Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag im Lesejahr B 2024 (Ijob)

Zurück zur Übersicht von: 5. Sonntag Lesejahr B

4. Februar 2024 - St. Peter, Sinzig

1. Leiden

  • "Leben ist Leiden!", lautet die erste Edle Wahrheit des Buddha Siddhartha Gautama. Dabei ist "Leiden", so wird betont, wohl ungenügend übersetzt. Es ist die Last, von der sich zu befreien der Mensch den Pfad des Buddha gehen soll. Er lebte etwa 500 Jahre vor Christus etwa zu der Zeit, als das Buch Ijob verfasst wurde, eine literarische Erzählung aus dem Alten Testament, die auch das Leiden zum zentralen Inhalt hat.

  • Genauer geht es in der biblischen Erzählung um Ijob um das Leiden des Gerechten. Die alte Gleichung, dass es einem gut gehe, wenn man sich nur an Gottes Gebot hält, war immer schon problematisch. Kunstvoll wird im Buch Ijob eine Person geschildert, die gottesfürchtig und gerecht ist, aber durch diabolisches Wirken alles verliert und in Leid und Elend gestürzt wird. Der Hauptteil des Buches schildert, wie die vorgeblichen Freunde des Ijob versuchen, ihn zu überzeugen: am Unglück, das ihn ereilt, müsse er selbst schuld sein. Er solle nur seine Schuld reuig bekennen. Doch Ijob weigert sich – und die Bibel gibt ihm recht. Das Leiden des Menschen ist nicht so einfach auf eine Gleichung zu bekommen: Wer sich gut verhält, dem geht es gut.

  • Zur gleichen Zeit, viereinhalb Tausend Kilometer weiter östlich in Nordindien, erfährt Siddhartha sein Erwachen. Alles Leben ist 'Leiden', sei ein leidvolles Anhaften an Streben und Verlangen. Nicht nur der Hunger sei leidvoll, sondern auch die edlen Speisen, nicht nur die Armut auch der Reichtum – denn alles Schöne trage den Keim der Vergänglichkeit in sich. An was immer der Mensch sein Herz bindet – es werde ihm doch genommen. Nur durch Erlöschen, sich Abwenden von allem könne das Leiden beendet werden. Und der achtfache Pfad des Buddha lehre, wie dies möglich sei. - Ist also auch für Ijob nicht nur das Unglück Leiden, sondern war es schon sein vorhergehendes Glück?

2. Leben

  • Die Erfahrung Israels mit seinem Gott ist anders. Man kann viele Berührungspunkte zwischen Buddhismus und Bibel finden und manche Brücke bauen. Das Gespür für Vergänglichkeit von vielem ist in beiden unvermeidlich, wenn sie in Meditation und Fasten Freiheit zu Macht und Reichtum gewinnen.

  • Dennoch, mir scheint, die Grunderfahrung in beiden Traditionen ist grundverschieden. Das Buch Ijob war zwar nur biblische Literatur. Aber sie spiegelt Erfahrung wider. Im Kreuz Jesu, des Gerechten, stellt sich die Frage in allem Ernst. Ist alles nur Leiden? Oder kann mitten im Leid die Liebe mächtiger sein, die nicht das Lösen und Verlöschen zum Ziel hat, sondern sich bindet.

  • Das Vertrauen der Bibel ist, dass der eine Gott diese Welt gut geschaffen hat. Nicht die Lösung von der Welt und das Verlöschen des begehrenden 'Ich' ist der Weg der Befreiung aus der Sklaverei, sondern das Vertrauen in den Gott, der uns beim Namen nennt. Nicht sein Herz frei zu machen von aller Bindung ist der Weg, sondern der Bund, den Gott seinem Volk anbietet. Gegenüber dem Verlöschen in ein Nirwana verheißt Gott das, was die biblischen Autoren provokant die Auferstehung des Fleisches nennen. Dieses Leben, ganz konkret und leiblich, hat Gott geschaffen. Kein Tod und keine Sünde kann Gott daran hindern, es zu erneuern.

3. Ijob

  • Später wurde – so vermutet man – der ursprünglichen Ijob-Erzählung eine Rahmung hinzugegeben, die heute zum biblischen Buch Ijob dazugehört. Diese Rahmung bietet so etwas wie eine höhere Perspektive, Gott und der Satan und sogar ein Happy End. Das ändert aber nichts daran, dass der Kern dieser Erzählung ein Mensch ist, der von seinem Vertrauen in Gott nicht lassen mag. Weder das Leid, das ihn überkommt noch aller Verlust, den er erleidet,noch nicht einmal die vorgeblichen Freunde, die ihm einreden seine eigene Sünde und Schuld habe ihn von Gott entfremdet – nichts von alldem lässt Ijob daran zweifeln, dass er Gott vertrauen kann. Deswegen können wir als Christen in dieser Erzählung so viel von der Einsamkeit Jesu am Kreuz wiederfinden. Und seinem Vertrauen.

  • Das Kreuz ist nicht die Negierung der Welt. Es ist nicht das Zeichen, dass alles verworfen und vergeblich sei. Im Gegenteil wird es zum Zeichen des Heils für eben diese Welt. Für sie, nicht gegen sie hat Christus das Kreuz getragen. Der heilende Christus, der sein Volk sammelt, bleibt das Ziel seiner Sendung.

  • Die Schönheit von Gottes Schöpfung ist für Christen immer noch der Beginn der Heiligen Schrift, nicht dass alles Leiden sei. Ja, es gibt auch für Christen die Erfahrung des Leidens. Aber gerade weil so vieles in unserem Leben einzig und einmalig ist, unwiederholich und unwiederbringlich, macht es für uns wertvoll. Weil die Welt nicht aus einem ewigen Kreislauf geboren ist, sondern aus einer Liebe die gesprochen hat: Ich will! Um diese Welt ist Gott Mensch geworden. In dieser Welt geht er auf den einzelnen Menschen zu, fasst uns an der Hand und richtet uns auf – dass wir einander dienen und die Welt als liebenswerten Ort gestalten, den zu bewahre es lohnt.