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6. März 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
Vorbemerkung: Wie viele andere meiner Generation hat mich das Thema Ablass im Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr erstmals beschäftigt, weil ich zuvor nie darauf angesprochen wurde und selbst nur sehr Rudimentär-Allgemeinbildendes dazu wusste. Auch jetzt schätze ich die Freiheit, die schon Papst Paul VI in Bezug auf Praktizieren oder Nicht-Praktizieren des Ablasses gelegt hat, indem er seine Konstitution als Einladung verstanden wissen wollte.
Der Ablass ist aber Bestandteil der Lehre der Kirche. Daher möchte ich als Priester eine gute Erklärung geben können, was das sei. Hinzu kommt, dass ich bei bestimmten innerkirchlichen Gruppen viel zum Thema Ablass gefunden habe, was mir in eine falsche Richtung zu gehen scheint. Wie auch bei anderen Themen weigere ich mich, diese Fragen denen zu überlassen, die sich selbst als "katholischer" oder "konservativ" einschätzen. Solche Leute übersehen bei diesem Thema wie bei anderen, dass durch das II. Vatikanische Konzil und durch Papst Johannes Paul II. erhebliche neue Akzente gesetzt wurden. Hier lege ich also den Versuch vor, diese Lehre der Kirche ernst zu nehmen.
Auf dieser Seite wird zunächst in 26 Thesen der Ablass in seiner traditionellen Form dargestellt, aber im Zusammenhang mit dem Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche zum Jubiläumsjahr 2000 und der damit verbundenen Erneuerung der Ablasstheologie. Anschließend wird versucht, das in einem leicht verständlichen Bild zu vermitteln. Abschließend wird der Versuch zur Diskussion gestellt, diese neue Ablass-Theologie so zu formulieren, dass diese in ihrer Begrifflichkeit aus sich heraus verständlich ist.
Eine katholische Vorbemerkung: Für den Ablass gilt ein Prinzip, das für vieles aus dem geistlichen Reichtum der Kirche gilt: Man kann, man muss nicht. Umgekehrt folgt aber daraus, dass man mit Respekt davon sprechen soll. - Im Nachfolgenden wird häufig und zwanglos der Begriff "Sünde" verwendet. Was konkret Sünde sei muss natürlich an anderem Ort diskutiert werden. Ich weiß aber, dass viele ältere Katholiken durch die Weise, wie früher häufig über "Sünde" gesprochen wurde, seelisch tief verletzt wurden. Mir und weitestgehend meiner Generation ist diese Erfahrung erspart geblieben. Uns ist es eher umgekehrt ergangen, dass man sich nicht getraute, darüber zu reden. Ich bitte diesen biographischen Hintergrund in Rechnung zu stellen.
ökumenische Vorbemerkung: Meine Erfahrung ist, dass Christen andere Konfessionen dann mit Interesse und Verständnis mir in der Ökumene begegnen, wenn sie die Grundlagen ihrer eigenen Konfession achten und pflegen. Minimalismus ist uninteressant.
26 Thesen zum Ablass in der Katholischen Kirche im Jubiläumsjahr 2000 |
Schuldbekenntnis und Ablass
Was ist ein Ablass ? Eine traditionelle Erklärung.
