Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten am Tag 2004

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25.12.2004 - Unterschwappach/Knetzgau

1. Mythos

  • Weihnachten ist ein Mythos. Insbesondere ist Weihnachten ein schöner Mythos. Manchmal, vielleicht sogar oft, funktioniert dieser Mythos auch. Denn ein Mythos ist etwas, was zwar nie geschehen ist, das aber doch manchmal funktioniert, wenn man daran glaubt. Der Mythos von Weihnachten heißt: Wir haben einander lieb, zumindest an diesem einen Tag im Jahr
  • Weihnachten ist eine wunderbare Zeit. Familien treffen sich. Manche Familien kommen sogar nur zu dieser Zeit zusammen, weil sie zerstreut leben. Weihnachten ist die Zeit der Stille und der Besinnung. Wir schenken einander schöne Sachen, um uns zu zeigen, dass wir einander wertvoll sind. Weihnachen durftet nach Tannengrün und Lebkuchen. Weihnachten ist wunderbar.
  • Für manche aber ist Weihnachten eine schwere Zeit. Sie erinnert uns an Menschen, die vor einem Jahr noch mit uns gelebt haben und jetzt gestorben sind. In diesen Tagen spüren Menschen den Verlust besonders. Für andere ist Weihnachten aber auch die Zeit, in der man besonders merkt, wie fremd man sich geworden ist. Wenn das Fernsehprogramm nicht wäre, wüssten manche gar nichts mit der Stille anzufangen. Dann zerplatzt der Mythos wie eine Seifenblase. Gerade - aber nicht nur - für Menschen in den Großstädten kann daher Weihnachten vor allem das zeigen: Wie große die Leere im eigenen Leben ist.

2. Faktum

  • Weihnachten ist ein Faktum. Das Wort "factum" kommt im Evangelium des Tages gleich mehrfach vor. "Et verbum caro factum est" - Das Wort ist im Fleisch Tatsache geworden. Alles, was der Fall ist, ist durch dieses Wort geworden. Davon singt das Jubellied, das Johannes als Prolog vor sein Evangelium stellt.
  • Noch bevor Christen das Evangelium hören, singen sie ein Loblied. Auch heute in der Messe steht das Gloria vor der Lesung. Denn nur mit einem Loblied können wir erfassen, was Weihnachten bedeutet: "Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht." Gott, der der Grund aller Wirklichkeit und unseres ganzen Lebens ist, er bleibt uns nicht fern. Er wohnt unter uns.
  • Was vielen fremd vorkommt, ist hier zu Hause. Es ist schon merkwürdig. Wenn alles aus Gott stammt und alles, was lebt, aus Gott das Leben hat, dann ist niemand mit der ganzen Schöpfung so sehr verbunden und hier zu Hause wie Gott. Und dennoch hat es Gott schwer. Viele Menschen finden gar keinen Zugang zu Gott. Der Glaube erscheint ihnen wie ein Fremdkörper. Aber selbst hier, bei uns, die wir zusammen das Glaubensbekenntnis sprechen, ist keineswegs nur heile Welt. Ich kenne mich selbst genug, um zu wissen, wie oft auch mir Gott fremd ist.

3. Zukunft

  • Dieses Fest hat die Kraft, die Welt zu verändern. Im Evangelium heißt es "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren sind." Das gibt den Hinweis darauf, dass wir an Weihnachten feiern, dass es eine Wirklichkeit gibt, die die Welt verändern kann - und zu aller erst auch uns selbst.
  • An Weihnachten treffen Mythos und Faktum aufeinander. Die Erfahrung ist, dass wir an Weihnachten nicht mehr Familie, Liebe Freude und Glauben haben, als über das Jahr. Wenn zwei Menschen das ganze Jahr nicht miteinander reden, werden sie es auch nicht an Weihnachten tun. Wenn wir aber unser Jahr von der Liebe prägen lassen, kann auch Weihnachten ein Fest der Liebe sein.
  • Und dennoch ist diese Weihnachten, das wir zusammen feiern, auch ein Neubeginn. Denn dieses Fest ist nicht nur die Erinnerung an längst Vergangenes. Wir feiern das Gedächtnis der Menschwerdung Gottes in unserem Fleisch, und in der Feier wird es für uns heute ein Faktum: Es geschieht, dass Gott uns mit seiner Wirklichkeit ergreift. Wenn wir das Lob Gottes singen, ist Gott in uns. "Wir haben seine Herrlichkeit gesehen", die Herrlichkeit Gottes, die in unser Leben hineinstrahlt, "voll Gnade und Wahrheit". Amen.