Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Neujahr 2014 (Lukas)

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1. Januar 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Denkend bewahren und im Herzen bewegen

  • "Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach." Hier scheint der Evangelist Lukas höchste geistliche Kunst zu beschreiben. "Im Herzen bewahren" und "darüber nachdenken" sind die beiden Bewegungen, in denen sich uns der geistliche Sinn aller Erfahrung erschließt.
  • Zum einen fordert der Glauben von uns das nüchterne Nachdenken. Gott hat uns mit Bedacht Verstand gegeben. Manche lassen wenig davon erkennen und meinen, es sei besonders fromm, wenig nachzudenken. Das unverstellte Denken ist aber Voraussetzung des Glaubens. Das Gegenteil von Denken ist nicht Glauben, sondern Egoismus und Dummheit.
  • Zum Nachdenken aber gehört die Bewegung im Herzen. Unsere Übersetzung des Evangeliums interpretiert den griechischen Text. Wörtlich steht dort: "Maria bewahrte diese Worte sie im Herzen bewegend". Zum Glauben wird das Denken erst, wenn wir das Erlebte im Herzen bewegen, also immer und immer wieder vor Gott bringen und es uns von Gott neu schenken lassen.

2. Enthüllung und Verhüllung

  • Diese gläubige Bewegung des Herzens kann als Enthüllung und Verhüllung (englisch: unveiling and veiling) beschrieben werden.
    Ungläubig wäre die brutale Enthüllung: Alles wird der Analyse unterworfen und wenn es analysiert wurde, dann meint man, das Wesen eines Menschen, einer Erfahrung oder auch nur des einfachsten Teils der Schöpfung verstanden zu haben.
  • Gläubig hingegen ist denkend die Tiefe sehen: In der Bewegung des Herzens entdecke ich, dass alles, was sich mir darbietet, ein Geheimnis (englisch: mystery, nicht: secret!), ein mysterion bleibt; je mehr ich es enthülle, desto mehr habe ich verstanden, dass alles, ja wirklich alles seinen Ursprung aus Gott hat.
    Maria bewegte die Worte der Hirten und alles, was sie erlebt hat, in ihrem Herzen. Sie denkt darüber nach. Sie versucht zu verstehen. Und je mehr sie darüber nachdenkt, und sich ihr der Sinn der Ereignisse entdeckt, desto mehr versteht sie, dass darin noch unendlich viel mehr verborgen ist, als es an der Oberfläche der Ereignisse scheint.
  • Die gläubige Bewegung des Herzens kann auch Liebe genannt werden. Denn der Liebende will die, den oder das Geliebte immer tiefer verstehen. Trotzdem wird er es nicht in das grelle Licht zerren. Das Gegenüber des Liebenden hat eine ihr oder ihm eigene Wahrheit. Diese enthüllt sich nur, wenn wahr bleibt, dass alles, was aus Gott kommt, immer auch noch ein Geheimnis, mysterion, in sich birgt. Aus Respekt vor diesem tiefsten Wesen eines jeden Geschöpfes rührt die Vorsicht, in der der Liebende enthüllt. Aus diesem Respekt auch enthüllen wir uns selbst gerade gegenüber der Liebe eines Menschen nicht restlos; denn damit würden wir einen Menschen zu Gott machen, was keinem Menschen gerecht würde.

3. All diese Worte und Ereignisse

  • Maria steht am Anfang der Kirche. Zugleich ist sie ihr Urbild. Denn wie Maria kommt unser Glaube aus dem Glaubensweg Israels. Von Israel haben wir das Geheimnis des lebendigen Gottes erfahren. Mit Maria schauen wir - wie im Rosenkranzgebet - auf Jesus und bewegen das, was wir von ihm hören und wissen in unserem Herzen. Der Weg des Glaubens wird die lichte Wirklichkeit Gottes immer tiefer verstehen - und gerade deswegen auch immer wieder vor der Dunkelheit Gottes verstummen. Gerade weil Gott sich in Jesus Christus enthüllt und offenbart, ist in der Menschheit Jesu die Gottheit verhüllt und verborgen.
  • Die Wahrheit des Glaubens so im Herzen zu bewegen, ist Schule des Lebens. Vor uns liegt ein neues Jahr, und das alte Jahr mag in vielem noch gar nicht richtig bewältigt und verstanden sein. Die Beziehung zu Menschen und Ereignisse des Jahres, die unser Leben ausmachen, haben eine Bedeutung. Nach dieser auf der Suche zu bleiben ist gläubiges Fragen nach der Gegenwart Gottes.
  • Es gibt die eine Seite der Schöpfung, in der unser nüchternes Denken gefragt ist. Aber es gibt auch die andere Seite, die wir nur verstehen, wenn wir sie in das Herz hinein nehmen, also in unsere eigene Lebensmitte. Von da her können wir den Menschen und Ereignissen, die Gott uns im neuen Jahr begegnen lässt, mit jener respektvollen Liebe begegnen, die uns beständig suchen und fragen lässt; der Liebe, die das Geheimnis, das mysterion, nicht nur der Menschen, sondern auch jeder einzelnen Begegnung spürt, geduldig wartend, dass es sich uns enthüllt als Gegenwart Gottes für uns. Amen.