1. Umkehr: Der Mensch muss sich von der Sünde abwenden und zu Jesus Christus neu hinwenden. 2. Beichte: Der Mensch muss seine Sünden bekennen. "Umkehr erfordert, dass die Sünde ans Licht gebracht wird" (Johannes Paul II). 3. Buße: Die Umkehr muss im Leben des Menschen auch spürbar beginnen. Daher ist nicht nur die Gesinnung sondern sind auch Zeichen oder Werke der Buße notwendig. 4. Vergebung und Versöhnung: Die Sünden werden vom Priester im Sakrament in der Vollmacht der Kirche vergeben und so Gott und Mensch wieder miteinander versöhnt. |
Von der Kirche festgesetzte Voraussetzungen zur Gewinnung eines Ablasses: 1. Glaube: Wir müssen darauf vertrauen, dass das Heil allein von Gott kommt und von uns nicht durch Werke oder Gebete bewirkt werden kann. Jedes Gebet ist nur eine Bitte an Gott im Vertrauen auf Jesus Christus, dem Mittler des Heils. 2. Kirche: Jesus hat dem Apostel Petrus die Vollmacht mitgeteilt: "Was du auf Erden binden oder lösen wirst, das wird auch im Himmel gebunden oder gelöst sein". Der Papst als Nachfolger des Hl. Petrus legt daher fest, welche Ablässe erwirkt werden können. 3. Ablass: Der Papst hat (seit 1.1.1967 neu) festgelegt, wie ein "Vollkommener Ablass" und wie ein "Teilablass" erwirkt werden kann. Eine zeitliche Bestimmung der Teilablässe gibt es nicht mehr. 4. Stand der Gnade: Niemand kann einen Ablass gewinnen, der sich durch eine schwere Sünde von Gott getrennt hat, die nicht gebeichtet wurde. 5. Personen: Für bestimmte Gebete oder Handlungen teilt die Kirche aus dem Schatz der Gnade, die Christus uns erwirkt hat, dem Betenden mit oder einem Verstorbenen, für den der Betreffende betet. Diese Absicht muss dabei gegeben sein. 5. Teilablass: Im Glauben an Gott hilft jedes Gebet und jede fromme Handlung zur Heiligung der Kirche. Für bestimmte Gebete gewährt die Kirche einen Teilablass. 6. Vollkommener Ablass: Für einen vollkommenen Ablass ist darüber hinaus erforderlich: (a) dass man auch von jeder lässlichen Sünde frei sein will, um ganz für Gott offen zu sein; (b) der Empfang der Sakramente der Buße und Eucharistie sowie (c) ein Gebet in der Meinung des Hl. Vaters. |
Jubiläumsablass im Heiligen Jahr 2000 (zu inhaltlichen Neuakzentuierungen siehe unten): Der Jubiläumsablass kann von jedermann als vollkommener Ablass gewonnen werden, der unter den oben genannten Bedingungen: 6. (a), (b) und (c) - durch eine Wallfahrt im Jubiläumsjahr zu einer der Hauptkirchen in Rom oder Jerusalem oder einer der lokalen Jubiläumskirchen - oder für eine angemessene Zeit Kranke, Gefangene oder einsame alte Menschen besuchen und zu ihnen wie zu Christus pilgern; - oder mit einen angemessenen Betrag religiöse oder soziale Werke unterstützt (insbesondere für verwahrloste Kinder, in Schwierigkeit geratene Jugendliche, bedürftiger alter Menschen oder für Menschen, die ihre Heimat auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verlassen mussten); - oder für einen Tag auf bestimmten Konsum verzichten und das Geld dafür an Arme gibt. |
Was ist ein Ablass - ein Bild zum Vergleich (...auch wenn Vergleiche immer hinken!) |
Wir wohnen mit sechs Jesuiten in einer Kommunität. Am Sonntag bleibt die Küche kalt, da gehen wir zum Essen aus. Man stelle sich nun folgende Begebenheit vor (die natürlich frei erfunden ist).
Wir sitzen im Gasthaus. Das Essen wird gebracht. Ich hatte Pfannekuchen bestellt, aber mir etwas ganz anderes darunter vorgestellt. Da treibt mich eine Missachtung gegenüber meiner Erziehung, Mangel an Disziplin und Rücksichtnahme auf andere dazu, meinen Unwillen dadurch auszudrücken, dass ich selbigen Pfannekuchen samt dem Teller dem Kellner ins Gesicht schleudere. Kein Zweifel: Dies Verhalten soll nicht sein. Hier liegt Sünde vor. Was ist zu tun?
