Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 20. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Johannes)

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20. August 2000 - St. Michael, Göttingen, 20. August 2000

1. Von der Finsternis zum Licht

  • "Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein"(V14). Dieser rätselhafte Satz steht im Epheserbrief. Ein Toter wird angesprochen und aufgefordert aufzuerstehen, damit Christus sein Licht sei. Es ist ein Weckruf. Aber er richtet sich an einen, der als tot bezeichnet wird, einer der in der Dunkelheit des Todes lebt. Dieser wird als Schläfer angesprochen. Das macht deutlich, dass dieser im Tod nur deswegen verharrt, weil er nicht wach ist, nicht aufmerksam, sondern schlaftrunken in seiner Dunkelheit verharrt.
  • "Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein." Vermutlich war dieser Satz Teil der Tauffeier in der frühen Christenheit. Der Täufling hatte sich schon auf seine Taufe vorbereitet, er hatte die Heilige Schrift studiert und wurde im christlichen Glauben unterwiesen. Gott hatte ihn bereits das Herz für den Glauben geöffnet. Jetzt aber ist für ihn der Augenblick gekommen, dass Gott an ihm auch sichtbar tätig wird: In der Taufe tritt der Mensch endgültig in das Licht, das Christus selber ist. Er wird der Dunkelheit und dem Tod entrissen, um in Christus zu leben. Die Stunde ist für ihn gekommen vom Dunkel zum Licht, vom Tod zum Leben hinüberzugehen. Dies ist die eigentliche Zäsur in seiner Biographie, gegenüber der alle anderen verblassen.
  • Der Schläfer wird nicht am Morgen geweckt, um den Tag über mühselig zu arbeiten und am Abend wieder erschöpft ins Bett zu sinken. Hier klingelt nicht der Wecker für Langschläfer. Dieser Weckruf gilt der Ewigkeit. Vom Tod soll der Mensch erweckt werden, mit der Bestimmtheit und Unwiderruflichkeit, mit der nur Gott handeln kann.

2. Töricht und unverständig

  • "Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts!" (V8). Man muss sich klar machen, dass vorausgesetzt ist, dass diejenigen, die den Brief des Paulus lesen, Getaufte sind. Paulus setzt voraus, dass wir Licht sind, weil wir durch die Taufe in den Leib Christi aufgenommen sind. Die eigentliche Lesung, die für den heutigen Sonntag ausgewählt ist, setzt daher auch hier an. "Lebt als Kinder des Lichts!"
    Wie lebt man als Kind des Lichtes, als Getaufter? Was kann jedermann zu Recht von einem Christen erwarten? "Achtet sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt!" (V15) Paulus bringt hier keinen Tugendkatalog. Vielmehr sagt er uns: Wir sollen klug sein, nicht töricht. Wir sollen begreifen.
  • Denn, so sagt Paulus, "diese Tage sind böse" (V16), ohne Differenzierung, ohne Einschränkung: böse.
    Vielleicht hat sich schon vorher Ihr Widerspruch gemeldet. Hier wird er sicher laut. "Diese Tage sind böse." Eine solche Zeitanalyse, so undifferenziert negativ, kann und darf man doch nicht unwidersprochen lassen. Natürlich wird man manches Böse ausmachen können. Ungerechtigkeit, Gewalt, Hass, Zügellosigkeit, Verachtung, Ausbeutung von Mensch und Natur - jeder von uns kann einen Lasterkatalog zusammenstellen.
    Darum geht es aber gar nicht. All dies sind Erscheinungsformen. "Die Tage sind böse!", ist nicht gemeint und geeignet als Urteil über andere, um trefflich schimpfen zu können. "Die Tage sind böse!", ist Ausgangspunkt, um den eigenen Standort zu bestimmen zu können. Es ist der Wurm in einer Welt, die gründet im ständigen Wechselspiel von Rebellion gegen Gott, den Gerechten, und williger Unterwerfung unter allerlei Ordnung und Herrschaften, die sich Gottes Namen aneignen.
  • "Diese Tage", das ist der genaue Zeitpunkt, der kairos, an dem Christus der Welt gegenübertritt, die Zeit, zu der sich Gott der Welt offenbart und damit zur Entscheidung herausfordert. Wer sich selbst zum Herrn der Welt aufschwingt, muss nun Farbe bekennen. Dies war in den Tagen der jungen Kirche unmittelbar deutlich. Wer Christus, das Licht, als Herrn der Welt bekannte, setzte sich in direkten Widerspruch zu den gottgleichen Herrschern und den Verwaltern des religiösen Erbes. Die Zeit der Märtyrer machte das überdeutlich.
    Dass heute in unseren Breiten Christen keine blutige Verfolgung erleiden, darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Grundgegensatz heute genauso gilt. Wo Christus verkündet wird, wo Gott Anspruch auf einen Menschen erhebt, wo wir in der Taufe in das Licht Gottes treten, da hat dies Konsequenzen. "Töricht" ist und "unverständig", wer das nicht sieht. Denn dann übersehe ich, dass die Gottesferne, die Ungerechtigkeit, die Habsucht auch nach meinem Herzen greift, obwohl ich doch durch die Taufe Gott gehöre. Konfrontation der bösen Tage mit dem Licht Christi hat also präzise den Zweck, mein Leben vor die Entscheidung zu stellen.

