Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Matthäus)

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1. Ich liebe den Nächsten nicht

  • Ich liebe meinen Nächsten nicht. Schon gar nicht wie mich selbst. Das sage ich nicht, weil ich mangels Selbstliebe meinen Nächsten davor verschonen möchte. Ich stelle nur fest, dass dem so ist: ich liebe ihn nicht. Diesen „Nächsten“, den ich im Sinn habe, liebe ich nicht, denn er ist unsympathisch, fällt allen nur zur Last, würde nie etwas für andere tun – was noch? Ist er gar aus Düsseldorf. Ich liebe ihn eben nicht.
  • Sehr korrekt hat die Leseordnung zum heutigen Evangelium aus dem Buch Exodus den Abschnitt über Schutz vor Unterdrückung und Ausbeutung der Witwen, der Waisen und der Fremden gestellt. Man kann auch Lev 19,18 nehmen, wo der Ausdruck Nächstenliebe im Alten Testament herkommt. Dort fasst er Einzelbestimmungen des mosaischen Gesetzes zusammen, nachdem man nicht übervorteilen soll, Schwächen nicht ausnutzen, andere nicht ausbeuten und nicht ungerechtfertigt vor Gericht bringen soll. Auch das Alte Testament meint mit „Nächster“ nicht nur den Stammesgenossen, sondern – siehe oben – ganz ausdrücklich auch den Fremden, der hier bei uns lebt. Nächstenliebe ist solidarisches Verhalten, dort wo es sich nahelegt.
  • Da bin ich ganz dafür. Ich will mich um das alles bemühen. Und ich bin mir sicher, dass Jesus genau das gemeint hat. Deswegen war er sich auch in Diskussionen mit den Schriftgelehrten an der Stelle immer ganz einig. Hier sprechen nüchterne Juden, die sich um Gerechtigkeit und Solidarität sorgen. Wer das „Liebe“ in Nächstenliebe mit teutscher Minnemystik, Liebesromantik oder anderen Gefühlen verwechselt, hat das nicht verstanden.

2. Geschwister, Freunde, Nächste, Fremde, Feinde

  • Jesus unterscheidet sehr wohl, wem seiner Meinung nach Liebe zu erweisen ist. Dabei ist deutlich, dass das Motiv dieser „Liebe“ sehr verschieden ist. Es gibt die Bruderliebe – gemeint sind alle Geschwister –, die Jesus nicht auf die Blutsverwandtschaft bezieht, sondern auf die Gemeinschaft, deren Mitte er bildet. Diese Liebe verbindet die, die Miteinander das Brot brechen. Auch wir machen das hier, haben aber die jahrtausendalte christliche Tradition des Friedenskusses durch einen Handdruck ersetzt – oder lassen auch den aus immer wieder akuter Virensorge weg. Diese Liebe ist ein Band, das eine Gemeinschaft zusammenhält.
  • Die Bruderliebe ist der Liebe von Freunden ähnlich, die um des Guten willen zusammen sind. Darin unterscheidet sich die Freundschaft vom Zusammenhalt einer Räuberbande oder auch nur eines Börsenstartups um des Erfolges willen. Freundesliebe – an mancher Stelle verwendet das griechische Neue Testament das Wort Phileia dafür – ist um des Guten willen. Die Liebe der Christen zueinander wächst aus dem gemeinsamen Vertrauen und Glauben.
  • Und dann gibt es nicht nur die genannte Nächstenliebe, die auch einen Samariter mit einem Juden verbinden kann, wenn die Räuber den einen erschlagen haben. Jesus radikalisiert den auch im Alten Testament bereits grundgelegten Gedanken zur Forderung der Feindesliebe. Auch diese äußert sich nicht darin, dass ich einem Feined herzenszugewandt bin, sondern, dass ich ihm die rechte Wange hinhalte und für ihn aufrichtig bete.

3. Gott lieben mit ganzem Herzen

  • So weit, um die Nächstenliebe nicht mit romantischen Gefühlen zu verwechseln. Ganz sicher nicht die Feindesliebe, im Grunde nicht die Nächstenliebe und oft genug auch nicht die Liebe, mit der wir zusammen Eucharistie feiern ist romantisch gemeint. Aber die Feindesliebe schließt auch den Hass aus. Insofern sind die Gefühle nicht gleichgültig. Es wäre ein eigenes, wichtiges Thema, wie ich als Christ mit Hass umgehe, um ihn zu überwinden.
  • Wie der Vater mich geliebt hat und wie ich Euch geliebt habe – bleibt in dieser Liebe! –, so sollen auch wir einander lieben. Das ist Sprache Jesu im Johannesevangelium, meint aber dasselbe, was bei Matthäus über das Zueinander in der christlichen Gemeinde steht.  Nur das hier deutlich wird: Diese Fähigkeit zu einer treuen, respektvollen Liebe, an der die Welt die Jünger Christi erkennen soll, hat ihren Grund in der treuen Liebe, mit der Gott uns liebt. Das ist unser Fundament. Das gibt uns das Vertrauen, das es braucht, um treu und respektvoll zu lieben. Darin wird deutlich, dass die beiden Tafeln des Dekalogs, der Gebote Gott und den Nächsten gegenüber, ganz dem Doppelgebot entspricht, dass wir mit ganzem Herzen Gott lieben sollen und im selben Atemzug den Nächsten, wie uns selbst.
  • Dadurch wird es vielleicht nicht gleich romantisch, vielleicht aber doch. Denn das legt mir den Grund des Gebotes der Nächstenliebe dar. Weil Gott meinen Nächsten, gar meinen Feind liebt, kann auch ich sie lieben. Wenn daher mein Verhältnis zu Gott auch nur ansatzweise emotional ist – was ich doch hoffe! –, dann kann das abfärben. Dann wird durch die Liebe, mit der Gott auch mich liebt, aus der respektvollen Solidarität und Hilfsbereitschaft der Nächstenliebe doch auch eine tiefe Zuneigung. Wen Gott liebt, den zu lieben lohnt sich vielleicht auch für mich.