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Diese Irae

Zum Todestag von W.A. Mozart: "Missa pro defunctis"
über Musik und Liturgie mit Klangbeispielen am Klavier
Dienstag, 5. Dezember 2006, Holzhausenschlösschen Frankfurt

IHS - Jesuiten

1. Dies Irae im Requiem

Die Sequenz "Dies irae" wurde bei der Liturgiereform 1962 und endgültig 1970 aus der Messe für verstorbene herausgenommen. Schon 1955 hatte Pius XII den liturgischen Gebrauch eingeschränkt. Heute ist sie liturgisch nur noch im Stundengebet an Allerseelen innerhalb der Lesehore erhalten. Warum wurde dieser Text nach 400 Jahren aus dem Missale Romanum gestrichen?

Der Ursprung der Sequenz ist ungewiss, die ältesten Quellen gehen in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts zurück. Ursprünglich wurde die Sequenz am Ersten Advent verwendet und fand durch die Trienter Reform 1570 den Weg in das Requiem und wurde dadurch populär. Nicht nur bekannt, populär wurde die Sequenz. Denn die düstere Stimmung des endzeitlichen Gerichtes, der "Tag des Zorns" drückte eine vielfach empfundene Angst um die eigene Zukunft und das eigene Heil aus. Dem gegenüber hatte das II. Vatikanische Konzil in der "Konstitution über die Heilige Liturgie - Sacrosanctum Concilium" gefordert: "Der Ritus der Exsequien soll deutlich der österlichen Sinn ds christlichen Todes ausdrücken" (SC 81). Schon in der alten Fassung war der Sequenz die Lesung aus dem 1. Korintherbrief (1 Kor 15,51-57) vorausgegangen, in der Paulus angesichts der Auferstehung Christi fragt "Tod, wo ist dein Stachel?" Das Motiv der Zuversicht des Christen gegenüber Sünde und Tod war also präsent. Nicht die hoffnungsvolle Lesung aber, sondern die Sequenz war populär - und das besonders durch die Vertonung, auch in Mozarts Requiem.

Die Sequenz "Diese Irae" ist angesiedelt zwischen biblischem Glauben und außerbiblischen Ausmalungen. Das wird schon in der ersten Strophe deutlich. Darin wird auf die Bezeugung für den "Tag des Zornes" auf David und Sibylla verwiesen ("Teste David cum Sibýlla"). Mit David sind die Psalmen gemeint, als deren Schöpfer der singende König angesehen wurde. Überraschender ist hingegen Sibylla. Denn Sibylla ist ein sagenhaft dämonisches Wesen aus der außerbiblischen Welt des Orients. Woher genau diese Gestalt der Unheilsweissagung kommt, wissen wir nicht. Aber unter ihrem Namen wurde es auch im außer-palästinensischen Judentum populär, politische Weissagungen zu veröffentlichen: Die Sibyllinen. Mit dieser Literaturgattung konnten Juden und später auch Christen das, was innerhalb der Bibel die Apokalypse vertritt, auch Heiden gegenüber plausibel machen. Einiger dieser Texte waren bis ins Mittelalter präsent und so fand der Name Sibylla ihren Weg in das "Dies Irae" (1).

2. Dynamik der Sequenz

Die Sequenz besteht aus zwei Teilen und mündet in eine Fürbitte für den Verstorbenen, achtzehn plus einer Strophe. Der erste Teil mit sechs Strophen malt das Gericht am Ende der Zeiten. Die Bilder sind allesamt aus verschiedenen Schriften der Bibel und außerbiblischen Schriften übernommen. Am Ende der Zeiten, so schon vom Alten Testament her die Überzeugung, endet die Welt wie wir sie kennen Je nach Perspektive ist das ein ersehntes oder ein befürchtetes Ereignis. Für die apokalyptischen Schriften der Bibel auf jeden Fall überwiegt die Hoffnung. Denn diese Welt wird wahrgenommen als ein System der Unterdrückung und des Unrechts, in der der Gerechte leiden muss. Das Lukasevangelium etwa schreibt von dem Tag: "Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe."

