Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Matthäus)
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23. Juni 2002 - Universitätsgottesdienst Frankfurt/Main
1. Allwissenheit, Allmacht
- Angesichts dieses Evangeliums bewegt uns natürlich nur eine Frage: Weiß Gott wer die Fußballweltmeisterschaft gewinnt? Wenn schon kein Spatz vom Himmel fällt ohne Gottes Willen und sogar alle Haare auf dem Kopf - selbst der Damen - gezählt sind, dann haben wir doch hier einen klaren Schriftbeweis für die Allwissenheit Gottes. Weiß Gott dann auch um den Ausgang der Weltmeisterschaft?
- Die Frage geht noch einen Schritt weiter. Wenn wir im Credo bekennen: "Wir glauben an Gott, den Vater den Allmächtigen", dann geht es nicht nur darum, dass oder ob Gott alles weiß, sondern darum, ob nicht ein allmächtiger Gott alles bewirkt. Der Heidelberger Katechismus der reformierten Kirche antwortet auf die 27. Frage, "Was verstehst du durch die Vorsehung Gottes?": "Die allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes, durch welche er (...) also regiert, dass Laub und Gras, Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahr, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut und alles nicht ungefähr, sondern von seiner väterlichen Hand uns zukomme."
- Früher oder später wird jeder Mensch der Moderne, der nachdenkt, auf diese Frage kommen. Am Grenzverlauf meiner eigenen Freiheit stoße ich auf die Frage, was von dem, was ich tue und lasse, von Gott schon längst gewusst ist. Manchem drängt sich der Eindruck auf, Gott sei ein Voyeur der Weltgeschichte: Aus der Ferne schaut er zu und weiß doch schon alles.
2. Vertraute Nähe
- Ist das aus dem Evangelium ableitbar?
Dort steht: "Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt." Dieses Evangelium klingt nicht nach einer dogmatischen Aussage über Gott und die Welt. Gerade dadurch aber ist sie es.
- Was dieses Evangelium über Gott und die Welt zu sagen hat, ist die Nähe Gottes, die Grundlage sein kann für unser Vertrauen. Es ist nicht das Vertrauen, dass alles gut wird, so wie am Ende immer ein Happy End winkt. Es ist nicht das Vertrauen, dass alles schon nicht so schlimm wird, so wie der Schmerz weniger wahrgenommen wird, wenn erst das Betäubungsmittel wirkt. Es ist das Vertrauen, dass nichts uns trennen kann von Gott. Der Spatz fällt, aber er fällt nicht ohne Gott. Um wie viel mehr dann du, Mensch, der du ein vielfaches dessen bist, was ein Spatz ist?
- Gott ist uns an der Seite. Aber Gott bedrängt uns nicht. Wir können uns gar nicht vorstellen, was es bedeutet, einem Menschen an der Seite zu stehen, ohne an uns selbst zu denken. Bestenfalls gibt es Augenblicke der Selbstvergessenheit, Momente, in denen wir fast schon instinktiv für andere eintreten. Sonst aber ist die Hingabe der Liebe für uns immer gebrochen an der Sorge um unser eigenes Leben. Das sei nicht als Vorwurf formuliert, sondern als Faktum. Auch in der vertrautesten Nähe zu einem anderen, sind wir in der eigenen Haut.
3. All-Ohnmacht Gottes
- Die Welt ist nicht das Fußballstadion Gottes, erbaut zu dessen Ergötzung. Die Welt ist auch nicht das große Marionettentheater Gottes, in dem dieser letztlich alle Fäden zieht. Und doch hält die Schrift fest an dem Glauben: Nichts geschieht ohne Gottes Gegenwart.
- Das für uns so Unbegreifliche dieser Gegenwart Gottes ist, dass Gott zulässt. Wo wir schon längst dem anderen einen Knüppel über den Kopf gezogen hätten, weil er unsere ach so guten Pläne durchkreuzt, dort lässt Gott zu, dass seine im Innersten gute Schöpfung durch Menschen so entstellt wird. Ist das verstehbar? Vor allem in einer Situation, in der alles in uns nach einem Eingreifen Gottes schreit? Eine dogmatische Theorie hilft hier nicht weiter, nur das Hören auf die Heilige Schrift, in der Jesus uns Gott offenbart, der die Liebe ist, die Hingabe der Liebe.
Wie Gott die Welt geschaffen hat, aus sich heraus, so schafft er auch uns Menschen, und gibt uns unser eigenes Leben. Er verzichtet auf die All-Kontrolle seines Werkes, liefert sich aus, gibt sich hin. Das ist der wahre Sinn der Allwissenheit Gottes: Kein Sperling dieser Welt, in dem nicht Gott, der Schöpfer sich hingibt. Um wie viel mehr dann für uns?
- Weiß also Gott, wer die Fußballweltmeisterschaft gewinnt? So ganz genau, habe ich die Frage nicht beantwortet. Eines aber weiß ich nun bestimmt: Im großen Stadion des Lebens sitzt Gott nicht auf der Zuschauertribüne, sondern spielt mitten im Feld: Auf der Seite des Menschen, welches Trikot auch immer er trägt. Amen.