Zunächst muss ich, hoffentlich zur Besinnung gekommen, mich aufrichtig beim Kellner entschuldigen und etwaigen Schadensersatz leisten. Eine weitere Bitte um Entschuldigung ist gegenüber den Mitbrüdern fällig, denen ich die Freude am Mittagessen verdorben habe, und wenn das möglich ist auch eine Entschuldigung gegenüber anderen Beteiligten. Schließlich sollte ich nicht zu lange warten, dieses grobe Fehlverhalten zu beichten, um auch vor Gott Vergebung zu finden.
Der Kellner und die Mitbrüder werden mir hoffentlich noch mal verzeihen; Gott wird mir - aufrichtige Reue vorausgesetzt - ganz sicherlich die Schuld vergeben. Es ist zu hoffen, dass ich meinem Vorsatz treu bleibe und dererlei Schandtaten künftig abhold bin. Der Priester wird mir bei der Beichte als Zeichen des Neubeginns auftragen, dass ich ein bestimmtes Gebet spreche oder ähnliches.
Auch wenn mein Verhalten unvereinbar ist mit dem Stand eines Getauften, ist durch das Sakrament der Versöhnung das, was mich durch die Sünde von Gott getrennt hat, aufgehoben. Die Schuld ist getilgt. Das bedeutet aber nicht, dass die Schuld folgenlos gemacht werden könnte, so als ob nie etwas gewesen wäre.
(a) Für mich selbst hat die Sünde - vor allem wenn es etwas über lange Zeit Gewohnheitsmäßiges gewesen wäre - die Folge, dass ich mich wieder daran gewöhnen muss, Freude am Guten und an der Liebe zu Gott und den Menschen zu finden.
(b) Jede Veränderung meiner selbst ist Abschied von Gewohnheit und damit schmerzvoll. Wenn Gott mich in der Erfüllung meines Lebens ganz in seine Gegenwart und Liebe hineinnehmen will, werde ich freiwillig und gerne mich durch seine Liebe von all dem reinigen lassen, was alte Gewohnheit war. Die Tradition nennt das Purgatorium.
(c) Schließlich und vor allem hat meine Pfannkuchen-Untat aber Folgen, die außerhalb von mir liegen. Vielleicht habe ich kleine Kinder, die mich beobachtet haben, auf dumme Gedanken gebracht, vielleicht träumen sie aber auch künftig schrecklich vom bösen Pfannkuchenschmeißer. Für den Kellner, auch wenn er mir aufrichtig vergeben hat, wird dieses Erlebnis ein Teil seiner Biographie werden. Für die Jesuiten aber wird das Ereignis die Konsequenz haben, dass so und so viele Leute, manche nur indirekt vom Hörensagen, den Eindruck haben werden, dass "diese Jesuiten" so gar nicht nach dem Evangelium, das sie verkünden, leben. Das Zeugnis für die Liebe Christi, das ich, der Orden und die ganz Kirche geben soll, ist verdunkelt.
An diesen drei genannten Punkten, vor allem aber am letzten setzt der Ablass an. Denn der Pfannkuchenwurf wurzelt ja letztlich in einem Mangel an Liebe meinerseits. Er ist die Stelle, an der die negative Grundhaltung ihren Ausdruck findet - und gerade dadurch ihre verheerende Wirkung entfaltet. Ebenso ist es wichtig, dass die durch Buße und Vergebung erneuerte Grundhaltung wächst und ihren Ausdruck findet. Solche besonderen Zeichen des erneuerten Lebens sind nicht notwendig, aber hilfreich. Sie helfen mir selbst auf dem Weg der Besserung. Sie helfen aber vor allem auch, den Schaden zu reduzieren, der durch das Anti-Zeugnis gegen die Liebe Christi entstanden ist, durch ein positives Zeugnis zu mildern. Natürlich muss ein solches Zeichen des erneuerten Lebens ehrlich und aus sich heraus gut sein; es darf nicht auf den Effekt spekulieren, reine Show sein. Nur echtes Leben kann die Liebe bezeugen. Aber gerade schlichte Zeichen der Frömmigkeit, als Gebet, als Wallfahrt oder als Werk der Nächstenliebe zu den Armen, können die durch die Sünde verunreinigte Luft wieder etwas reinigen. Sie helfen damit, dass die böse Tat keine Schule macht. Diese Zeichen helfen vor allem, dass anderen Menschen durch mein Fehlverhalten nicht der Weg versperrt wird, selbst die Kraft der Liebe Christi zu entdecken.
