Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr A 2014 (Römerbrief)
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22. Juni 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Weiter fragen
- Kinder fragen einem Löcher in der Bauch. Jede Antwort ist Anlass für eine neue Frage. Die Kette der "Warum ist das so?"-Fragen ist endlos; begrenzt sie wird nur durch die Geduld des Befragten oder die nächste Ablenkung für das Kind. Im Gegensatz dazu geben sich Erwachsene häufig sehr schnell mit Antworten zufrieden, wenn die gebotene Formel sich gut in das bisherige Denken und Weltbild einfügen lässt. Kinder jedoch können in ihrer Neugierde unersättlich sein.
- Die Bibel hat immer wieder diese Hartnäckigkeit, die sich nicht mit vorschnellen Antworten zufrieden gibt. Darin unterscheidet sie sich nicht nur von manchem modernen Weltbild, sondern auch vom Alltagsglauben, mit dem ich an normalen Tagen ganz gut zurecht komme. Aber von Zeit zu Zeit lohnt es sich, mal wieder wie ein Kind hartnäckig weiter zu fragen:
Warum handeln Menschen so, dass sie dabei sich und andere verletzen? Was für ein merkwürdiger Zwang liegt auf mir, dass ich es nicht schaffe, gemäß den Überzeugungen zu leben, die mir eigentlich zentral sind? Und: Gibt es eine Perspektive auf eine Alternative dazu? Wie kann ich in gelungenen, heilsamen Beziehungen leben? Welche Rolle spielt dabei Jesus, den wir den Christus nennen und auf dessen Namen wir getauft sind?
- Paulus führt seine Antwort auf diese Fragen weit zurück. Wir könnten ja mit psychologischem Tiefsinn nach den Motiven für bestimmte Handlungen suchen oder Zusammenhänge soziologisch analysieren. Das ist sicher wichtig und hilfreich. Aber es verbleibt letztlich beides in der begrenzten oder gar privaten Sphäre, jeder und jede für sich, jede Gruppe und Gesellschaft für sich. Diese Antworten sind zwar wichtig. Doch wir wissen, dass wir grundlegend von einem weiten Kontext bestimmt sind, in dem wir leben. Das bedeutet: Gerade auch die Antworten auf unsere tiefsten Fragen hängen ab von einer jede Privatheit und Partikularität übersteigenden, umfassenden und bestimmenden öffentlichen Sphäre. Jesus spricht sogar von der Öffentlichkeit "vor seinem Vater im Himmel".
2. Der alte Äon
- Die Bibel benutzt dafür das Wort Äon, was oft mit "Weltzeit" übersetzt wird. Raum in der Zeit, der bestimmt ist von der Beziehung, der sie prägt. In diesem grundlegenden Sinn hat der von Gott geschaffene und erlöste Kosmos zwei grundlegenden Äonen. Sie folgen zeitlich auf einander, sind aber auch gleichzeitig, wie ein Riss durch unser Herz. Der zweite Äon wird den ersten überwinden, aber im zeitlichen Sinn nicht einfach beenden.
- Vom ersten Äon, der ersten Weltzeit des Adam, sagt Paulus, dass der Tod in ihr das Beherrschende ist. Das bedeutet nicht, dass die Menschen dauernd an den Tod denken. Die moderne Kultur z.B. zeigt ihre Unfähigkeit, mit dem Tod umzugehen eher darin, dass sie ihn verdrängt. Zum Tod gehört auch schon vor dem biologischen Tod der 'Beziehungstod' durch Egoismus, Ungerechtigkeit und Gewalt.
Diesen Zusammenhang beschreibt Paulus so: "Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten".
- Paulus hat sich Adam sicher sich als einen konkreten Menschen vorgestellt, wie Christus ein konkreter Mensch war. Aber es geht nicht um den Privatmenschen Adam. Vielmehr steht Adam für den Menschen schlechthin, der die Beziehung zu Gott verloren hat. Das hat eine historische Dimension, insofern irgendwann in der Evolutionsgeschichte der werdende Mensch die Beziehung zu seinem Ursprung verloren hat. Wir nennen das die Erbsünde. Insofern wir Anteil haben an der Menschengeschichte und haben Anteil am Tod. Aber mit Adam ist insgesamt der gefallene Mensch vor Gott gemeint, die Geschichte übergreifend.
3. Der neue Äon
- An dieser Geschichte hat Gott selbst Anteil genommen, indem er Mensch geworden ist. Die Evangelien verkünden diese Geschichte ab dem Moment der Taufe Jesu im Jordan, denn hier ist öffentlich geworden, wie Gott in die Geschichte der Menschen eintritt und sich an die Seite der Sünder stellt. Die private Biographie Jesu davor interessiert die Bibel nicht (und auch die Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas interessieren sich nicht dafür).
Das Geschenk Gottes, seine Gnade, ist seine Anwesenheit in der Gestalt eines 'privaten' Menschen, der Gottes Barmherzigkeit öffentlich gemacht hat. Der Tod Jesu ist daher öffentlich vor aller Welt; die neue Welt des Christus hat Teil am Tod. Doch er überwindet ihn, stift neue Beziehung, nicht nur privat, sondern "offen, vor aller Welt" (Joh 18,20), über den Tod am Kreuz hinaus. Seine Auferstehung ist entsprechend 'öffentlich' und 'offenbar' für alle, die beginnen sich nach der Liebe auszustrecken, die in ihm offenbar wird.
- Ich erzähle Ihnen das, weil wir gerade das eben tun, wenn wir christlichen Gottesdienst, Liturgie feiern. Wir tun dies vor der Öffentlichkeit des Himmels und der Erde, vor Engel und Menschen. Wir taufen ein Kind und feiern im Auftrag Jesu die heilige Eucharistie, in der Christus mit seinem Leib - gegeben für Dich - greifbar wird. Hier berühren sich die private und die öffentliche Sphäre und wird der alte Äon Adams durch den neuen Äon des Lebens und der Liebe überwunden.
- Das alles ist nicht abstrakt. Jeder kann es an sich beobachten. Wir sind geprägt von der Luft, die wir atmen. Es reicht nicht, gute Luft zu atmen, um ein guter Mensch zu werden. Aber es ist die beste Voraussetzung dafür. Mit der Taufe und in jedem öffentlichen Gottesdienst macht Gott und das Geschenk, 'Christus-Luft' zu atmen. Das ist unser Gottesdienst: Teilhabe daran, dass der neue Äon uns den Himmel geöffnet hat - und wir beginnen dürfen, daraus unser ganz eigenes Leben zu gestalten. Amen.