Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten am Tag 1994

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25.12.1997 - Kolleg Sankt Georgen, Frankfurt/Main

1. Die adventliche Hoffnung

  • Über die Zeit des Advents bis zum Weihnachtsfest hin begleiten uns die Verheißungen der Propheten des Alten Bundes. Die Texte, die uns von ihnen überliefert sind, sind das Zeugnis einer Hoffnung, die eine Geschichte aus Unterdrückung, Versagen und Neuanfang begleiten und übersteigen. Immer stärker und immer deutlicher bricht sich die Hoffnung Bahn, immer stärker und immer deutlicher wird die Verheißung: Der Herr tröstet sein Volk vor den Augen aller Völker.
  • Im weihnachtlichen Festkreis hören wir diese Texte gerafft binnen weniger Wochen. Die Liturgie nimmt uns in einer gegenüber dem historischen Original atemberaubenden Geschwindigkeit durch die Hoffnung des Volkes hin zu seiner Erfüllung, dem Erscheinen des Retters in Jesus Christus.
  • Was? Schon wieder Weihnachten? hat mir eine Bekannte neulich im Gespräch gesagt, als wir gemeinsam merkten, wie nahe das Fest schon wieder ist. Der geplagte Ausruf ist aber mindestens so sehr eine verwunderte Frage, wie es denn sein könne, dass wir schon wieder, dass wir alle Jahre wieder Weihnachten feiern. "Heute ist er, der unsichtbare Gott, sichtbar als Mensch erschienen" werden wir nachher in der Präfation singen. Und dieses heute wiederholt sich Jahr für Jahr an Weihnachten.

2. Die Feier des Weihnachtsfestes bewährt sich am Gedächtnis der Christus-Sendung

  • Ich habe nichts gegen Tradition und Gewohnheit. Ich habe genug schlechte Gewohnheiten, daher ist es nützlich, in der Gemeinschaft der Kirche gute Gewohnheiten zu haben, wie die, alle Jahre das Fest der Geburt des Herrn zu feiern. Aber gerade dann ist die Frage geboten, woran sich das Weihnachtsfest bewährt, woran wir deutlich machen können, dass es eine gute Gewohnheit ist, es alle Jahre Weihnachten zu feiern.
  • Zweifellos bewährt sich die Feier des Festes daran, dass wir feiern, was der Gehalt des Festes ist: Gottes allmächtiges Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Allein die Erinnerung an Gottes Menschwerdung in der Geschichte ist sicher Anlass genug zu feiern. Weihnachten aber ist mehr.
  • Weihnachten ist mehr. Weihnachten ist im Angesicht unserer gegenwärtigen Geschichte, im Angesicht geschundener Menschen, im Angesicht ausgebrannter, sinnleerer Menschen. Weihnachten ist Erinnerung der Taten Gottes und Aufruf zur Tat in der Welt. Weihnachten ist das Vermächtnis der Gottesliebe zur Menschenliebe. Weihnachten steht für all das Gute und Schöne und Heile, das wir uns für unsere Welt ausdenken und wünschen mögen: eine heilere Welt, eine geschwisterlichere Kirche.
  • Wenn aber Gottes fleischgewordenes Wort nicht mehr zu sagen hat, als das, was wir uns selbst im Augenblick erhabener Gesinnung ausdenken und austräumen können - hat sich dann die Mühe Gottes gelohnt, sein Wort vom Stall zu Betlehem bis zum Schandbalken des Kreuzes auszusprechen? Wenn Gott nicht mehr zu sagen hat, als unsere Vernünftigkeit sich ohnehin selbst ausdenken mag - Warum dann diese Mühe?
  • Was Weihnachten für unsere Welt bedeutet, drückt das englische Wort weit besser aus als das Deutsche Weihnachten. Christmas, das ist die Christus-Messe, das Gedächtnismahl der Eucharistie. Diese Christus-Messe, wie jede Messe, hat ihren Namen von jenem Satz an ihrem Schluss, ite missa est: Ihr seid gesandt. Daran bewährt sich Weihnachten, dass es uns nicht nur um die nächtlichen Lichter am Baum und auch nicht nur um das Mahl am Altar versammelt, sondern wir uns aus dieser Versammlung heraus senden lassen.
  • Der Alte Bund kannte im Letzten nur die Berufung, der Neue Bund sendet die Berufenen. (Dass diese Sendung allen Völkern gilt ist der geheimnisvolle Sinn der "Verstockung" des Volkes Israel; da die Seinen das Wort nicht annahmen bei seinem ersten Kommen, wird es hinausgetragen in die ganze Welt, bis es am Ende des Weges der Geschichte auch sein Volk erfährt und ergreift).
  • Weihnachten ist nicht der exodus aus der Welt, sondern die Sendung Christi in diese Welt hinein. Daher ist für uns Weihnachten nicht eine reine Erinnerung, auch wenn sie uns wohlige Gefühle schenkt. Weihnachten ist das vergegenwärtigende Gedächtnis der Berufung und Sendung. Das ist das, was wir uns selbst weder erdenken noch geben können; wir können uns nur von einem anderen senden lassen: nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren.

3. Vom fleischgewordenen Wort in die Welt gesandt

  • Das will bedacht und gelebt sein. Denn vielleicht würde für einen Exodus, für eine Trennung vom Dunkel der Welt ein einzelner, entschlossener Akt ausreichen, um uns vor der Befleckung zu bewahren. Unsere Berufung aber ist Sendung in die Welt hinein und prägt sich genau darum in der weltlichen Gestalt der Kirche aus. Wer daher an der weltlichen Gestalt der Kirche, ihrer juristischen Form und der im Dogma festgehaltenen Kunde sich stößt, vergisst die Sendung.
  • Gerade die Sendung in eine immer komplizierte, uneindeutige Welt hinein macht es zum herrlichen Geschenk, dass wir alle Jahre wieder das Gedächtnis unserer Sendung begehen.
  • Wir feiern Jahr für Jahr das Gedächtnis der Menschwerdung Gottes, um uns von Gott senden zu lassen. Gerade weil Gott das Wagnis unternommen hat, mitten in diese Welt hinein zu gehen, vom Stall zu Betlehem her, vom Kreuz her Menschen zu berufen und zu senden, diese Welt zu durchsäuern, daher dürfen wir das Gedächtnis im Jahresrhythmus dieser Welt feiern. Jahr für Jahr, bis er kommt in Herrlichkeit. Amen.