Gerade bei dem unendlich wichtigen letzten Punkt zeigt sich, dass nicht nur ich selbst ein solches Zeichen setzen kann, sondern auch andere. Auch wenn sie gar nicht konkret auf diesen Vorfall Bezug nehmen, hat es doch letztlich sehr direkt damit zu tun, wenn sie öffentlich erklären: Dieser Pfannkuchenschänder ist einer von uns. Wir alle sind, ganz konkret gemeint, Sünder und tragen Mitschuld daran, dass Christus nicht so verkündet werden kann, wie es sein sollte. Zu diesem Schuldbekenntnis kommt dann hinzu, dass konkrete einzelne Jesuiten Zeichen der Frömmigkeit und Liebe setzen, die helfen, dass Christi Liebe weniger verdunkelt wird.
Und ein Letztes wird an dem hier konstruierten Beispiel deutlich. Jedes gute Werk hat seinen Wert in sich, ob es Zeichen für andere ist oder nicht. Das besondere des Zeichens ist aber, dass es im Zusammenhang der Gemeinschaft geschieht, die zum Zeugnis berufen ist. Daher ist es sinnvoll, dass die Gemeinschaft bestimmte Zeichen auch öffentlich benennt, die helfen sollen, die Folgen der Sünde zu bewältigen.
Entwurf einer erneuerten Ablass-Theologie zur Diskussion |
Es ist auffällig, dass sich die Kirche in Westeuropa besonders schwer tut, ihre Botschaft zu verkündigen. Zum Teil mag dies damit zusammenhängen, dass Wohlstandsgesellschaften in ihrer sozialen Dynamik die Menschen hindern, ihre Freiheit in tragenden und verbindlichen Existenzformen zu verwirklichen. Die Verlängerung der Pubertät ist dafür ein Signal. Der Verlust tragender Religiosität gehört zu den sozialen Folgekosten der Modernisierung. In Westeuropa und abgeschwächt anderen Ländern, die von dieser Kultur beeinflusst sind, gibt es jedoch ein weiteres zentrales Hindernis, die Botschaft der Kirche zu hören. Über gut tausend Jahre war die Kirche in Europa so sehr mit der herrschenden Kultur verbunden, dass vieles (oder gar alles) was diese Kultur an Negativem hervorgebracht hat, dem Christentum oder konkret der Kirche angelastet wird.
Zweifellos ist es gegenüber der vorherrschenden Pauschalisierung wichtig, durch solide historische Forschung und differenzierende ethische Bewertung zu erarbeiten, was an den Vorwürfen über diese "Kriminalgeschichte" der Kirche, ihrer Lehre und ihren Institutionen, anzulasten ist. Nicht nur angesichts der Mechanismen der Mediengesellschaft, sondern auch aus theologischen Gründen ist es aber daneben unumgänglich, dass sich die Kirche uneingeschränkt dazu bekennt, dass sie selbst und ihre Geschichte in Schuld verstrickt ist. So sehr daran festzuhalten ist, dass die Kirche von Christus auf dem Fundament der Apostel gegründet und vom Heiligen Geist getragen ist, so sehr kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese in Christus heilige Kirche eine Kirche der Sünder ist. Diese "Kirche der Sünder" trägt Schuld an den Verbrechen der von ihr geprägten Gesellschaft und Kultur des "christlichen Abendlandes". Jeder Versuch, als Kirche diese Verstrickung zu ignorieren und sich als nicht betroffen hinzustellen ist abzulehnen, da die handelnden Personen dieser Epochen Getaufte waren und von der Kirche auch als dazugehörig betrachtet wurden.. Auch verbietet sich in diesem Zusammenhang jeder Versuch aufzurechnen, ob die positiven Beiträge zur Entwicklung Europas nach der Völkerwanderung die negativen überwiege.