Die Sequenz des Dies Irae hat den Schreckensaspekt des Jüngsten Tages an den Anfang gerückt. Angesichts der Schuld, die die Menschen auf sich geladen haben, erschaudern sie vor der Strafe, wenn beim Gericht alles offenbar wird. Mit Schaudern und Schrecken tritt die Kreatur vor ihren Richter. Da aber setzt der zweite Teil mit nun zwei mal sechs Strophen ein. Nach der "objektiven" Schilderung des Gerichtes spricht nun der einzelne Beter und fragt sich "Quid sum miser tunc dictúrus?" Was soll ich armer Mensch angesichts dessen sagen? Die Ausweglosigkeit dieser Frage lässt ihn den Richter an das erinnern, was dieser verheißen und getan hat. Der Beter appelliert an die Barmherzigkeit Gottes, die ihm in Jesus erschienen ist. Die ersten sechs Strophen enden mit einem Schuldbekenntnis und der Bitte um Erhörung des Gebetes. Dann setzt er neu ein mit der Erinnerung an die Vergebung der Sünden Mariae Magdalenas und der Heilszusage, die der eine Mitgekreuzigte nach dem Lukasevangelium (Lk 23,43) erfährt. Für den Beter aber bleibt der Text voll ungewissem Bangen.

Die Sequenz endet mit einer Bitte für den Verstobenen. Diese Strophe mag erst hinzu gekommen sein, als die Sequenz ihren Ort in der Messe für einen Verstorbenen, im Requiem, ihren Platz gefunden hat. Damit nimmt sie einen Doppelcharakter an. Auf der einen Seite ist sie eine apokalyptische Schilderung, die den Beter motiviert, sein ganzes Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit zu setzen. Auf der anderen Seite schildert sie die Situation des Verstorbenen, der nun vor Gottes Angesicht steht, und tritt in der christlichen Solidarität des Gebetes für ihn ein.

3. Zorn un Barmherzigkeit

Das Konzil hat im 20. Jahrhundert mit der Eindämmung des Dies Irae auch hier konsequent den Schritt zurück zu den Wurzeln des christlichen Glaubens getan, der als Maßgabe über der ganzen Liturgiereform stand. Auf eine Formel gebracht wurde der Dies Irae, Tag des Zornes, wieder als Dies Domini, Tag des Herrn, in ein rechtes Licht gerückt. Denn der Schwerpunkt der biblischen Texte und des frühchristlichen Glaubens liegt darauf, dass der allgemein erwartete Tag des Zornes für Christen der Tag sein wird, an dem Christus in Herrlichkeit erscheint. Auf dieser Hoffnung auf Vollendung, Rettung und Heiligung liegt eindeutig der Schwerpunkt im Glauben.

Andererseits ist das in den Hintergrund Getretene dadurch vielfach vergessen worden. Denn die Bibel im Alten wie im Neuen Testament kennt sehr ausdrücklich die Rede vom Zorn Gottes. Und schon hier hat das Schreckensbild die Funktion aus der Selbstsicherheit aufzurütteln. Wer sich auf seine Macht, wer sich auf seinen Reichtum, aber auch wer sich auf seine Religionszugehörigkeit verlässt, soll daran erinnert werden, dass Gott dem Unrecht nicht tatenlos zusieht. Der Prophet Zefanija ruft daher:

"Ein Tag des Zorns ist jener Tag, ein Tag der Not und Bedrängnis, ein Tag des Krachens und Berstens, ein Tag des Dunkels und der Finsternis, ein Tag der Wolken und der schwarzen Nacht, ein Tag des Widderhorns und des Kriegsgeschreis in den befestigten Städten und auf den hohen Zinnen. Da jage ich den Menschen Angst ein, so dass sie wie blind umherlaufen; denn sie haben sich gegen den Herrn versündigt. Ihr Blut wird hingeschüttet wie Schutt und ihr fettes Mark wie Kot. Weder ihr Silber noch ihr Gold kann sie retten am Tag des Zornes des Herrn. Vom Feuer seines leidenschaftlichen Eifers wird die ganze Erde verzehrt. Denn er bereitet allen Bewohnern der Erde ein Ende, ein schreckliches Ende. Du gleichgültiges Volk, sammelt euch, tut euch zusammen, ehe ihr zerstreut werdet und zerstiebt wie Spreu, ehe der glühende Zorn des Herrn über euch kommt, ehe über euch der Tag des glühenden Zornes des Herrn kommt. Sucht den Herrn, ihr Gedemütigten im Land, die ihr nach dem Recht des Herrn lebt. Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut! Vielleicht bleibt ihr geborgen am Tag des Zornes des Herrn." (Zef 1,16-2,3).

