risiko ein, das Risiko seiner Liebe; ein Risiko, das so groß ist, wie seine Liebe groß ist. Der "Risikofaktor" dieser Liebe ist, dass er mit uns Menschen infiziert wird, dem Bodenpersonal, wie es so schön heißt.

3. Die Taufe des Johannes

  • Der Täufer Johannes wollte Jesus abweisen. Seine Taufe war doch gedacht als Bekenntnis der Sünden und als Akt der Umkehr. Jesus schien ihm da fehl am Platz.
  • Jesus aber nimmt diese Taufe auf sich, als Zeichen der Schuld der Menschen, die er auf sich nimmt. Dieses Zeichen wird zur Realität im Kreuz. Damit macht Gott also mehr, als nur bewusst das Risiko der Liebe zu uns einzugehen. Er nimmt das Scheitern des Menschen mit hinein in diese Liebe, trägt selbst, was wir zu tragen unfähig sind.
  • In dieser Taufe Jesu am Jordan wird daher der Liebesbund begonnen, den Gott mit jedem Menschen schließt, der in der Taufe eingefügt wird in den Leib Christi. Das "Risiko" dieses Bundes nimmt Gott ganz auf sich. Für uns ist es Einladung: Zur Liebe und zur Treue in diesem Bund. Amen.