Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr B 2021 (Markus)

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31. Oktober 2021 - Aloisiuskolleg Bonn-Bad Godesberg

1. Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe

  • Emphatisch die Liebe zu Gott, kurz und knapp die Nächsten- und Selbstliebe. Das ist ein heftiges Korrektiv zur üblichen Gewichtung. Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele, allen Kräften die ich habe – und den Nächsten ganz einfach nur "lieben wie mich selbst". Diese ungleiche Betonung, mit der Jesus die jüdische Tradition bestätigt, verdient Aufmerksamkeit.
  • Die ignatianische Tradition spricht von der discreta caritas. Das könnte man mittels Fremdwort mit diskreter Liebe übersetzen. Mit 'diskret' meinen wir im Deutschen eine gewisse Zurückhaltung und den Verzicht darauf, lautstark andere zu überrollen, stattdessen taktvoll und rücksichtsvoll zu sein.
  • Aber discreta caritas, heißt zunächst unterscheidende Liebe, betont also ein rationales Element: Hinschauen, worin die Liebe gründet und welche Auswirkung sie hat, was die versteckten Motive sein mögen und ob es auch gut, nicht nur gut gemeint ist. Es ist aber nicht nur rational. Auch eine emotionale Aufmerksamkeit kann unterscheiden, welcher Art und Richtung die Liebe ist, ob tief oder oberflächlich, schnell schal oder tragend ist.

2. Selbstliebe und Nächstenliebe

  • Selbstliebe und Nächstenliebe sind immer verbunden. Bei den Engeln mag es anders sein. Aber bei uns, den in Raum und Zeit, verletzlich und sehnsüchtig lebenden Menschen, ist jede Liebe, die wir schenken, durchwoben von dem, was ich zurückbekomme. Es gibt doch keine Tat der Liebe, wo nicht zumindest das gute Gefühl, etwas gut getan zu haben, auch mir selbst guttun würde. 'Selbstlose Liebe' scheint es daher nicht zu geben.
  • Die Formulierung der jüdischen Tradition, zu der Jesus und sein schriftgelehrter Gesprächspartner gehören, scheint mir um den Zusammenhang zu wissen. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ bedeutet: Selbstliebe als solche ist nichts Falsches. Zerstörerisch ist nur die absolute Selbstbezogenheit und Selbstzentriertheit, wenn ich alles nur nach dem Nutzen für mich plane und mache. Das zerstört nicht nur die Beziehungen zu anderen, sondern auch mich selbst.
  • Im Sinne der discreta caritas kennt die Tradition eine einfache Reflexionsfrage: Liebe ich nur die Gabe oder auch den Geber? Hier ist die Situation im Blick, dass ich liebe, weil ich Empfangender bin. Die Liebe sieht das nicht als Selbstverständlichkeit – als ob ich alles verdient hätte und ich nur einfordere, was mir zusteht. Vielmehr sieht die Liebe, wie oft ich Beschenkter bin. Doch: Liebe ich nur die Gabe, oder auch den Geber? Mir hilft allein bereits diese gewohnheitsmäßige Frage zu einem besseren Gleichgewicht von Selbst- und discreta Nächstenliebe.

3. Gott mit allen Kräften lieben

  • Gabe oder auch Geber, diese Frage ist auch in meiner Gottesbeziehung wichtig. Allzu leicht bin ich auch in meiner Beziehung zu Gott beim Nützlichkeitsdenken. Hier heißt die Frage: Hilft, stützt, nützt mir das Leben im Glauben – und mache ich meine Liebe zu Gott von solchem Output abhängig? Liebe ich nur die Gabe, oder auch den Geber?
  • Gott aber, Gott allein soll ich nicht lieben, wie mich selbst, sondern geradezu selbstvergessen, mit allen Kräften meines Geistes und meiner Seele. Die Bibel wird überschwänglich bei der Gottesliebe, vergleicht man es mit der nüchternen Formulierung zur Nächstenliebe. Und das mit gutem Grund. Denn nur die Liebe zu Gott kann mich auf jenen Grund des Vertrauens stellen, jenen Urgrund, der so wichtig ist, um überhaupt die Freiheit zu finden, etwas oder jemand anderes zu lieben als mich selbst. Denn Gott allein kann ich niemals manipulieren – auch wenn manche irrig meinen, genau das sei Frömmigkeit: Gott mit Gebeten und Riten zu bestechen. Doch Gott braucht mich nicht. Es ist seine Liebe zu mir, nichts Anderes. Es ist die freie, göttliche Liebe, mit der er mich erschaffen hat und Tag für Tag im Leben hält.
  • "Gott, ist der einzige!" Sich immer wieder in diese Liebe zu Gott einzuüben, befreit zur Nächstenliebe. Gott, den unverfügbaren Gott, in unseren Gedanken, Gefühlen, Gebeten und Gottesdiensten, mit ganzer Seele und allen Kräften meiner Seele zu lieben – ihn ganz zu lieben, der ganz anders ist, das erst gibt mir Freiheit, Vertrauen und Richtschnur, die oder den Nächsten, die mir als Menschen gleich sind, zu lieben wie mich selbst. Amen.