Es muss betont werden, dass sich Jesus in diese Tradition der prophetischen Rede einreiht. Auch er spricht von "jenen Tagen", diese "werden eine Not bringen, wie es noch nie eine gegeben hat, seit Gott die Welt erschuf, und wie es auch keine mehr geben wird." (Mk 13,19) Und auch Jesus - wie der Täufer Johannes - sprechen vom "Zorn" Gottes angesichts der Verstocktheit des Menschen gegenüber der Liebe, mit der ihm Gott entgegen tritt (vgl. Mt 18,34 über den Knecht, dem unendliche Schuld erlassen wurde, der aber seinem Mitknecht geringe Schuld abpressen will). Das Biblische Wort vom Zorn Gottes ist dabei weniger emotional als das deutsche, das vom Verb "Zürnen" kommt und vom altsächischen "torn" abgeleitet wird, das "bitter, grausam" meint. Das hebräische Wort geht vielmehr von dem Phänomen aus und bedeutet eigentlich "Schnauben". Das Schnauben der Naturgewalten, Sturm, Feuersbrunst, Erdbeben, wird als Ausdruck des Schaubens Gottes angesichts des Unrechts der Menschen gesehen. Die heidnischen Religionen haben das anderen, bösen Göttern in die Schuhe geschoben. Israel kennt nur einen Gott. Daher werden diese Unheilserfahrungen auf den einen Gott selbst zurück geführt, zwangsläufig. Aber dieser Zorn wird nicht als Gegensatz zu Gottes Gerechtigkeit gesehen, sondern als ihr Ausdruck. Und dieser Zorn wird auch nicht als Gegensatz zu Gottes Liebe gesehen. Das Volk Gottes hat vielmehr immer wieder die Leidenschaftlichkeit der Liebe seines Gottes erfahren.

Allzu oft hat die Kirche diese Erfahrung Gottes missbraucht um das heilige Schaudern vor der Größe der Liebe dieses Gottes umzumünzen in Autorität irdischer Männer. Von da her ist es richtig, dass das Dies Irae aus der Liturgie des Requiem gestrichen wurde. Denn gerade angesichts des Todes überwiegt im christlichen Glauben die Zuversicht, die in dieser Sequenz arg klein geschrieben ist. Auf der anderen Seite aber vermag ein musikalisches Stück uns heutigen jenen Schauer wieder in Erinnerung rufen, der mehr begriffen hat von der Größe Gottes, auch der Größe seiner Liebe.

A) Der Tag des Jüngsten Gerichtes
1 Dies irae, dies illa

Solvet saeclum in favilla;

Teste David cum Sibýlla

Tag des Zornes, jener Tag,
auflösen wird er das All in Staub»
wie bezeugt von David und Sibylla.
Tag der Rache Tag den Sünden,

Wird das Weltall sich entzünden,

Wie Sibyll und David künden.

2 Quantus tremor est futúrus,

Quando judex est ventúrus,

Cuncta stricte discussúrus!

Welch ein Zittern wird es geben,
wenn der Richter erscheinen wird,
alles streng zu prüfen!
Welch ein Graus wird sein und Zagen,

Wenn der Richter kommt mit Fragen

Streng zu prüfen alle Klagen.

3 Tuba, mirum spargens sonum

Per sepúlcra regionum,

Coget omnes ante thronum.

Die Posaune wird wunderlichen Laut erschallen lassen
über der Gräber Reich
zwingen wird sie alle vor den Richterthron.
Laut wird die Posaune klingen,

Durch der Erde Gräber dringen,

Alle hin zum Throne zwingen.

4 Mors stupebit et natura,

Cum resúrget creatúra,

Judicanti responsúra.

Der Tod wird erstarren und [auch] die Natur,
wenn auferstehen wird die Kreatur,
um vor dem Richter sich zu verantworten.
Schaudernd sehen Tod und Leben

Sich die Kreatur erheben.

Rechenschaft dem Herrn zu geben,

5 Liber scriptus proferétur

In quo totum continétur,

Unde mundus judicétur.

Ein Buch, beschrieben, wird man hervorholen,
in welchem alles steht,
aus ihm die Welt wird gerichtet werden.
Und ein Buch wird aufgeschlagen,

Treu darin ist eingetragen

Jede Schuld aus Erdentagen.

6 Judex ergo cum sedébit,

Ouidquid latet, apparébit:

Nil inultum remanébit.