Mit dem Schuldbekenntnis zu Beginn der Fastenzeit im Jubiläumsjahr 2000 hat die katholische Kirche öffentlich und als Institution in ihren Repräsentanten diese Verantwortung auf sich genommen. Dieses Ereignis sollte eine Zäsur in der Geschichte der Kirche darstellen. Auch zuvor gab es keinen Zweifel, dass die Kirche "semper reformanda" ist, der ständigen Erneuerung bedarf, auch wenn es immer schwierig sein wird, dass die jeweils in der Verantwortung stehenden Repräsentanten der Kirche sehen, wo sie in ihrer eigenen Praxis der Umkehr bedürfen. Dass dies nicht Thema des Schuldbekenntnisses war ist kein Mangel. Statt dessen wurden exemplarisch schmerzliche Punkte aus der Geschichte der Kirche benannt: Inquisition, Intoleranz, Spaltung, Leid des jüdischen Volkes, Kolonialisierung nach außen und gegen Minderheiten im Inneren, Diskriminierungen verschiedener Art und Missbrauch von Medizin und Technik. Es ging nicht darum eine christliche Form stalinistischer Schauprozesse zu veranstalten. Vielmehr hat die Kirche sich zu ihrer Verantwortung für die gesellschaftliche Kultur gerade in ihrem Versagen bekannt. Der Papst hat mit diesem Bekenntnis, stellvertretend für die Kirche sich von den Sünden der Christen distanziert, nicht von den Sündern, zu denen er selbst gehört. Keinen Zweifel daran lassend, dass es einzelne Christen sind, die ihre Taten zu verantworten haben, hat die Kirche Christi in ihrem obersten Amtsträger die Schuld bekannt und damit als auch die ihre anerkannt. Ein solches Bekenntnis vor Gott in einer öffentlichen Liturgie hatte es noch nie gegeben.
Es ist Aufgabe der Theologie, die Konsequenzen zu reflektieren und zu erarbeiten, wo in der Gestaltung der kirchlichen Praxis dies seinen Niederschlag finden kann. An einem Punkt ist dies durch den Papst selbst bereits geschehen. In der Verkündigung des Jubiläumsjahres hat er zugleich den Ablass als Teil der kirchlichen Praxis in der lateinischen Kirche wieder in Erinnerung gebracht und hat zugleich in der konkreten Gestaltung des Jubiläumsablasses erhebliche Neuakzentuierungen vorgenommen, die sich nun langfristig in der Theologie und Praxis des Ablasses niederschlagen müssen. Die Theologie sollte nun Vorschläge machen, wie diese Erneuerung auch terminologisch gefasst werden kann, denn es fällt auf, dass schon Paul VI 1967 und jetzt Johannes Paul II verschiedentlich Begriffe aus der alten Ablasstheologie gegen naheliegende, aus der umgangssprachlichen Bedeutung der Wörter rührende Missverständnisse in Schutz nehmen müssen ("Sündenstrafen", "Kirchenschatz", dies gilt auch für "Beleidigung Gottes", "Genugtuung" etc.). Das Wort "Ablass" selbst wird man wohl beibehalten müssen, auch wenn dieses Wort ausschließlich historisch, durch seine Herkunft aus der vormittelalterlichen Bußpraxis, und kaum aus der gemeinten Sache selbst heraus erklärbar ist. Auch hier muss die Kirche bei allem Bemühen um Erneuerung zu ihrer Tradition stehen.
