Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 1. Adventssonntag Lesejahr A 2016 (Matthäus)

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27. November 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Jederzeit alles machen

  • Man kann alles jederzeit haben. Zumindest wenn genug Geld da ist. Jedes Obst, jedes Gemüse wird unabhängig von der Saison aus den entferntesten Winkeln der Erde eingeflogen. Mit dem Handy kann man jederzeit jede Verabredung noch einmal verschieben oder absagen. Streaming-Dienste machen es möglich, Filme zu jeder Zeit zu sehen. Fernsehen nach Programmzeitschrift ist so was von Achtziger. Zumindest für die, die es sich leisten können.
  • Aber das ist nicht die ganze Wirklichkeit. Diese Welt, in der alles zu jeder Zeit verfügbar ist, ist nicht nur für den eigenen Geldbeutel teuer. Es gibt ökologische Kosten, weil das alles transportiert werden muss. Und vielleicht gibt es auch soziale Kosten, weil es die Gemeinschaft unter Menschen nicht unbedingt nur fördert. Vor allem aber stimmt es nicht.
  • Die Illusion, nach der die Beschränkung von Raum und Zeit doch eigentlich nicht mehr gelte, und ich mich jederzeit völlig ungebunden entscheiden könne, was ich konsumiere, wo ich hingehe, welche Leute ich treffe und was ich mit denen esse (denn vorsichtshalber haben wir gleich mal in drei Restaurants Tische reserviert), das ist wirklich nur eine Illusion, selbst für die Reichsten der Reichen. (Und nichts macht uns so zu Gefangenen, wie Illusionen, weil sie das Leben in einen tragischen Abwehrkampf gegen die Wirklichkeit verwandeln.)

2. Jederzeit wachsam sein

  • Wenn Jesus von den Menschen in den "Tagen des Noach" spricht, dann klingt bei jedem im Ohr, dass dies die mieseste Zeit überhaupt war. Damals galten Recht und Barmherzigkeit fast nirgendwo mehr auf der Welt. Nur einer, Noach eben, machte nicht mit und bereitete sich rechtzeitig vor der Sintflut vor. Noach ist der Inbegriff des Menschen, der eher riskiert, von allen anderen verlacht zu werden, als die Zeit zu verpassen, sich vorzubereiten auf die Rettung. Noach ist ganz Aufmerksamkeit, mit jeder Faser seines Lebens bereit.
  • Damit vertritt Jesus ein komplett entgegen gesetztes Konzept, als die Illusion, man können doch jederzeit alles neu gestalten, entscheiden, machen wie es gerade in den Sinn kommt. Statt dem Konzept "jederzeit alles machen können" das Konzept "jederzeit bereit für das, was begegnet". Das Gegenkonzept Jesu gründet nicht darin, dass es zu seiner Zeit noch kein Handy gab, mit man das Date mal so eben hätte absagen können. Nicht aus äußerer Beschränkung wirbt Jesus für das Konzept jederzeit bereit zu sein, sondern aus innerer Überzeugung.
  • Denn so cool das Konzept "jederzeit alles machen können" daherkommen mag, so sehr ist es doch letztlich nur eine schrecklich einsame Selbstbezogenheit. Im Letzten, wenn jemand immer nur so leben würde, wäre es der Tod aller Liebe und Bezogenheit auf andere. Freiheit von aller Bindung ist Bindung nur noch an sich selbst. Man kann das auch Hölle nennen.

3. Bereit für die Zeit

  • Von da her ist vielleicht zu verstehen, warum Jesus in der Tradition der biblischen Apokalyptik radikal vom Ende der Zeit spricht, und warum das auch, aber eben nicht nur ein Ereignis irgendwann ist, sondern ein Grundverhältnis zur Wirklichkeit. Die Grundhaltung der Bereitschaft, ist die eines Menschen, der sich mit allen Sinnen öffnet für die Wirklichkeit, die seine eigene übersteigt: Die Wirklichkeit des anderen Menschen, den er oder sie liebt; die Wirklichkeit der Schöpfung, die nicht Verfügungsmasse für meine Wünsche sondern Geschenk der Schöpfung ist; in allem die Wirklichkeit Gottes, der seiner Schöpfung begegnet.
  • Wir stehen am Anfang des Advent und hören aus dem Evangelium die Worte Jesu aus seinen letzten Tagen auf Erden. Der Blick auf das Ende macht bereit für den Anfang. Es ist an mir, die Wochen des Advents zu nutzen - kurz gesagt: für Gebet und Beichte.
  • Der Advent ist die Einladung, sich neu einzuüben in Aufmerksamkeit. Das vor allem sollte Gebet immer sein: von der Tiefe meines Herzens aufmerksam sein für Gottes Gegenwart. Und der Advent ist die Einladung, sich selbst realistisch zu sehen, Schuld und Fehlleitung nicht länger zu ignorieren und sich gleichzeitig öffnen für die Begegnung mit Gottes Barmherzigkeit. Darauf bereiten wir uns ja vor im Advent, auf den Gott, der bei uns geboren werden will. Amen.