Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Lukas)
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31. Oktober 2004 - Festgottesdienst 50. Todestag P. Eugen Büchel SJ, Schleidt/Rhön
1. Zu Gast bei Zachäus
- Auf dem letzten Weg Jesu nach Jerusalem durchquert er die Stadt
Jericho.
Längst ist er bekannt. Die Menschen kommen aus ihren Häusern und
stehen am Straßenrand. Sie wollen Jesus sehen. Dieser ist nicht
allein
unterwegs. Die Apostel, viele Jünger, Frauen wie Männer, sind mit
ihm unterwegs. Sie sehen die Menschen und sie genießen die
Aufmerksamkeit.
Auch Jesus sieht die Menschen. Er ist aufmerksam. Er sieht die
Neugier. Er
sieht die Scheu. Er sieht das Abwarten und die Skepsis. Und Jesus
sieht den
einen Mann, der auf die weit ausladenden Äste des wilden Feigenbaums
gestiegen ist, Zachäus.
- Zachäus ist klein von Gestalt. Er ist reich, weil er von den
Römern
die Oberaufsicht über die Zollstationen gepachtet hat. Entsprechend
unbeliebt
ist er bei den Leuten. Man sieht ihn voll Hass und Missgunst an.
Dieser Oberzöllner,
dieser Zachäus ist zwar einer aus dem Volk Israel, aber bei den
Leuten
gilt er als Sünder, als Kollaborateur und Leuteschinder. Trotz
seines
Reichtums lebt er isoliert und hat nur Fremde zu Freunden.
Vielleicht ist
das das entscheidende Motiv für ihn, Jesus sehen zu wollen. Deswegen
steigt er auf den Baum: Um Jesus zu sehen.
- Zachäus wusste nicht, was er erwartete. Aber sicher hat er nie
erwartet,
was passiert. Nicht nur, dass er von seiner luftigen Warte Jesus
sieht. Der
fremde Rabbi sieht ihn im Blattwerk sitzen. Als würde er einen
Freund
nach langer Zeit wiedersehen drängt sich Jesus auf: "Ich muss
heute in deinem Haus zu Gast sein". So schafft Jesus
Gemeinschaft
mit diesem kleinen, reichen Oberzöllner. Er nimmt das Murren der
Leute
in Kauf und kehrt in ganz Jericho ausgerechnet in dessen Haus ein.
Zachäus
ist außer sich vor Freude. Mit diesem Besuch geschieht etwas. Ein
Sohn
Abrahams, einer aus dem Volk der Juden, wird durch Jesus aus der
sozialen
Isolation gelöst. "Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt
worden". Gott wollte in diesem Haus zu Gast sein.
2. Zu den Menschen gekommen
- Die Menschen zu sehen, ist das zentrale Motiv, mit dem der Heilige
Ignatius
in seinen Exerzitien dazu anleiten will, das eigene Leben im Glauben
zu gestalten.
Stellen Sie sich nur vor, mit welchem Blick voll Liebe Gott vom
Himmel auf
die Erde blickt, dass er sich entscheidet, unter uns Mensch zu
werden. Christ
sein bedeutet, diesen Blick Gottes zu lernen. Christ sein bedeutet,
auf die
Menschen voll Liebe zu sehen: in ihrer Verschiedenheit und Vielfalt,
in ihren
Traditionen und Kulturen - oder, wie Ignatius sagt, "in so großer
Verschiedenheit der Trachten wie der Gebärden"(1).
- Mit dieser Übung der Exerzitien hat Ignatius nicht nur Jesuiten,
sondern
unzähligen Menschen geholfen, den Glauben nicht isoliert und für
sich zu leben. An den menschgewordenen Gott zu glauben bedeutet, die
Menschen
zu sehen. Gottes Aufmerksamkeit einzuüben. Es ist kein abschätzender
und kein abschätziger Blick. In jedem Gesicht ist der Mensch
sichtbar,
so verschieden er oder sie sein mag, so fremd manche Kultur auch
ist. Gerade
die Verschiedenheit ist die Triebfeder, bei anderen Menschen zu Gast
sein
zu wollen. Wer an Christus glaubt, will Leben teilen.
