Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr B 2015 (2. Korintherbrief)

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18. Juni 2006 - Pfarrgemeinde St. Ignatius Frankfurt

1. Eine Armutsglocke

  • Jeden Tag um fünf vor zwölf läutet die Glocke von St. Ignatius. Es ist eine Armenglocke, die zu dieser sprichwörtlichen Zeit in das Bankenviertel von Frankfurt hinein läutet, um den Armen auf dieser Erde eine Stimme zu geben. Durch die Verbindung mit Projekten auf verschiedenen Erdteilen, bekommt dieses Mahnläuten einen Bezug. Doch wozu genau soll diese Glocke mahnen? Wozu ruft das Läuten auf?
  • Die Glocke ist nicht unumstritten. Die einen sagen, eine Kirchenglocke sei doch dazu da, zum Gottesdienst aufzurufen. Die anderen wollen genau das nicht, damit das Symbol dieser Glocke - Armutsglocke zu sein - nicht verwässert, gar zweckentfremdet werde. Beiden Positionen ist eines gemeinsam: Sie sehen einen Gegensatz zwischen dem Rufen zum Gottesdienst und dem Rufen der Armenglocke.
  • Denn keinesfalls geht es bei der Armenglocke nur darum, ein schlechtes Gewissen zu machen. Es geht vielmehr darum, das Denken und Handeln zu verändern. Die Glocke ruft zum "Armendienst" in dieser Welt - und steht genau deswegen nicht im Gegensatz zum Gottesdienst. Denn im einen wie im anderen Fall geht es um die Hoffnung auf und den Dienst an einer neuen, veränderten Welt.

2. In der Fremde

  • Als Christen leben wir "fern vom Herrn in der Fremde, solange wir in diesem Leib zu Hause sind". Dieser Satz steht in der heutigen Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Christen von Korinth. Aus dem Zusammenhang gerissen scheint er das Vorurteil zu bestätigen: Christen kümmern sich nicht um das Diesseitige. Solange sie "in diesem Leib" wohnen müssen, sind sie "in der Fremde"; wer seine Heimat im Himmel hat, ist ein vaterlandsloser Geselle auf Erden.
  • Wir sollten den Vorwurf erst einmal gelten lassen. Denn ja, es ist Zentrum christlicher Hoffnung, dass wir eine Wohnung bei Gott haben, während wir in diesem Leben eher wie in einem Zelt umherziehen (so das Bild, im vorangehenden Abschnitt bei Paulus). Es kann nur Vergessenheit auf die großartige Verheißung des Lebens bei Gott sein, wenn wir uns in diesem Leben allzu sehr zu Hause fühlen, uns einrichten, als sei das hier schon die Erfüllung und Vollendung.
  • Paulus kann daher sagen, dass er es vorzieht, "aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein". Das hat bei ihm durchaus einen Erfahrungshintergrund: Vielfältig sind die Strapazen, denen er sich ausgesetzt sieht und manches Mal schon war er dem Tod durch Schiffsbruch oder Gewalt recht nahe. "Aus dem Leib auswandern" meint daher keine Leibfeindlichkeit. Paulus teilt vielmehr das Schicksal der meisten Menschen, für die Gewalt und Tod tägliche Realität ist. Vielleicht fühlen wir uns in unserer zeitlichen Gegenwart nur deswegen nicht "in der Fremde" weil wir das ausblenden.

3. Gemeinschaft mit Christus

  • "Daheim" aber sind wir als Christen nicht in einem imaginierten Paradies, einem Schlaraffenland, um dessentwillen wir möglichst schnell "auswandern" wollen. Vielmehr schreibt Paulus, wir seien "daheim beim Herrn". Eine ganz lebendige, ihn bis in die Tiefen prägende Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Herrn, ist Grund seiner Hoffnung - und Grund seiner Freude. Diesen Herrn erfährt er auch in diesem Leben gegenwärtig. Mit diesem Herrn möchte er ganz zusammen sein.
  • Damit sind auch wir vor die Frage gestellt, was uns umtreibt. Die Sehnsucht nach Christus sollte Christen prägen. Wir suchen Anerkennung und Ehre für allerlei. Für unsere Leistung, unsere Schönheit oder unseren Erfolg wollen wir Anerkennung bekommen. Das aber sind Maßstäbe, die im Letzten, dort wo es um den Sinn des ganzen Lebens geht, nicht zählen: "Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind", schreibt Paulus. Ob "daheim", bei Gott, oder "in der Fremde", hier in einer Welt die sich so vielfach von Gottes Gerechtigkeit entfernt hat: Unsere "Ehre", die einzige Anerkennung, die wir suchen sollten, besteht darin, Gemeinschaft zu haben mit Christus.
  • Die Glocke, die um fünf vor zwölf läutet, ruft zur Gemeinschaft mit Christus, dem Herrn. Das ist ein ernstes Rufen, denn Gott hat uns unser Leben anvertraut und vor dem "Richterstuhl Christi" müssen wir Rechenschaft ablegen, ob wir dieses Leben nur für uns selbst gelebt haben. Aber was wir jetzt noch glauben, werden wir schauen - "denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende" - wir werden schauen und erleben, dass die Gemeinschaft mit Christus, dem Herrn, das Wunderbarste ist, was wir haben, jetzt in diesem Leben und in der Vollendung. Amen.