Predigt zum Hochfest der Gottesmutter (Lukas)
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1. Januar 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt
1. In Gedanken
- Wenn früher jemand laut redend und gestikulierend allein durch die Straßen
lief, war der Fall klar. Heute müssen wir, bevor wir den Psychiater verständigen,
erst schauen, ob der Betreffende ein Handy am Ohr hat. Merkwürdig aber erscheint
es nach wie vor, wenn da einer laut hörbar mit etwas beschäftigt ist, was
mit der sichtbaren Umgebung so gar nichts zu tun haben scheint. Das Merkwürdige
ist allerdings eher, dass wir es hören, denn innerlich sind unsere Gedanken
oft vielfach beschäftigt, füllen Lücken und Freiräume und gehen ihren eigenen
Weg.
- Es ist aufschlussreich den eigenen Gedanken zu lauschen. Viel wird über
die Bedeutung von Träumen gesprochen, wenig über die schweifenden Gedanken.
Und doch scheinen mir letztere aufschlussreicher. In ihnen drückt sich aus,
was uns beschäftigt. Während wir einer Tätigkeit nachgehen, die wenig Aufmerksamkeit
erheischt, unterwegs oder zu Hause am Bügelbrett oder gar bei privateren Erledigungen,
gehen die Gedanken ihren eigenen Weg. Probleme werden gewälzt, Konflikte durchgespielt,
Sehnsüchte ausgemalt, Erinnerungen werden in Gedanken bewegt, während Füße
und Hände routiniert ihrer Arbeit nachgehen.
- Je nach Charakter sind die Gedanken verschiedener Art. Viele scheinen innerlich
Gespräche zu führen, Wort und Widerwort in Gedanken zu wälzen. Man vorformuliert
was man sagen will oder muss. Bei Anderen oder zu anderen Gelegenheiten ist
es eher das Nachdenken über Geschehnisse und Ereignisse, die waren oder die
sein werden. Hier hinein mischen sich die Bilder und Töne, mit denen wir fast
überall belegt werden.
2. Mädchen aus Israel
- "Kein Geschehnis ist für Gott unmöglich", hatte der Engel
der Verkündigung Maria gesagt (Lk 1,37). Damit verließ er sie und damit
nahm das Geschehnis seinen Lauf. Maria wurde schwanger, ihr Verlobter nahm
sie dennoch zu sich, sie gebar ein Kind in Betlehem, legte es in eine Krippe.
Wiederum ein Engel verkündet und deutet dies den Hirten auf dem Feld, so dass
diese sich zusammensetzen, miteinander sprechen und sagen "Kommt,
wir gehen nach Betlehem, um das Geschehnis zu sehen, das uns der Herr verkünden
ließ". Sie kommen und sehen und "breiten Kunde aus über
das Geschehnis, das ihnen gesagt worden war". Maria aber, heißt
es, "bewahrte diese Geschehnisse, sie bewegend in ihrem Herzen".
- Was ich hier mit Geschehnis übersetzt habe, kann und muss man je nach Zusammenhang
mit "Wort" übersetzen, denn ganz nach hebräischen Denken kann der
griechische Ausdruck (rhéma) beides bedeuten: Wort und Ereignis.
Kein Wort ist für Gott unmöglich, die Hirten kommen, das Wort zu sehen und
breiten Kunde aus über das Wort. Maria schließlich bewegt die Worte in ihrem
Herzen. In dem zweifachen Sinn kommt etwas Wichtiges zum Ausdruck: Geschehnisse
sprechen zu uns und Worte sind auch Ereignis. Was wir erleben und tun, können
wir befragen, und was wir sagen, wird in dieser Welt zum Ereignis.
- Das Evangelium stellt Maria dar als wahre Israelitin, als Tochter Israels.
Denn das Grundgebot für jeden Juden heißt: "Höre, Israel! JHWH, unser
Gott, JHWH ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit
ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die
ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. (...)
Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße
gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst" (Dtn 6,4-6.7bc).
Diese Worte sind diese Geschehnisse (im griech. AT wie in Lk 2,17 rhémata),
ist was Gott sagt und tut. Die Hirten wurden zu Propheten, Maria, die Hörende,
lässt sich Geschehnis und Wort ins Herz schreiben, bewegt sie im Herzen hin
und her, zu Hause und auf der Straße. Mit Maria werden auch wir auf das "Höre
Israel" des Ersten Bundes, des Alten Testamentes verpflichtet.
3. Innere (Gegen-)Kultur
- In dem einen Satz steckt die wichtigste Auskunft über Maria. In dem einen
Satz wird das Zentrum der Gottesbeziehung Israels angesprochen. In dem einen
Satz ist für uns gesagt, wie wir den Glauben in unseren Alltag bringen können:
"Maria bewahrte diese sprechenden Geschehnisse, diese ereigneten
Worte und bewegte sie in ihrem Herzen". Das Erlebte und Gehörte
kann fortwirken, wenn wir es uns zur Gewohnheit machen, es immer und immer
wieder in unserem Herzen zu bewegen.
- Dies ist die Übung im Glauben. Wenn wir den vielen Gedanken, die uns durch
den Kopf gehen, Struktur geben, dann kann der Glaube unser Herz bewegen. Das
"Höre Israel!" beschreibt es genau: zu Hause bei den alltäglichen
Beschäftigungen und auf der Straße, morgens beim Aufstehen und abends beim
Niederlegen sollten wir unserem Herzen Gedanken zur Nahrung geben.
- Den Tag über können wir solche Gedanken pflegen. Dazu gibt es die Kalender
der Herrnhuter Brüdergemeinschaft, die für jeden Tag einen kurzen Satz aus
der Bibel als "Losung" ausgelost haben. Dazu kann man das Liedblatt
vom Sonntagsgottesdienst mitnehmen und über die Woche die Lesungen, den Psalm
oder das Evangelium im Herzen bewegen. Manchmal hilft mir auch ein Lied oder
die Melodie eines Taize-Verses. Aber auch eigene Erfahrungen des Glaubens
können wir dafür formulieren und mit uns tragen. Wer das regelmäßig praktiziert,
wird erleben, dass die Durchmischung der "alltäglichen" Gedanken
mit der Botschaft des Glaubens Frucht trägt. Er wird auch erfahren, dass dies
hilft, gegenüber all dem, was auf der Straße von den Werbetafeln und zu Hause
im Fernsehen unsere Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen will, eine innere Gegenkultur
aufzubauen. Was wir im Herzen bewegen, bewegt uns. So kann das Geschehnis
des Evangeliums unser Leben prägen. Amen.