Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Lukas)

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13. Juni 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt/Main

1. Höflich interessiert

  • Simon lädt Jesus zu einem Abendessen ein. Auch andere Gäste sind dabei. Der Raum ist nach orientalischer Sitte mit großen Fenstern und Türen auch zur Straße hin offen. Man liegt zu Tische. Das Abendessen ist lange und gibt Gelegenheit zu ausgiebigem Gespräch. Das ist der Grund, warum Simon, der sich zur Gruppe der Pharisäer rechnet, Jesus eingeladen hat. Er möchte den Rabbi, den Meister, kennen lernen.
  • Das Gespräch ist interessant und freundschaftlich. Das Interesse des Simon an Jesus und seiner Lehre ist aufrichtig. Verschiedenste Themen werden angesprochen, Positionen ausgetauscht. Aber es ist mehr als ein akademisches Gespräch, denn Simon ist aufrichtig interessiert.
  • Manches an Jesus ist Simon befremdend. Einerseits ist Jesus in seinem Glauben und seiner Lehre überraschend klar in der jüdischen Tradition verwurzelt. Man hat viele Gemeinsamkeiten. Dann aber spüren Simon und die anderen Gäste, dass Jesus sich gegenüber bestimmten Traditionen und Regeln erstaunliche Freiheiten herausnimmt. Dabei wäre es gerade in dieser Zeit, in der der Glaube durch die verkrustete Hierarchie und durch die Bedrängnis seitens der Römer in Gefahr ist, wichtig, auch in Alltagsregeln ganz deutlich zu machen, dass der Glaube an Gott unbedingt verpflichtet.

2. Gegen die Sitte

  • In dieses Gespräch platzt eine Frau hinein. Die Türen stehen ohnehin offen. Sie ist gekommen, weil Jesus mit seiner Predigt sie nachhaltig beeindruckt hat. Zum ersten Mal hatte sie gespürt, dass Gottes Wort ihrem Leben eine neue Richtung geben kann. Jetzt hat sie zusammen mit anderen, die dabei stehen, schon einige Zeit dem Gespräch zugehört. Nun kommt sie ganz rein. Sie nähert sich Jesus von hinten. Da überwältigen sie ihre Gefühle. Die Weise, wie Jesus spricht, berühren die tiefsten Schichten in ihrer Seele. Tränen schießen ihr in die Augen - und benetzen die Füße Jesu, der mit den anderen bei Tische liegt.
  • Die Frau schiebt alle Regeln des Anstands beiseite. Die Tränen, die auf Jesu Füße gefallen waren, trocknet sie mit dem Haar, das sie gegen die Sitte nicht zusammengebunden trägt. Dann nimmt sie kostbares Öl, das sie mitgebracht hat, und beginnt Jesus die Füße zu salben. Der ganze Vorgang ist peinlich übertrieben und völlig unangemessen. Hinzu kommt, dass die Herren im Raum (zum Teil wohl aus eigener Erfahrung) wissen, "was das für eine Frau ist, von der Jesus sich berühren lässt", dass diese Frau im Ort als Prostituierte ihr Geld verdient. Man spürt, dass unter den Gästen die Spannung steigt.
  • Aber Jesus lässt alles an sich geschehen. Er lässt die Berührung der Frau zu. Er spürt die innere Erregung und er ahnt die Liebe, die diese Frau zu ihm empfindet. Er merkt, dass in diesen Tränen sich ein Strom Bahn bricht, der in einer geschundenen Seele tief verschüttet war. Jesus lässt ihre Liebe an sich heran.

3. Über dem Durchschnitt

  • Simon ist zweifelsfrei ein guter Gastgeber. Die Frau aber strömt über von Gefühlen. Simon ist als Gastgeber sicherlich korrekt, und hat Jesus gut aufgenommen. Erst die Frau aber macht den Unterschied deutlich. Für sie ist Jesus nicht einfach ein interessanter Lehrer. Für sie bestimmt die Liebe zu diesem Jesus in diesem Moment alles - eine Liebe die so ganz anders ist, als die Liebe, die bisher Männer bei ihr kaufen wollten. Das lässt sie in ihrem Verhalten über alle Stränge schießen.
  • Liebe und Vergebung sind die beiden Seiten derselben Medaille. Der Glaube an Jesus Christus hat mehr mit Liebe zu tun als mit theoretischem Denken. Es ist die Begegnung mit dem lebendigen, dem auferstandenen, dem gegenwärtigen Herrn. Aus dieser Begegnung wird Liebe, wenn ich beginne erschüttert zu begreifen, wie viel Schutt aus meinem Leben Gott beiseite geräumt hat.
  • Simon sind keine Vorwürfe zu machen. Er hat sich korrekt verhalten. In seiner Verwunderung über "diese Frau", von der Jesus sich berühren lässt, steckt kein ungewöhnlicher Hochmut. Es ist so normal, wie seine Gastfreundschaft höflich normal bleibt. Aber der Preis für dieses höflich-normal-interessierte Verhalten, ist dass es so nicht zu einem lebendigen Glauben kommt. Dies kann nur die Liebe. Amen.