Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt Schüler Stufe 10-12 zum Schuljahresbeginn

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2./9. August 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Prägung

  • Ich will ich ganz selbst sein. Aber kein Lebewesen wird so sehr durch Andere geformt und geprägt wie der Mensch. Tiere sind biologisch weit mehr vorgeprägt als der Mensch. Bei uns ist vieles möglich. Aber wir werden vielfach von anderen Menschen geformt und geprägt. Zumeist geschieht dies, ohne dass wir es wollen oder sogar merken.
  • Unsere Eltern prägen uns, ebenso die Schule und mindestens so sehr unsere Freunde. Vielleicht werden wir auch erheblich durch unsere Feinde geprägt. Auf jeden Fall wird jeder, der Gewalt von anderen erfahren hat, wissen, wie sehr das einen innerlich umtreibt, formt und prägt - auch wenn wir es gar nicht wollen.
  • Es gibt nur eine Beziehung, in der ich mich gerne von einem anderen formen lasse: Dort, wo ich einen Menschen liebe. Vielleicht könnte das sogar ein Kennzeichen echter Liebe sein, dass ich mich von einem anderen Menschen, der Freundin oder dem Freund, gerne formen lassen will, weil ich weiß, dass wir uns so näher kommen. Das gilt übrigens nicht nur für Verliebte, sondern sogar für die Nächstenliebe, wo ich mich von der Not eines anderen Menschen berühren lasse.

2. Schöpfer

  • Der Prophet Jeremia beschreibt seinen Gott, den Gott Israels, als einen Töpfer. Dieser nimmt den ungeformten Ton auf seine Drehscheibe und formt daraus ein Gefäß, "ganz wie es ihm gefällt", schön geformt und zu etwas nütze. Jeremia weiß: Gott ist der Schöpfer von allem, was es gibt. Er hat nicht einfach in grauer Vorzeit die Lunte an den Urknall gelegt und danach der Welt ihren Lauf gelassen. 'Gott ist Schöpfer' bedeutet: Ohne Gott würde alles ins Nichts zurückfallen.
  • Aber Gott ist nicht willkürlich. Wenn wir das Bild des Töpfers bei Jeremia genau anschauen, dann merken wir: Der Prophet sieht einen Zusammenhang zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf. Hier sprengt er das Bild vom Töpfer und Ton, denn es hängt wesentlich von uns selbst ab, ob das Werk des göttlichen Töpfers gelingt, ob das Gefäß schön ist und nützlich, oder verdorben und unbrauchbar. Vor allem aber macht Jeremia deutlich: Wie der Töpfer, wenn das Gefäß auf der Scheibe daneben zu gehen droht, nicht einfach den Ton wegwirft und anderen nimmt, sondern einen Neuanfang setzt, so verwirft auch Gott nicht die Menschen, sondern macht einen neuen, besseren, schöneren Anfang möglich.
  • Ob ich all das bedrohlich finde oder nicht, hängt ganz von der Liebe ab. Solange ich Gott mit irgendwelchen Autoritäten auf Erden verwechsle, mit Eltern, Lehrern, Pfarrern oder irgend jemand sonst, der mir seinen Willen aufdrücken wollte, solange werde ich versuchen, mich nicht von solchen Machthabern formen zu lassen.
    Je mehr ich aber selbst Gott erlebt und erfahren habe, je mehr meine Beziehung zu Gott von Vertrauen oder sogar echter Liebe geprägt ist, desto mehr bin ich bereit, mich von ihm prägen zu lassen. Ich weiß, dass Gott das Beste an mir zum Vorschein bringen will; er hat mich ja geschaffen und liebt mich.

3. Sehnsucht

  • Diese Erfahrung ist jedem möglich. Alles was Jeremia gemacht hat, war sich darauf einzulassen. Er hatte eine große Sehnsucht in seinem Herzen. Er hat, wie auch wir heute, in Gottesdiensten von Gott gehört, hat hier und aus eigener Erfahrung gelernt, mit Gott in Beziehung zu treten. Seine Sehnsucht hat ihn Gott erfahren lassen in einer Zeit, als der Mainstream unter den Reichen und Mächtigen egoistisch auf den eigenen Erfolg versessen war und deswegen die ganze Nation den Bach runterging. In dieser Zeit hat er an seiner eigenen Sehnsucht festgehalten und sich von Gott prägen und formen lassen. Das war manches Mal hart für ihn - aber Jeremia hat sich darauf eingelassen.
  • Die Sehnsucht nach der Liebe zu Gott und der Liebe zu Menschen ist nämlich nicht zweierlei. Beides Mal spüre ich, dass ich gewollt und angenommen bin; beides Mal kann ich lernen, mich darauf einzulassen. Das gilt selbst in Situationen, wie sie Jeremia in der heutigen Lesung schildert. Er spricht ja in aller Schärfe gegen die Ungerechtigkeit in seinem Volk. Aber auch das tut er, weil er seine Leute liebt und nicht stumm zusehen will, wie sein Volk vernichtet wird. Selbst dort also, wo mich meine Liebe zu Gott dazu bringt, der Ungerechtigkeit den Kampf anzusagen, geschieht das nicht aus Verachtung, sondern aus Liebe zu den Anderen. Selbst einen geliebten Menschen, eine Freundin oder einen Freund, kann ich kritisieren, wenn es mir dabei nicht um mich selbst, sondern um die oder den Anderen geht.
  • Die meisten sind heute hier, weil es auf dem Stundenplan steht. Aber so ein Gottesdienst ist auch die Chance, dass wir einander Mut machen zur Sehnsucht. Miteinander können wir hier Gott begegnen, der die Möglichkeiten sieht, die in jedem von uns stecken, und der zusammen mit uns daraus einen Lebensweg formen will, der zu leben lohnt. Gott hat dafür keinen fixen, festgesetzten Plan; er will sich mit uns auf den Weg machen. Und selbst, wenn es zwischendurch eine Sackgasse gibt, wird Gott mit uns neu anfangen. Denn Gott liebt sein Geschöpf. Amen.