- Das ist keine naive Begeisterung. Natürlich sieht Jesus auch die
dunklen
Seiten im Menschen und in den Kulturen. Das aber unterscheidet ihn
von den
Leuten von Jericho, die murren und sich empören, weil Jesus beim
Zöllner
zu Gast ist. "Er ist ein Sünder!" ist für diese
Leute ein Grund zum ausgrenzen und abschieben. Für Jesus ist es der
Grund,
der zwingende, drängende Grund, gerade dort zu Gast zu sein. "Denn
der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was
verloren ist."
3. Mit den Fremden leben
- Vor etwa hundert Jahren hat ein Jesuitenpater die St.
Francis-Missionsschule
der Sioux-Indianer in Süd-Dakota in den USA besucht. Er war für
die Finanzplanung des Ordens verantwortlich und wollte sich vor Ort
ein Bild
machen. Als kühler Rechner überschlug er, was der Aufbau dieser
Schule kosten würde, und sagte abschätzig: "All das für
hoffnungslose Indianer".(2)
Dieser Jesuit war ganz
dem Überlegenheitsgefühl des Weißen Mannes verfallen. Auch
er hatte die Exerzitien gemacht. Aber Entscheidendes scheint er
nicht begriffen
zu haben.
- Diese Szene hatte Pater Eugen Büchel auch fünfzig Jahre später
nicht vergessen. Er stammte aus Deutschland, aus der Rhön. Auch er
hatte
die Exerzitien gemacht. Aber Büchel hat begriffen, wohin Ignatius
mit
der Betrachtung über die Menschwerdung führen will. Er hat den Blick
Gottes auf die Menschen eingeübt. Er hat sich von seinen Oberen
senden
lassen in die Mission zu den Sioux und hat über ein halbes
Jahrhundert
mit ihnen gelebt. Keiner, Indianer oder Weißer, kannte die Sprache
der
Lakota-Indianer vom Stamme der Sioux wie er. Er hat die Menschen
besucht,
ist bei ihnen zu Gast gewesen, hat mit ihnen gelebt, bis zu seinem
Tod am
27. Oktober 1954, vor fünfzig Jahren. Hierzulande ist sein
Lebenswerk
weitestgehend unbekannt. Den Menschen aber, mit denen er lebte, hat
er nicht
nur den christlichen Glauben gebracht, sondern ihre Würde anerkannt,
ihre Kultur hochgeschätzt. Die Nachkommen der Lakota verdanken es
Pater
Büchel, dass wertvolle Dokumente ihrer Sprache und Kultur erhalten
sind.
So hilft er noch heute Menschen, ihre Kultur zu entdecken und zu
bewahren.
- Das Engagement von Eugen Büchel für die Indianer ist nur zu
verstehen,
wenn man die Exerzitien kennt. Die Exerzitien waren die Übungen, mit
denen Pater Büchel sich im Glauben geschult hat. Unzählige Male
wird er die Betrachtung von der Menschwerdung gelesen und meditiert
haben.
Ganz sicher war unter den Bibeltexten, die er betrachtet hatte, auch
das Evangelium
von Jesu Besuch bei Zachäus. Mir hilft er zu sehen, dass es möglich
ist, von Jesus ganz konkret die Liebe zu lernen. Die Menschen sind
verschieden.
Es kostet Kraft, manchmal Überwindung, sich auf andere und anderes
einzulassen.
Es fällt leicht, das Negative zu sehen. "All das für hoffnungslose
Indianer", hatte der eine gesagt. Der andere hat mit ihnen gelebt.
Er
hat ihnen Christus verkündet, der zu den Menschen gekommen ist, weil
Gott die Welt voll Liebe sieht. Amen.
Anmerkungen
(1) Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen
(Exerzitienbuch), Zweite Woche, Erster Tag, Betrachtung über die
Menschwerdung,
Nummer 106
(2) Kreis, Karl-Markus, Hrsg.: Ein
deutscher
Missionar bei den Sioux-Indianern. Der Sprachforscher, Ethnologe und
Sammler
Eugen Büchel/Eugene Buechel (1874-1954). Materialien zu Leben und
Werk.
Fachhochschule Dortmund. Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung, Nr.
19. Dortmund
2004.