Die im Schuldbekenntnis genannten Vergehen der Christengeschichte sind herausragende Beispiele, denen gemeinsam ist, dass sie sich in besonderer Weise akut dahingehend auswirken, dass die Botschaft Christi verdunkelt wird. Es handelt sich vor allem um Taten, die explizit im Namen des Glaubens und der Kirche oder durch ihre höchsten Repräsentanten begangen wurden. Dabei ist natürlich klar, dass in derselben Weise jedes Vergehen gegen die Gerechtigkeit und die Liebe, das von einem Christen verübt wird, eine Verdunkelung dessen ist, wozu Christus seine Kirche berufen und geheiligt hat. Immer aber handelt es sich um Schuld, die zu allererst vor Gott und den Menschen persönlich zu verantworten ist. Deswegen ist es auch immer nur dem jeweiligen Einzelnen möglich, sich der Liebe Gottes und der in Christus sich ereignenden Rechtfertigung zu öffnen. Unter Berufung auf die ihr von Christus verliehene Vollmacht übt die Kirche im Sakrament der Versöhnung das Amt aus, das Bekenntnis und die Reue des Sünders anzunehmen und die Vergebung Gottes zuzusagen. Hatte sich also der Einzelne durch seine Schuld auf den Weg des Unheils, der Abwendung von Gott, begeben, so eröffnet ihm Gott aufs Neue den Weg des Heiles. Dies ist ein höchst individuelles Geschehen und zugleich ein Geschehen, in dem der Einzelne sich als Glied des Volkes Gottes erfährt, da die Abkehr vom Heil durch die Sünde ja ein Hinausgehen aus dieser von Gott berufenen Gemeinschaft ist und die Rechtfertigung des Sünders durch Gott bewirkt, dass dieser wieder uneingeschränkt ein Glied des Volkes Gottes wird. Daher ist der Weg, den der Sünder geht, nachdem er von Gott die Vergebung der Schuld erhalten hat, ein Weg in und mit der Kirche.
Der neu eröffnete Weg, den der Sünder geht, fängt nicht bei Null an. Die Vergangenheit ist hinsichtlich ihrer Schuld getilgt, nicht aus der Biographie des Einzelnen gestrichen. "Da hat sich einer aufrichtig zu Gott bekehrt, in der Mitte seiner Freiheit, befreit durch die Gnade Gottes, sich ´umgestellt´ und sein Dasein auf die Gnade Gottes gegründet. Auch dann kann es immer noch so sein, dass ´ich´ in vieler Hinsicht der Alte, der noch Unbekehrte oder nicht ganz Verwandelte bin. Da kann ´ ich ´ immer noch ich sein mit meinem Egoismus, den ich gar nicht merke, mit dem ich immer noch in vieler Hinsicht einverstanden bin, ich mit meiner Hartherzigkeit, mit meinem Pharisäertum, mit meiner Feigheit und mit all den andern in der früheren (und jetzt bereuten) Schuld verwirklichten Haltungen und Befindlichkeiten, so dass ich es gar nicht merke und gar nicht fertig bringe, mich von all dem zu distanzieren. Eine solche Umwandlung der ganzen Unermesslichkeit des Menschen kann also noch eine lange schmerzliche Geschichte bedeuten. Welche Qual, welche unabsehbare seelische Entwicklung, welche tödlichen Schmerzen eines seelischen Verwandlungsprozesses sind da noch zu bestehen, bis das alles anders ist. Wie unerlässlich ist dies aber auch! Wie könnte man ohne das ´vollendet´ sein?" Was Rahner so beschreibt (1967, 474), ist die existenzielle Dimension der Folgen einer Schuld, die vergeben ist. Er hat damit den Ausgangspunkt für den individuellen Heilungsprozess beschrieben, der Teil des Lebensweges dieses Menschen werden muss, damit das, was in der Vergebung begonnen hat, im konkreten Leben des Menschen an sein Ziel kommt.
