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16. Oktober 2022 - St. Peter, Sinzig
1. Ungerechtigkeit
Manche Gleichnisse Jesu sind verblüffend. Es gibt auch die anderen. Da spricht Jesus erkennbar von Gott als einem barmherzigen Vater oder von der gelebten Nächstenliebe des barmherzigen Samariters, vom Werden des Reiches Gottes wie dem langsamen und beständigen Wachstum der Saat.
Stattdessen sagt man aber hier „Uuups!“, wenn Jesus uns mit einem ganz und gar unerbaulichen, überraschenden Gleichnis konfrontiert. So beim heutigen Gleichnis vom ungerechten Richter: Ein mieser Kerl, der eine mittellose Witwe nur deswegen zu ihrem Recht kommen lässt, weil er er keine Scherereien will: „Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht.“
Ein paradoxes Gleichnis. Denn einerseits ist dieser ungerechte, korrupte Richter das glatte Gegenteil von Gottes Gerechtigkeit und Güte. Andererseits, meint Jesus, können wir an diesem Gegenteil sehen: Wenn schon so ein Kerl vor einer völlig mittel- und rechtlosen Witwe einknickt - „Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht.“, dann wird doch umso mehr Gott denen Gutes tun, die er berufen hat und die ihn bitten.
2. Hartnäckigkeit
Das eigentliche Gleichnis ist die Hartnäckigkeit dieser Witwe. In ihr sieht Jesus den Prototyp eines betenden Menschen. Den Ärger, meint Jesus augenzwinkernd, möchte der liebe Gott nicht riskieren, sich mit dieser Witwe anzulegen. „Sonst kommt sie am Ende noch“ im Himmel vor Gottes Thron an „und schlägt ihn ins Gesicht.“
Ich vermute damals wie heute bricht Jesus durch sein paradoxes Gleichnis mit falschen Vorstellungen davon, was ein frommes Gebet ist. Denn es ist ja ein wichtiges Detail im Gleichnis, dass die Witwe nichts Anderes einfordert als ihr Recht. In dieser Gewissheit lebt sie vor Gott. Würden die angeblich frommen Mitmenschen ihr sagen, sie solle mal demütiger auftreten, würde sie widersprechen: Es ist Gott und seine Gerechtigkeit, an der sie Maß nimmt für ihre Situation.
Nichts Anderes als Vertrauen in Gott ist der Grund ihrer beeindruckenden Hartnäckigkeit. Witwen gehören ebenso wie Waise und oftmals Fremde zu denen in den antiken Gesellschaften, die wirtschaftlich und gesellschaftlich am Rande sind. Sie haben nicht (mehr) die Männer der Sippe, die sie schützen und stützen. Deswegen ist durchgängig im Alten Testament Gott als einer dargestellt, dem Gerechtigkeit für diese Gruppen besonders wichtig ist: Witwen, Waisen, Fremde. Sie müssen nicht demütig sein, sondern dürfen ein stolzes Selbstbewusstsein gegenüber ungerechten Zuständen aus Gott an ihrer Seite ziehen.
(Dtn 10,18: Er verschafft Waisen und Witwen ihr Recht. Er liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung. Dtn 27,19: Verflucht, wer das Recht der Fremden, die Waisen sind, und das der Witwen beugt. Ps 146,9: Der HERR beschützt die Fremden, er hilft auf den Waisen und Witwen, doch den Weg der Frevler krümmt er.)
3. Treue
Bei Jesus hängt sein Vertrauen in Gott, seinen Vater, unmittelbar mit seiner Gebetserfahrung zusammen. Gerade das Lukasevangelium erinnert mehrfach daran, dass Jesus immer wieder das Gebet gesucht hat. Die Psalmen waren dabei seine wichtigste Quelle. Mit Worten aus den Psalmen hat er mit Gott im Gebet gerungen – seine letzten Worte am Kreuz zeugen davon. In Gottesdiensten wurde er mit dieser Sprache des Gebetes vertraut und im persönlichen Gebet in der Stille hat er das aufgenommen und gelebt.
Deswegen schließt Jesus an das Gleichnis von der hartnäckigen Witwe die Frage an, ob "der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden" werde? Mit "Menschensohn" spricht Jesus von sich, wo in ihm Gottes Reich und die Kraft und die Herrlichkeit erscheint – also all das, worum wir beten. Jesus meint nicht irgendeine Zukunft, sondern diesen Moment: Wenn er kommt.
Die Frage lässt mich demütig werden. Habe ich in meinem Gebet zu Gott nur ein Quäntchen von der Hartnäckigkeit, die die Witwe gegenüber dem ungerechten Richter zeigt? Dieses Gleichnis ermutigt dazu, im Gebet mehr zu wagen. Dieses Gleichnis erinnert daran, dass Beten vom Gottesdienst nur ausgehen kann, dann aber meinen ganzen Tag durchdringen muss: Dass ich mich mit meiner ganzen Sehnsucht und mit meinem ganzen Vertrauen – eben Glauben – vor Gott werfe. Nicht lockerlassen. Eher einmal zu viel Gott hart angehen, als einmal zu wenig gebetet. Amen.