Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Ezechiel)

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1. Oktober 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Väter und Söhne

  • Mitgehangen, mitgefangen!“, sagen wir auf Deutsch. Oder „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!“.  Ob das bei den beiden ungleichen Söhnen im Evangelium derjenige ist, der tut, was zu erwarten ist, oder der, der es nur sagt, das wüssten wir nur, wenn wir den Vater kennten? – Der nahe zum Stamm fallende Apfel ist ein Spruch, der oft nur resigniert festhält: Bei dem Vater, was sollte man da anderes erwarten!
  • Der Prophet Ezechiel reagiert in der heutigen Lesung auf so einen Spruch. Doch hier geht die Resignation sogar noch weiter: „Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf?“ Also: Die nächste Generation muss die Suppe auslöffeln, die ihre Eltern ihnen eingebrockt hat. Dahinter steckt eine schreckliche Resignation: Die Kinder können es auch nicht besser, als die Fehler ihrer Eltern zu wiederholen.
  • Doch neben der Resignation steckt in dieser Haltung ein Vorurteil, eine Vor-Verurteilung, gegen die Ezechiel prophetisch das Wort erhebt. Er hört darin einen Vorwurf an Gott. Denn Gott sieht jeden Menschen für sich, wertschätzt alle, beurteilt aber auch.
    Und wenn die Väter fünfmal Nazis waren, können die Kinder sich davon abkehren. Und wenn die Eltern fünfmal Geizhälse und Ausbeuter sind. Für Gott ist das kein Grund, die Kinder zu verurteilen.  Dieser „Weg soll nicht richtig sein“? Gott sagt Nein! zur Menschenart, Menschen nach ihrer Herkunft in Schubladen zu stecken und schon vorab zu verurteilen. Das kündet Ezechiel; leider gibt der normal vorgesehene Ausschnitt aus dem 18. Kapitel seines Buches das nicht richtig zu erkennen.

2. Nächste Generation

  • Bedauerlicherweise ist es nicht so, dass jede Generation bei Null anfangen kann. Kinder tragen an der Last, die ihnen ihre Eltern auflasten: die Last ihrer Ideologien, die Last ihrer Verachtung für bestimmte Andere, die Last von Erwartungen, die sie selbst nie erfüllen konnten und doch den Kindern aufladen. Angeblich sollen sie es mal besser haben. In Wirklichkeit lässt man ihnen kaum eine Chance.
  • Beim Propheten Ezechiel war der Hintergrund, dass die Vorfahren durch gottlose Ungerechtigkeit und Ausbeutung das Volk Israel in die nationale Katastrophe geführt hatten. Und viele scheinen es damals für selbstverständlich gehalten zu haben, dass diese Schuld von der nächsten Generation mitzutragen ist.
  • Ja, sagt Ezechiel, es braucht Umkehr. Es braucht junge Menschen, die sich abwenden vom Unrecht. Doch sie haben genau diese Chance. Zumindest für seine Zeit und für die Situation Israels sieht Ezechiel die Chance dazu.

3. Und dennoch

  • Was wir da hören, klingt uns verdächtig bekannt. Im Blick auf unser Land, unser Europa und unseren Planet. Wir – ich spreche für meine Generation der Eltern und Großeltern – hinterlassen sie mit gewaltigen Altlasten für unsere Kindern und deren Kindern. Das verleitet dazu, sich denen anzuschließen, deren Urteil Ezechiel nicht gelten lässt: „Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf?“. Die zynisch Alternative wäre: Die Elterngeneration hat die Ressourcen verbraucht, die Kinder müssen mit einem aus den Fugen geratenen Ökosystem und all den Folgen zurechtkommen.
  • Dabei gehen die Ursachen weit zurück, vielleicht an den Beginn der Neuzeit und Moderne, die allzu gerne behauptet hat, von Fortschritt zu Fortschritt zu eilen, wo die Europäer ihren Erfolg doch erbaut haben auf der millionenfachen Versklavung von Afrikanern, der hemmungslosen Ausbeutung der Natur, der Bodenschätze und auch von Arbeitskräften hier und weltweit, sowie nicht zuletzt den brutalsten Kriegen und Vernichtungsregimen der Geschichte. Die Menschenrechte, die wir verkünden, haben wir bei weitem nicht gelebt. Wir gleichen dem Sohn, der "Ja" sagt und nicht geht.
  • Und dennoch, würde Ezechiel sagen. Und dennoch sagt, so bin ich überzeugt, das auf heute gelesene Evangelium: Und dennoch wird für die Generation der jungen Menschen alles davon abhängen, ob sie einfach so weitermachen. Wer „nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird sein Leben bewahren“. Dafür will Gott einstehen.
    Die Welt wird nicht mehr sein, wie sie war. Das ist vielleicht eine gute Nachricht, wenn wir den Preis sehen, den andere bezahlen müssen, für die Welt, wie sie den Vätern selbstverständlich war. Aber für jede Zukunft hängt alles davon ab, dass Menschen nicht nur „ja sagen und nicht hingehen“. Es wird jeder leben, die oder der auf Solidarität und Gerechtigkeit setzt und so den „Willen seines Vaters erfüllt“, den Willen des Gottes, der nicht „Gefallen hat am Tod des Schuldigen - Spruch GOTTES, des Herrn - vielmehr daran, dass er umkehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt“!