Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt Schüler Stufe 10-11 der Sophie Barat Schule, Hamburg

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1. Dezember 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Suche nach einem Ort

  • Menschen suchen nach ihrem Ort im Leben. Sie stellen fest, dass es gar nicht so klar ist, wo sie hingehören. Sie suchen nach Beziehungen, die Halt geben. Es gibt offenbar auch ein grundlegendes Bedürfnis, irgendwo "zu Hause" zu sein. Gerade, wer oft umziehen musste, wird das spüren. Menschen, die auswandern mussten, weil Krieg und Gewalt ihnen die Heimat genommen hat, erfahren das besonders.
    Aber auch im übertragenen Sinne suchen wir nach einem Ort, ja, vielleicht sogar nach uns selbst, wer wir sind, in welchem Körper wir stecken, wo wir hingehören - und wo wir hingehören wollen.
  • Denn es gibt auch das Umgekehrte: Menschen fühlen sich eingeengt. Die Decke fällt ihnen auf den Kopf. Die Leute, mit denen sie zusammen sind, gehen ihnen auf die Nerven. Sie sehen die Verlogenheit, die hinter der nur scheinbar heilen Fassade des Hauses, in dem sie wohnen müssen, versteckt und verdrängt wird. In solchen Situation stellt sich weniger die Frage, wo wir zu Hause sind, als wie wir da raus kommen.
  • In der Bibel werden wir mit Bildern und Gedanken konfrontiert, die auch mit solchen Erfahrungen zu tun haben. Es sind Bilder und Gedanken, die Menschen aufgrund ihrer Erfahrung mit Gott aufgeschrieben haben; später hat die Gemeinschaft der Glaubenden sie in der Bibel gesammelt, weil sie erkannt haben: In ihnen tritt Gott auch mit uns in Beziehung; er hat uns etwas zu sagen und die Erfahrungen eines Propheten Jesaja sind auch für uns gültig, und was Jesus in einer bestimmten Situation gesagt hat, dass bleibt auch für spätere Zeiten "Wort Gottes".

2. Offene Stadt

  • Die Lesung aus dem Buch Jesaja ist besonders interessant, auch wenn man nur diesen kleinen Abschnitt nimmt. Man muss ihn nur noch einmal genau lesen. Da steht etwas von der Zukunftshoffnung:
    • Man wird ein Lied singen, kein Trauerlied, sondern ein dankbares Freudenlied.
    • Das Lied singt von einer Stadt, deren "Mauern und Wälle", Gott ermöglicht hat, damit wir dort Schutz und gutes Leben finden.
    • Dann aber folgt gleich die Aufforderung: Verbarrikadiert euch nicht in dieser Stadt; versteckt euch nicht hinter ihren Mauern, sondern "öffnet die Tore"!
    • Diese offene Stadt soll aber nicht ein Ort für Verlogenheit und Gewalt sein, sondern die Tore sollen offen sein, dass hier ein Ort der Gerechtigkeit und Treue entsteht: Menschen sollen sich auf einander verlassen können; sie Schwachen sollen Schutz finden; man soll ich hier aufeinander verlassen können - Treue.
  • All das ist nicht selbstverständlich. Im Gegenteil. Gerade das Volk Israel hatte damals, vor über 2.500 Jahren, das Gegenteil erfahren müssen. Ihre Städte, Jerusalem vor allem, waren zu Grunde gegangen, weil die Gesellschaft und zumal die Mächtigen verlogen war. Äußerlich hat man noch an Gott festgehalten, aber in den sozialen Beziehungen herrschte das Gesetz des Stärkern. Am Umgang einer Gesellschaft - und eines Menschen überhaupt - misst die Bibel die Gerechtigkeit und auch die Liebe.
  • Der Ruf "Öffnet die Tore!" stammt ursprünglich aus dem Gottesdienst. Im Tempel in Jerusalem wurde das gerufen, bevor die großen Tore geöffnet wurden, damit die Menschen Zugang finden zu Gott. Als dieser Teil aus dem Jesaja-Buch aufgezeichnet wurde, war der Tempel zerstört. Die Symbolik ist aber die selbe, die im Ritus des Gottesdienstes eingeübt werden sollte: Öffnen wir einander den Zugang zu dem lebendigen Gott. Die Beziehung zu ihm ist der "Fels", auf den wir uns verlassen können. Je mehr wir ihm wirklich nahe sind, desto mehr bekommen wir Mut, uns gegen Ungerechtigkeit und Verlogenheit einzusetzen.

3. Schlussfolgerungen

  • Was bedeutet das - so weit - für die Frage, wo mein Ort im Leben ist? Zunächst ganz klar: Suche deinen Ort dort, wo Menschen sich um Gerechtigkeit bemühen. Maßstab ist dabei immer, wie mit den Schwächeren und Schwächsten umgegangen wird. Das gilt für eine politische Gesellschaft, aber auch für die Schule, den Freundeskreis und sogar die Familie. Wenn du das Gefühl hast, dass du am falschen Ort bist und dir die Decke auf den Kopf fällt, dann muss das kein spätpubertärer Fluchtversuch sein, sondern berechtigter Widerstand.
  • Was das für mich als Einzelnen bedeutet, wird bei dem Evangelium, das wir gehört haben, deutlich. Am Schluss der Bergpredigt greift Jesus die Bilder aus Jesaja auf und führt sie fort. Auch Jesus spricht von dem "Fels", den eine stabile Architektur braucht, aber er wendet den Blick von der ganzen Stadt auf das Haus - das Haus meines Lebens. Viele Häuser erst machen eine Stadt. Auf der Suche nach dem Ort für mein Leben und einem Zuhause, wo ich nicht gleich falsch am Platz bin, ist nicht die Fassade entscheidend, sondern das Fundament.
  • Über das Fundament sagt Jesus: "Wer diese meine Worte hört und danach handelt....". Gemeint sind die Wort der Bergpredigt. Darin hat Jesus nämlich keinen Pflichtenkatalog zusammengestellt, sondern radikal ausgemalt, wie ein Leben aussieht, das auf Vertrauen in Gott gebaut ist. Etwa, die andere Backe hinzuhalten, wenn dich jemand schlägt. Wer kein Vertrauen in Gott hat, wird seine Ehre verteidigen müssen, um nur ja nicht als Opfer zu gelten. Er wird zurückschlagen und damit die Spirale der Gewalt fortsetzen. Wer wirklich verinnerlicht hat, was es bedeutet: "Verlasst euch stets auf Gott, denn Gott ist ein ewiger Fels.", der wird entdecken, dass das eine große innere Freiheit schafft. Mit diesem Gott auf meiner Seite kann ich souverän sein, selbstbestimmt meinen Ort im Leben zu suchen und den Weg zu gehen, der nicht von Erwartungen anderer und Konventionen, sondern von mir selbst bestimmt ist. Amen.