Wird nun der Richter [zu Gericht] sitzen,
was auch immer im Verborgenen war:
es wird ans Licht kommen:
nichts wird unvergolten bleiben.
Sitzt der Richter dann zu richten,

Wird sich das Verborgne lichten;

Nichts kann vor der Strafe flüchten.

B) Der Beter vor dem Richter
7 Quid sum miser tunc dictúrus?

Quem patrónum rogaturus,

Cum vix justus sit secúrus?

Was werde ich Elender dann sagen?
welchen Anwalt werde ich erbitten,
wenn kaum der Gerechte sicher sein kann?
Weh! was werd ich Armer sagen?

Welchen Anwalt mir erfragen,

Wenn Gerechte selbst verzagen?

8 Rex tremendae majestátis,

Qui salvandos salvas gratis,

Salva me, fons pietátis.

König von erzittern lassender Majestät,
der du die zur Rettung Bestimmten errettest aus Gnade,
rette mich, Urquell der Milde.
König schrecklicher Gewalten,

Frei ist Deiner Gnade Schalten:

Gnadenquell, lass Gnade walten

9 Récordate, Jesu pie,

Quod sum causa tuae viae:

Ne me perdas illa die.

Gedenke, Jesus in Milde,
dass ich bin der Grund für deinen Weg [auf die Erde]:
auf dass du mich nicht verderbest an jenem Tage.
Milder Jesus, wollst erwägen,

Dass Du kamest meinetwegen,

Schleudre mir nicht Fluch entgegen

10 Quaerens me, sedísti lassus:

Redemísti Crucem passus:

Tantus labor non sit cassus.

Mich suchend, hast du dich erschöpft:
[mich] zu erlösen, das Kreuz hast du erlitten:
Solch große Mühe nicht sei vergeblich.
Bist mich suchend müd gegangen,

Mir zum Heil am Kreuz gehangen,

Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.

11 Juste judex ultiónis,

Donum fac remissiónis

Ante diem rationis.

Gerechter Anwalt der Vergeltung
schenke Vergebung
vor dem Tag der Abrechnung.
Richter Du gerechter Rache,

Nachsicht üb in meiner Sache

Eh' ich zum Gericht erwache.

12 Ingemísco, tamquam reus:

Culpa rubet vultus meus:

Supplicati parce, Deus.

Ich seufze wie ein Schuldiger:
Schuld lässt schamrot werden mein Gesicht:
dem sich Beugenden gewähre Schonung, Gott.
Seufzend steh ich schuldbefangen,

Schamrot glühen meine Wangen,

Lass mein Bitten Gnad erlangen.

C) Apell an Gottes Barmherzigkeit    
13 Qui Maríam absolvísti,

Et latrónem exaudisti,

Mihi quoque spem dedísti.

Der du Maria vergeben hast,
und den Schacher erhörtest,
mir auch Hoffnung hast du geschenkt.
Hast vergeben einst Marien,

Hast dem Schacher dann verziehen,

Hast auch Hoffnung mir verliehen.

14 Preces meae non sunt dignae:

Sed tu bonus fac benígne,

Ne perénni cremer igne.

Meine Bitten nicht sind sie es wert:
aber du Guter, lass Güte walten,
auf dass nicht für ewig ich brenne im Feuer.
Wenig gilt vor Dir mein Flehen;

Doch aus Gnade lass geschehen,

Dass ich mög der Höll entgehen.

15 Inter oves locum praesta,

Et ab haedis me sequéstra,

Statuens in parte dextra.

Unter den Schafen einen Platz weise mir zu,
und von den Böcken mich lass sein getrennt,
stelle mich auf die Seite zu deiner Rechten.
Bei den Schafen gib mir Weide,

Von der Böcke Schar mich scheide,

Stell mich auf die rechte Seite.

16 Confutátis maledíctis,

Flammis ácribus addíctis:

Voca me cum benedíctis.

Wenn vergehen werden die Verdammten
die den Flammen, den verzehrenden, ausgesetzt werden,
[dann] rufe mich zu den Gesegneten.
Wird die Hölle ohne Schonung

Den Verdammten zur Belohnung,

Ruf mich zu der Selben Wohnung.

17 Oro supplex et acclinis,

Cor contritum quasi cinis:

Gere curam mei finis.