Jede Handlung gegen die Ordnung der Liebe wirkt sich auch auf die Welt aus, in der diese Tat begangen wurde. Auch wenn sie als Un-Tat benannt, bereut und vergeben ist, so ist die Welt, in der sie geschehen ist, durch sie unwiderruflich verändert. Je nach dem Gewicht der Tat und je nach dem sozialen und historischen Ort, an dem sie geschah und sich auswirkte, wird sie sich tiefer oder weniger tief in das Gedächtnis der Geschichte eingraben. Jeder Mensch steht in einem großen zeitlichen Zusammenhang mit anderen Menschen, weil das freie Handeln jedes anderen Menschen dadurch beeinflusst wird. Dies meint die Rede von der "Erblichkeit der Sünde" ("Erbsünde"): Dort, wo Sünde sichtbar geworden ist, breitet sie sich aus. Wo sie erfahren wurde, lockt sie zur Reaktion. Sie rückt als Möglichkeit in das Blickfeld des Menschen. Die Sünde des einen baut im Herzen der anderen die erste Brücke zur anderen Seite des Grabens, der den Menschen von der Verleugnung seiner Gotteskindschaft trennt, auch wenn es in dessen Freiheit liegt, diese Brücke zu beschreiten. Wo die Sünde in die Welt gekommen ist, gebiert sie ihre Kinder.
Fürbitte-Absolution Die Kirche legt dem einzelnen Sünder die Strafe auf - nimmt ihn in Haft für die Folgen seiner Sünden
Dass Gott handelnd gegenwärtig ist in den Zeugen. Er gibt den Geist und historisch den Kairos /Gelegenheit
In der Zuwendung des Ablasses durch die Kirche geschieht daher das Doppelte: Das durch die Gnade in der Geschichte gewirkte Zeugnis der Liebe wird aktualisiert und vor Gott wird in der Zuversicht auf die durch Christus gewonnene Nähe zum Vater die Fürbitte wirksam.
Literaturhinweise |
Die kirchenamtlichen Dokumente sind oben verzeichnet.
Baur, Franz-Joseph: Jubiläumsablaß im Heiligen Jahr 2000. Die freudvolle Seite der geistlichen Erneuerung. In: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik. Heft 1/2000. 73 Jg. , S. 54-63.
Böttigheimer, Christoph: Jubiläumsablaß - ein ökumenisches Ärgernis? In: Stimmen der Zeit. Bd. Heft 3/2000. 125 Jg. , S. 167-180.
Düren, Peter Christoph: Der Ablass in Lehre und Praxis. Die vollkommenen Ablässe der katholische Kirche. Buttenwiesen (Stella Maris) 2000. 2. Auflage.
Müller, Gerhard Ludwig; Fuchs, Ottmar ; Kremsmair, Josef ; Messner, Reinhard: Ablass. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Dritte, völlig neue bearbeitete Auflage. Hrsg. von Walter Kasper u.a., Freiburg (Herder) 1993, Sp. 51-58. (dort weitere Literaturangaben)
Rahner, Karl: Kleiner Theologischer Traktat. Einsiedeln, Zürich, Köln (Benziger) 1967. In: Schriften zur Theologie. Bd. VIII, S. 472-487.
Rahner, Karl: Zur heutigen kirchenamtlichen Ablasslehre. Einsiedeln, Zürich, Köln (Benziger) 1967. In: Schriften zur Theologie. Bd. VIII, S. 488-518. (Erläuterung des o.g. Traktates nach Veröffentlichung von Indulgentiarum Doctrina 1967.
Rahner, Karl(Hrsg.): Herders Theologisches Taschenlexikon. Band 1. Freiburg (Herder) 1972, S. 26-35.
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