Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten am Morgen 2014

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25. Dezember 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Staunen

  • Wenn Kinder mit leuchtenden Augen ihre Geschenke auspacken, dann ist Weihnachten. Wenn die Kleinen nach vorne zum Baum kommen, um staunend die Krippe zu erkunden, dann zeigt sich darin etwas vom Zauber dieses Festes. Und, hoffentlich, wenn die Erwachsenen sich von dieser Fähigkeit der Erwartung und des Staunens etwas bewahrt haben, dann liegt in der Luft, was das Herz dieses Festes ausmacht: Verheißung und Staunen.
  • Für die Heilige Messe am Morgen des Weihnachtstages, die Hirtenmesse, ist das Evangelium nach Lukas vorgesehen, das von den Hirten erzählt, die zum Stall eilen. Wir haben soeben auch noch einmal die Szene gehört, die in der vergangenen Nacht gelesen wurde: Die Verkündigung an die Hirten durch den Engel.
  • So ist unsere Botschaft von Weihnachten eine Botschaft, die vom Himmel kommt, die Menschen zum Staunen bringt und in Bewegung setzt, die sie dahin führt dem Kind zu begegnen und seiner Mutter - und Gottes Lob zu verkünden.

2. Armut

  • Das Lukasevangelium hat es geschafft, in wunderbaren, präzisen und einprägsamen Bildern, das Geheimnis der Menschwerdung Gottes zu erzählen. Mit Bedacht hat er dabei den Hirten von Bethlehem viel Raum gegeben. Denn ihre Nachtwache ist das Bild für die Menschen, die in der Kälte und Dunkelheit des Lebens treu wachen und Ausschau halten. Sie wachen, um ihre Herde vor Unheil zu bewahren, und sind sich gar nicht bewusst, dass sie damit zugleich von Gott erzählen, der wacht und behütet.
  • Diesen Hirten erscheint der Weihnachtsengel. Sie sind es, die er wachend findet. Den Menschen, die in der Stadt den Herbergsuchenden die Türe gewiesen haben, kann er nicht erscheinen. Sie haben ihre Türe verschlossen. Die Hirten aber wachen.
    Sie sind es auch, die ahnen und die die Chance haben zu verstehen: "In Windeln gewickelt, in einer Krippe liegend" enthält den Kern der Botschaft des Engels. Ein jeder Mensch kommt in der Bedürftigkeit eines Säuglings, "in Windeln gewickelt", zur Welt. Und es sind die Armen, die wie die Hirten am Rande leben, die keine feine Wiege, sondern nur eine Futterkrippe haben, um das Kind sicher hinein zu legen.
    In den Hirten sehen wir diese Menschen aus allen Zeiten: Menschen, die voll Sehnsucht nach Gott leben und die eine Ahnung davon haben, dass es stimmen könnte, was der Engel ihnen verheißen hat: In der Armut eines Stalles, in der Natürlichkeit eines Kindes, das in Windeln liegt, wird Gott zum Rette seines Volkes: "Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr".
  • Papst Franziskus hat am Montag eine Weihnachtsansprache an die leitenden Mitarbeiter des Vatikan gehalten, die weltweit sehr viel Aufmerksamkeit gefunden hat, weil er darin den Kardinälen und Bischöfen einen Spiegel vorhält, der sie nicht gut aussehen lässt. Fünfzehn Krankheiten zählt er auf, an denen die Kurie in Rom krankt - aber vielfach auch die ganze Kirche. Dabei wünscht sich der Papst, dass die römische Kurie ein "kleines Modell der Kirche" wäre, "vereint in sich selbst und mit Christus".
    Die "Krankheiten" die Franziskus aufführt kennen wir vielleicht viel zu gut und wir können seine Trauer verstehen, wenn sie im Herzen der Kirche anzutreffen sind. Die Krankheit, sich unersetzlich zu fühlen, die geistige und geistliche Versteinerung, die Krankheit der Rivalität und der Ruhmsucht, die Krankheit des Geschwätzes, des Gemurmels, des Tratschens, die Krankheit der Gleichgültigkeit gegenüber anderen, und so weiter. Der Papst spricht es öffentlich aus, damit nicht nur in Rom an der Kurie, sondern in allen Gliedern der Kirche Heilung geschehen kann. Er ist sich dabei hoffentlich bewusst, das Heilung auch ein schmerzhafter Prozess ist, bei dem es mit Worten allein nicht getan ist.
    In der Mitte seiner Ansprache aber steht das, was der Papst "die Krankheit des geistlichen Alzheimer" nennt, "der Vergessenheit der Geschichte des Heils, der persönlichen Geschichte mit dem Herrn, der ersten Liebe." Alzheimer ist diese furchtbare Krankheit, in deren Verlauf einem Menschen mit dem Gedächtnis seine innerste Identität verloren geht. Ich ahne, was der Papst meint, wenn er Angst hat, dass ich als Christ an "geistlichem Alzheimer" erkranke, wenn ich Christus als Mitte meiner Identität vergesse. Um diese Liebe zu Christus ist es ihm zu tun. Denn nur mit dieser Liebe zum Herrn können wir Christen sein und als Christen leben.

3. Krippe

  • Deswegen ist das, was er sagt, eine echte Weihnachtsansprache, denn hier, an der Krippe, ist der Ort, an dem vielleicht sogar jeder von uns einmal als Kind gespürt hat, wie sehr ihm oder ihr Gott nahe ist in diesem Kind, wie zärtlich Gott uns begegnet, nicht nur in dem fernen Ereignis von Betlehem, sondern in unserem Leben, im Leben eines jeden von uns, der sich aufmacht zum Stall von Betlehem - hierher, an die Krippe.
  • Irgendwie sind wir immer in Gefahr, zu vergessen, was Kinder so unmittelbar empfinden. Wir verlieren leicht das Gespür dafür, dass das größte Geheimnis und der wertvollste Schatz uns in solcher Einfachheit und Demut geschenkt wird. Wir leben statt dessen eine Kultur, die den Überraschungseiern gleicht, mit denen Kindern das Staunen ausgetrieben werden kann: Denn außen sind sie in bunt glitzerndes Papier und in süße Schokolade gepackt. Aber die angebliche Überraschung innen ist - bei Lichte betrachtet - immer nur billige Wergwerfware.
    Die Hirten erfahren das Gegenteil: Nach außen ist ein "Kind, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt" nichts als Armut. Aber von innen her ist es Gottes Heil für alle Menschen.
  • Von den Hirten können wir lernen, wie wir die erste Liebe und das Staunen von der Krippe bewahren können, auch wenn wir zurück kehren in den Alltag und alt und älter werden.
    Denn die Hirten hören und berichten, was sie gehört und erlebt haben. Die Hirten sind in Kommunikation und Kommunion mit den anderen, zu vorderst mit Maria, die meditierend "alles, was geschehen war, in ihrem Herzen" bewahrte. Und nicht zuletzt sind die Hirten Menschen, die sich nicht zu schade dafür sind Gott zu loben, seine Herrlichkeit zu besingen, und so im Herzen die Erinnerung an die Liebe zu bewahren, die uns an Weihnachten erschienen ist. Amen.