Ich bitte unterwürfig und demütig,
mit einem Herzen, das sich in Reue zerknirscht wie Asche:
Nimm dich hilfreich meines Endes an.
Schuldgebeugt zu Dir ich schreie,

Tief zerknirscht in Herzensreue,

Sel'ges Ende mir verleihe.

18 Lacrimósa dies illa,

Qua resúrget ex favilla

Judicándus homo reus.

Tränenreich ist jener Tag,
an welchem auferstehen wird aus dem Staube
zum Gericht der Mensch als Schuldiger.
Tag der Tränen, Tag der Wehen,

Da vom Grabe wird erstehen

Zum Gericht der Mensch voll Sünden;

D) Fürbitte für den Verstorbenen
19 Huic ergo parce, Deus:

Pie Jesu Dómine,

Dona eis réquiem. Amen.

Ihm doch gewähre Schonung, o Gott:
milder Jesus, o Herr,
schenke ihnen Ruhe. Amen.
Lass ihn, Gott, Erbarmen finden.

Milder Jesus, Herrscher Du,

Schenk den Toten ew'ge Ruh. Amen.

 

Anmerkung

1. ein Textbeispiel aus dem 4. Buch des Sibyllinischen Orakels (2. Jh. n.Chr. ?): "152 Aber wenn die Frömmigkeit den Menschen verlorengeht, 153 die Treue und das Recht, und sie, in gottlosen Wagnissen 154 lebend, Übermut vollbringen, frevelhafte und böse Werke, 155 auf die Frommen aber niemand Rücksicht nimmt, 156 sondern die schwer Verblendeten in Torheit sogar dieselben alle verderben, 157 an Freveltaten sich freuend und auf Blutvergießen die Hände gerichtet habend: 158 dann möge man wissen, dass Gott nicht mehr gnädig ist, 159 sondern vor Zorn knirscht und das ganze Geschlecht 160 der Menschen zugleich verderben will unter einem großen Brande. 161 Ach, ihr armen Sterblichen, ändert dies und bringt nicht zu jeglichem Zorne 162 den großen Gott, sondern fahren lassend 163 die Schwerter und den Jammer und Männermord und die Freveltaten, 164 badet den ganzen Leib in immerfließenden Flüssen, 165 und die Hände zum Himmel ausstreckend, bittet um Vergebung 166 für die bisherigen Taten und sühnt mit Lobpreisungen 167 die bittere Gottlosigkeit. So wird es Gott gereuen, 168 und er wird euch nicht verderben; er wird seinen Zorn wiederum stillen, wenn ihr alle 169 die hochgeehrte Frömmigkeit in eurem Geiste übt. 170 Solltet ihr aber bösen Sinnes mir nicht gehorchen, sondern, ruchlosen Sinn 171 liebend, dies alles mit bösen Ohren aufnehmen, 172 so wird Feuer über die Welt kommen, bei welchem dies das Zeichen ist: 173 Schwerter, Trompeten, mit dem Aufgange der Sonne; 174 die ganze Welt wird ein Gebrüll und einen schrecklichen Schall hören. 175 Verbrennen wird es die ganze Erde und das ganze Geschlecht der Männer vernichten 176 und alle Städte, die Flüsse zugleich und das Meer; 177 ausbrennen wird es alles, dass es zu rußigem Staube wird.

178 Aber wenn dann alles zu Staub und Asche geworden ist, 179 und Gott das unsägliche Feuer stillt, er, der es angezündet, 180 dann wird Gott selbst wiederum die Gebeine und den Staub der Männer 181 gestalten und die Sterblichen wieder aufrichten, wie sie zuvor waren. 182 Und dann wird das Gericht sein, bei welchem Gott selbst richten wird, 183 die Welt wiederum richtend. Alle, welche in Gottlosigkeit 184 gesündigt haben, die wird wiederum die aufgeschüttete Erde verbergen, 185 und der modrige Tartaros, die Tiefen und die stygische Gehenna. 186 Aber alle, die da fromm sind, werden wiederum auf der Welt leben, 187 indem ihnen Gott den Geist gibt und Leben zugleich und Gnade 188 den Frommen; sie alle werden dann einander sehen, 189 das liebliche, erfreuende Licht der Sonne schauend. 190 O glückselig der Mann, der zu jener Zeit sein wird!"

zit. nach Weidinger, Erich: Die Apokryphen. Verborgene Bücher der Bibel. Augsburg (Pattloch) 1990, S. 547.