Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Matthäus)
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17. Juni 2002 - Kaisderdom Frankfurt/Main
1.
Moral statt Religion?
- Was kann es Wichtigeres
geben, als dass wir anfangen Gerechtigkeit zu üben? Zeigt sich nicht darin
die Nützlichkeit der Religion, dass sie die Menschen anhält, Gutes zu
tun? Gerade Christen nehmen das gerne für sich in Anspruch. Ja, die
Entwicklung im westlichen Denken läuft seit zweihundert Jahren geradlinig
darauf zu, Religion in Moral aufgehen zu lassen.
- Was ist sinnvoller,
als dass die Bösen bestraft und die Guten belohnt werden? Wenn Gott
gerecht ist, dann doch darin, dass der Weltenrichter die Schafe von den Böcken
trennt. Das Christentum hat immer wieder gepredigt, dass im Letzten Gericht die
Menschen nach ihren Taten beurteilt werden.
- Und dennoch spricht die Heilige
Schrift davon, dass es nicht die Gerechten, sondern die Sünder sind, die
Jesus beruft. Und Paulus im Römerbrief spitzt es im Blick auf das Kreuz zu:
Selbst für einen gerechten und guten Menschen würde nur schwerlich jemand
sein eigenes Leben dransetzen. Gott aber, sagt Paulus, hat "seine Liebe zu
uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder
waren."
2. Taufe und Reich Gottes
- Leider
ist in der christlichen Tradition dieser Gedanke immer wieder dahin gehend umgedeutet
worden, dass Jesus deswegen habe leiden müssen, weil wir - gesprochen an
die Getauften - sündigen. Da ist zwar etwas Wahres dran, aber es dreht die
Verhältnisse um.
- Wenn Paulus schreibt, dass Christus "für uns"
gestorben ist, als "wir" noch Sünder, ja gottlos waren, dann spricht er von
der Taufe. Die Taufe ist - für uns! - das Ereignis, in dem uns Gott
hineinnimmt in sein Volk.
Jesus ist gestorben, weil er an seiner Verkündigung
des Evangeliums von der Hingabe Gottes und dem beginnenden Gottesreich auch dort
festgehalten hat, wo dieser Botschaft Widerstand und Gewalt entgegengesetzt wurde.
- Jesus ist für die Menschen gestorben, die sich diesem Reich Gottes
zuwenden. Das aber waren nicht in erster Linie die Frommen und Gerechten, sondern
die Zöllner, die Dirnen, die Ausgestoßenen und Sünder. In einer
Gesellschaft moralischer Leistungsgerechtigkeit sind diese außen vor. Moralpredigt
schafft Außenseiter und führt zu der Gewalt. Gewalt, die Jesus nicht
wollte, sondern durch Kreuz und Auferstehung überwunden hat.
3.
Gerechtigkeit
- Das Reich Gottes ist definitiv angebrochen -
das ist die Botschaft der Evangelien und insbesondere des Römerbriefes. Mit
der Auferstehung ist Jesus als Sohn Gottes erhöht und beruft Menschen in
dieses Reich. Die Taufe ist sichtbares Zeichen, in dem Menschen der Herrschaft
Gottes unterstellt werden. Diese Botschaft ist noch heute unerhört: Nicht
durch eigene Leistung, sondern weil Gott uns annimmt, beginnt die neue Gerechtigkeit.
- Das
alte Reich, das Reich der Selbstgerechtigkeit und der gewaltsamen Durchsetzung
eigener Überlegenheit ist noch nicht zu Ende. Das erleben wir Tag für
Tag. Dieses Reich gibt sich äußerst selbstbewusst. Es ist, so gesehen,
eine deutliche Linie, die von der Parteinahme für die Besserverdienenden
hinführt zum sich naiv gebenden Tabubruch, mit dem die Opfer von gestern
wieder zur Diffamierung freigegeben werden.
- Das Evangelium aber lädt
uns ein, dass wir uns dem anderen Reich unterstellen. Wir sind eingeladen, den
ungeheuren Schritt zu machen, nicht von unserem Schaffen und Machen und Werkeln,
von unserer Leistung und Überlegenheit das Heil zu erwarten. Die letzten
zweihundert Jahre Menschenherrschaft haben die Welt mit Kolonialismus, Revolutionen,
Faschismus, Gulag und Weltkriegen überzogen, weil Menschen von ihrer Leistung
überzeugt waren. Wir sollten wieder anfangen, das Heil und auch die Veränderung
unseres eigenen Lebens dort zu beginnen, wo es in der Taufe begonnen hat: Im Geschenk
Gottes. Amen.