3. Vom Geist erfüllt

  • Der Ausdruck "sich abfüllen lassen" weckt bei mir ausgesprochen gemischte Jugenderinnerungen. Ich assoziiere freigiebige Freunde, die es sich nicht nehmen lassen, mir mehr zu trinken zu verpassen, als der reine Durst verlangt. Bekanntermaßen hat dies eine gewisse Trübung der Sinne zur Folge. Paulus fordert uns dazu auf, uns abfüllen zu lassen, allerdings nicht mit Wein, sondern mit Heiligem Geist. "Berauscht euch nicht mit Wein - das macht zügellos -, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!", hieß es in der Lesung. Wörtlich aber sagt Paulus von dem Wein, mit dem man sich trunken macht, dass in ihm Heillosigkeit ist.
    Nicht Zügellosigkeit ist das Problem, sondern Heillosigkeit. Es bringt nichts, es führt zu nichts, es führt nicht zu Heil sich die Sinne zu betäuben, indem wir uns berauschen. Heillos ist es, sich der Sinne zu berauben - mit was auch immer. Ob Alkohol oder Drogen, ob Konsum oder Arbeit, ob ausschweifende Erotik oder das Trommelfeuer der Erlebnisse, Töne und Bilder. Es ist heillos, sich den klaren Sinn nehmen zu lassen.
  • Die schlimmste und verheerendste Droge des 20. Jahrhunderts war die Masse. Nichts lässt derzeit hoffen, dass das 21. Jahrhundert sich darin von seinem Vorgänger unterscheidet. Das 19. Jahrhundert hatte noch das Licht der Aufklärung verkündet. Durch Abwerfen der Vorurteile würde der Mensch aufgeklärt und gehe einem hellen Zeitalter entgegen.
    Tatsächlich zog der aufgeklärte Mensch zum Beginn des Jahrhunderts unter dem Jubel der Masse in den Ersten Weltkrieg. Wurde zuvor die Politik in verrauchten Herrenkabinetten gemacht: jetzt finden sich die Menschen auf der Straße.
    Dort stehen sie erst vereinzelt herum. Erst sind es nur wenige. Plötzlich aber ist alles schwarz von Menschen und das Individuum taucht selig in diese Schwärze ein, die alles Helle auslöscht, den dumpfen Gefühlen Raum und Ausdruck gibt und das sichere Gefühl verleiht, einer von vielen zu sein.
    Die zweite Hälfte des 20 Jahrhunderts versammelte zwar weiter die Massen, an seinem Ende in nie gekannter Zahl. Über eine Millionen Menschen zucken und rappen glückselig im Rausch der nächtlichen Masse durch Berlin. Der moderne Massenmensch aber hat neben diesem ins Gigantischen gesteigerten Volksfest die verlässlichen Anweisungen, sich in einen aus der Masse von vielen zu verwandeln, indem er das Programm der Masse übernimmt, ihre Mode teilt, ihre Musik hört, ihre Trends studiert und internalisiert. Es sind die Medienmassen, gesteuert von den Massenmedien, die das Jahrhundert verändert haben. Schwarz selbst bei bunt schillerenden Fernsehschirmen. Masse berauscht mehr noch und gefährlich als der heillose Wein.
  • Die direkte Alternative, zu der uns Paulus einlädt ist der Gottesdienst. Nutzt die Zeit, lasst euch vom Geist erfüllen und singt Jubellieder der Danksagung. Feiert im Namen Jesu Christi, des Herrn Eucharistie (V 20). Das ist die Feier, das ist der Geist, das ist der Jubel, der die Sinne nicht berauscht, sondern schärft. Die Sinne werden geschärft, weil die Gemeinschaft, die zur Danksagung zusammenkommt, sich nicht in besinnungslosem Jubel ertränkt, sondern auf einzigartige Weise den einzelnen Raum gibt, sich mit Gott zu verbinden und doch nicht allein zu sein.
    Auch dem Gottesdienst wohnt die Gefahr der schwarzen Masse inne. Wo immer die Kirche voll ist, wird von der puren Gegenwart der Vielen mindestens so viel Befriedigung ausgehen als von der Predigt, der Feier und ihren Zeremonien. So verständlich das ist, es ist gefährlich. So sehr man sich über die eineinhalb Millionen beim Weltjugendtreffen mit dem Papst freuen kann, so sehr der Katholikentag ein Highlight des Glaubens sein mag: dies muss die Ausnahme bleiben, weil es mindestens so viel schadet wie hilft. Wo die Masse trunken macht, dort ist sie nicht mehr der Gottesdienst, den Paulus der heillosen Trunkenheit des Weines gegenüberstellt. Wir sind nicht aus der Dunkelheit des Todes gerufen worden, um unsere eigene Schwärze zu produzieren. Wir sind nicht beim Namen gerufen und getauft worden, um namenlos zu versinken. Wir sind berufen, im Licht zu leben.
    So mag der Messe etwas Nüchternes anhaften. Das schadet nicht. Denn es hilft uns, als vom Licht Christi erleuchtete zu leben, nicht töricht, nicht benommen, sondern vom Geist erfüllte. Amen.

 

Literaturhinweise:
Schlier, Heinrich: Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar. Düsseldorf (Patmos) 1962. 3 Auflage.

Sloterdijk, Peter: Die Verachtung der Massen. Versuch über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft. Frankfurt/Main (Suhrkamp) 2000.
Canetti, Elias: Masse und Macht. Hamburg (Claassen) 1960.
"geschlossene Masse": "Wer einer Predigt beiwohnte, war gewiss im guten Glauben, dass es ihm auf die Predigt ankam, und er wäre erstaunt und vielleicht empört gewesen, hätte ihm jemand auseinander gesetzt, dass die große Zahl der anwesenden Hörer ihm mehr Befriedigung gewähre als die Predigt selbst. Alle Zeremonien und Regeln, die zu solchen Institutionen gehören, haben es im Grunde auf ein Abfangen der Massen abgesehen: lieber eine sichere Kirche voll von Gläubigen als die unsichere ganze Welt." (S. 18)