Nachdenken über Wunder (Impuls zur Nacht der Kirchen 2011)
Impuls von P. Martin Löwenstein SJ
bei der Nacht der Kirchen im Kleinen Michel Hamburg über
am Beispiel der Stillung des Seesturms (Mk 4,35-41)
Kleiner Michel 17. September 2011
1. Wunderbar Wunder
- 'Wunderbar' heißt es in dieser Nacht der
Kirchen. "Mensch, du bist wunderbar", sagt der Psalm
139. Das allein schon ist nicht selbstverständlich, denn oft komme ich
mir selbst eher merkwürdig denn wunderbar vor. Im Gebet Gott zu danken,
dass er mich so, wie ich bin geschaffen hat,
fällt daher nicht immer leicht.
- Dann steckt aber in dem Wörtchen 'wunderbar' auch das große Wort 'Wunder'. Keine Zeit hat
es so viel gebraucht wie die Moderne. Das Wunder der Gesetze der Natur, das Wunder der
Technik (auch der Atomkraft), zuletzt wieder mehr das Wunder der Natur in ihrer Schönheit.
Allesamt wurden diese Wunder als staunenswert gefeiert. Das Wörtchen 'Wunder' wurde so
verbindend, egal ob jemand Gott im Spiele glaubt oder nicht.
- Wie aber steht es um dieses Wunder Gottes? Ist es nur dies, dass Gott das Weltenrad in Gang
setzt und in Gang hält? Aber vielleicht gibt es auch das andere Wunder, das nicht immer
wiederkehrt wie ein Sonnenaufgang, sondern hineinbricht in den Gang der Welt. Der Glaube
erzählt doch immer wieder von diesen Wundern, in denen nicht die Kette innerweltlicher
Ursachen, sondern der freie Entschluss Gottes am Werk ist. Für jedes Denken, das nur
Gesetzmäßigkeiten und unverrückbare Strukturen gelten lassen will, ist das ein Problem.
- Ich gestehe: Seit ich in diesem Frühsommer begonnen habe, mir diese Fragen zu stellen, bin ich
damit an kein Ende gekommen. Viele Bücher haben Vieles klarer werden lassen. Ich weiß, dass
die naturwissenschaftliche Weltsicht über Wunder nichts sagen kann, weil ihre Methode nur
das regelmäßig, nach Gesetz und Statistik Berechenbare, erfassen kann. Ich verstehe, dass die
andere, die mystische Weltsicht dazu nicht im Widerspruch steht, weil sie dieses Leben aus
einer gänzlich verschiedenen Perspektive begreift. Dennoch aber komme ich immer wieder auf
die selbe Kernfrage zurück, die ich nur selbst für mich beantworten kann. Glaube ich an
Wunder? Und halte ich es für möglich, dass Gott "außer der Reihe" etwas bewirkt, was in
meinem Leben Bedeutung hat?
- kurzes Musikstück -
2. Das Wunder der Stillung des Seesturms
- Aufbruch in's Dunkel. Mit einem Boot auf den unsicheren See, der bekannt ist für seine
überraschenden Stürme. Eine kleine Gruppe, nicht mehr die Menge und im mainstream, die
doch das beruhigende Gefühl gaben, mit der eigenen Linie nicht allein zu sein. Gleich diese
drei Unsicherheitsfaktoren kommen zusammen, als die kleine Gruppe in Palästina unterwegs
ist; es fehlt die Sicht und der feste Boden, und zudem sind sie allein unterwegs.
- Die Zeilen, in denen diese Begebenheit im Markusevangelium erzählt wird, lassen spüren, dass
diese Nacht für die Beteiligten zu einem Schlüsselerlebnis wurde. Ein Erlebnis also, das zum
Schlüssel wird. Deswegen wird es berichtet.
- Ein Detail noch sollte erwähnt werden. Einer derer im Boot ist der bekannte Wunderheiler und
Prediger Jesus. Die Gruppe junger Frauen und Männer, die im Boot unterwegs sind, haben
durch ihn zusammengefunden und wegen ihm ihre Heimat verlassen und sind dem Druck ihrer
Sippen entkommen. Im Hintergrund sind also noch mehr Unsicherheiten.
- Dann aber bricht der Sturm los. Der Wind fegt von den hohen Bergen ringsum auf den See und
wühlt ihn auf. Er scheint von allen Seiten zu kommen. Man muss das erlebt haben, um zu
wissen warum die See zum Inbegriff des Chaos werden konnte. Eben noch war es zwar
unsicher und schwankend. Jetzt aber brüllen die Elementargewalten und es braucht alle Kraft,
sich ihnen entgegenzustellen und nicht unterzugehen. Es bleibt noch nicht einmal Platz für den
kurzen Stoßseufzer: warum habe ich mich auf so viel Unsicherheit eingelassen?
- Der Grund ist einfach: Vertrauen in Jesus. Die Erfahrung, dass hier Gott selbst gegenwärtig ist.
