Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten am Tag 2010

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25.12.2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Mensch werden

  • Wo Menschenwerdung geschieht, da hält die Welt den Atem an. Es steht zumeist nicht in den Zeitungen und gilt als alltägliches Ereignis. Und doch ist es immer etwas ganz Einmaliges und Besonderes. Was in einer vermutlich lustvollen Nacht begonnen hat, wird langsam, zunehmend spürbar und sichtbar - hoffentlich nicht nur für die Mutter, sondern auch für den Vater, die Familie, die Freunde. Ein Mensch ist im Werden. Ein einmaliges Ereignis.
  • Das kleine Wesen ist ein Mensch, ganz und gar. Und doch ist das mit der Menschwerdung nicht ein punktuelles Ereignis. Mensch sein bedeutet Mensch zu werden, so paradox das klingen mag. Die Welt hält den Atem an. Ein Menschenleben ist immer ein offener Weg. Keiner kann uns garantieren wie es ausgeht.
  • Aber genau das macht es aus, ein Mensch zu sein. Eine Maschine ist fertig, wenn sie fertig ist, und läuft, bis sie kaputt geht. Menschwerdung ist in jedem Alter eine Herausforderung. Das passt nicht einfach in die Kategorien von Scheitern und Gelingen. Natürlich kann im Leben manches schief gehen. Es gibt sogar Menschen, bei denen es den Anschein hat, als hätten sie ihr eigenes Projekt der Menschwerdung aufgegeben. Aber selbst dann sind - bei allen Problemen - noch Augenblicke jener großen Würde möglich, die tiefer geht als alles anscheinende Scheitern.

2. Göttlich werden

  • Das Evangelium nach Johannes beginnt mit einem Lied. In diesem Lied heißt es vom Wort, das Gott selbst ist, dass es "Fleisch" wird. Fleischwerdung Gottes, 'Inkarnation', besingt dieses Lied und verkündet dieses Evangelium. Nicht, dass es falsch wäre, von Menschwerdung zu sprechen. Fleischwerdung aber macht ganz deutlich: Gott wird Mensch mit Haut und Haaren, mit einer Geschichte mitten in unserer Geschichte, mit Erfahrungen des Gelingens und Erfahrungen des Scheiterns.
  • Gottes Leben als Mensch ist menschlich. Gott wird Mensch nicht allein in dem Augenblick, in dem die Jungfrau - ohne allen Willen des männlichen 'Fleisches' - ein Kind empfängt. Gott wird Mensch nicht allein in dem Augenblick, in dem das Kind im Stall zu Bethlehem geboren wird. Gott wird vielmehr Mensch in der ganzen Menschwerdung Christi von der Empfängnis bis zum Kreuz. All dies ist Menschwerdung.
  • Was Gott tut und wie Gott ist, das ist göttlich. Wie göttliches Leben ist, erkennen wir im Blick auf den, dessen Geburt wir heute feiern. Dass wir es genau heute feiern, drückt aus, dass wir für unser Leben in ihm das Licht sehen. So wie das Tageslicht nach der Wintersonnwende stetig zunimmt, so geht dieses Licht auf, Schritt für Schritt. Werdendes Leben, das ist göttlich.

3. Verheißung

  • "Allen, die ihn aufnehmen, gibt er die Macht, Kinder Gottes zu werden". Es gibt zwar auch die Verstockung und Zurückweisung: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." Aber stärker ist die Verheißung: Weil Gott Mensch wurde, sind wir dazu berufen, Erben Gottes zu werden, Gottesmenschen! Wenn man genau hinsieht merkt man, dass die Bibel den Menschen überhaupt als den sieht, dessen Ziel und Möglichkeit es ist, Kind Gottes zu sein, göttliches Kind, göttlicher Mensch.
  • Was es dazu braucht ist ein "ihn Aufnehmen". Jesus, den Christus, "aufnehmen" ist die göttliche Berufung für uns Menschen. - Die Versuchung aber ist, ihn nur halb bei uns aufzunehmen: nur den glorreichen, schönen, erfolgreichen, bewunderungswürdigen Jesus anzunehmen. Ihn ganz aufzunehmen bedeutet aber auch seine Wunden anzunehmen, die Ablehnung, die Auseinandersetzung und den Streit - und letztlich die Schmach des Kreuzes. Denn so ist Gott ein Mensch geworden.
  • Mit Jesus Gottes Kind zu werden, bedeutet Mensch zu werden; die Taufe macht das ausdrücklich. Daraufhin sind wir geschaffen. Gerne legen wir unsere Maßstäbe des Erfolges an ein Menschenleben an. Die Verheißung, Kinder Gottes und damit 'voll Mensch' zu sein, erfüllt sich aber anders. Sie erfüllt sich nur, wenn wir das Gelingen und das Scheitern, das Angenehme und das Schwere, eben das, was wir leisten können, ebenso wie das, was wir nicht schaffen, mit Liebe anzunehmen. Denn alles gehört zu unserem Menschsein hinzu. All das will Gott durch seine Liebe annehmen. Deswegen wird Gott Mensch. Amen.