Der Gott, der schon Abraham zum Aufbruch gerufen und der sein Volk aus Ägypten befreit
und durch die Wüste geführt hat. Er ist wörtlich 'mit im Boot'. Aber genau das enttäuscht auch.
Jesus schläft. Ist es Gott gleichgültig, dass das Boot im Sturm unterzugehen droht?
- Ja, Jesus schläft. Aber nicht weil er gleichgültig ist, sondern
als ein Zeichen, dass er getragen
ist vom Vertrauen. So lange Gott mit im Boot ist, wird es nicht
untergehen. Ja, selbst im Tod,
dort wo nun wirklich alles zu Ende scheint, dort am Kreuz, auch dort hat
Gott das letzte Wort.
Das ist das Wunder, auf das alle anderen zulaufen und von dem alle
weiteren Wunder ausgehen. Gott ist nicht untätig, auch wenn wir
ängstlich sind, er könne schlafen.
- Das Wunder, von dem das Evangelium berichtet wurde aufgeschrieben für uns. Ängstlich
vielleicht, im Dunkel bei ungewissem Seegang und abseits der großen Routen aufzubrechen.
Vielleicht auch schon mutig aufgebrochen, aber jetzt mitten im Sturm. Für uns wird berichtet:
in diesem Zeichen zeigt Gott, dass der Glaube mächtig ist.
- ca 15 Minuten Musik -
3. An Wunder glauben
- Soll ich das glauben? Das Wunder von der Stillung des Seesturms sagt mir etwas. Ich kann das
mit meinem eigenen Leben vergleichen. Für mich kann ich sagen, dass es dunkle Stunden und
zumindest kleine Seestürme gab, von denen ich heute, im Rückblick sagen kann: da hat mir der
vertrauende Glaube geholfen, da ist das Boot nicht untergegangen. Du Kleingläubiger, sagt
Jesus mir fast schmunzelnd.
- Dennoch bewegt mich die Frage, ob das wirklich so passiert ist mit dem Sturm, der vor dem
Wort Jesu weicht. Kann Gott so was? oder ist das nur symbolisch? Und wenn Gott das kann
und will: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Sturm und die Wellen gehorchen?
Und macht das für mich einen Unterschied, ob die Geschichte gut erfunden ist, oder Jesus den
Sturm wirklich zum Schweigen gebracht hat?
- Ich hätte Angst davor, wenn Menschen so was können. Wir wissen doch, welches Unheil
passieren kann, wenn Menschen Macht haben über Naturgewalten. Die Wunder der Technik,
von denen im 20. Jahrhundert so geschwärmt haben, mögen staunenswert sein; mehr noch
erschrecken sie mich, wenn diese Gewalt in Händen von Menschen liegt, die Ausbeutung der
Natur und Steigerung ihres eigenen Reichtums und ihrer eigenen Macht im Sinn haben. Diese
oft genug auch als Wunder gepriesenen Leistungen beruhigen mich in keinem Sturm, in keiner
Dunkelheit, in keiner Einsamkeit.
- Vielleicht wird uns erst dadurch klar, welchen Sin das Wunder Jesu haben könnte. Nur er, der
bereit war das Kreuz zu tragen, nur ein Mensch, der ganz eins ist mit Gott, nur die unbedingte
Liebe hat echte Macht. Jesus führt keinen Zaubertrick vor. In ihm wird jedoch sichtbar, wie
sehr Gottes Kraft Menschen erfüllen kann, wenn sie ganz eins sind mit Gott.
- Das würde auch erklären, warum Jesus immer wieder darauf hinweist, dass es ohne den
Glauben kein echtes Wunder gibt, bestenfalls Zaubertricks. Es hängt von mir ab, ob Gottes
Wunder sichtbar werden, weil die ehernen Gesetzmäßigkeiten der Welt nur dort durchbrochen
werden können, wo wir in Freiheit und Liebe auf Gott antworten.
- Ja, ich glaube, dass es Wunder gibt, ganz in dem Sinne, wie die
Bibel von Wundern Jesu und
der Apostel berichtet. Ja, ich glaube Menschen, die durch alle Zeiten
hindurch berichten, dass
sie erlebt haben, wie Gott etwas geschehen lässt, das zum Zeichen wird.
Es wird zum staunenswerten Wunder Gottes, wo wir Menschen offen werden
für Gott.
- Wenn also Wunder Vokabeln der Sprache Gottes sind (und die Schönheit der Schöpfung und
der Liebe ebensolche) - bereite ich mich darauf vor, Gott zuzuhören?
- Wenn Gott mich selbst kein solches Wunder hat erleben lassen - will Gott, dass ich darauf
verwiesen bin, anderen zuzuhören und das Vertrauen weiter zu geben, das Gott in mich hat?
- Das Wunder der Stillung des Seesturms ist ganz einmalig. Aber je mehr ich darüber nachdenke,
desto mehr scheint es mir nicht mehr ausgeschlossen, dass es wirklich passiert ist - und das es
mir etwas zu sagen hat.
- ca 15 Minuten Musik -