Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 14. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Römerbrief)

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3. Juli 2011 (überarbeitet) - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Das Joch Jesu

  • Das Joch Jesu ist wirklich nicht drückend. Im Gegenteil: Es ist befreiend. Ein Joch ist es nur all den Kräften in und um uns, die sich dieser Befreiung widersetzen wollen, weil sie dann die Macht über uns verlieren. "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt." Dies gilt uns, die wir uns mit allerlei Jochen belasten und belasten lassen, die uns nicht fördern, sondern hindern.
  • Das Evangelium bringt bildlich zum Ausdruck, wovon Paulus an die Christen in Rom schreibt. Der Text ist zugegebenermaßen sperrig. Fleisch und Geist, sterben und leben. Paulus fasst in seinem Brief das zusammen, was grundlegend für alle gilt, die in der Taufe mit Christus verbunden sind.
  • Jede und jeder wird den Glauben für sich konkret machen. Dadurch wird es nicht beliebig. Paulus präsentiert nicht etwa eine Theorie über "Fleisch" und "Geist", sondern spricht von der Realität des Menschen und von der Realität dessen, was die Verbindung mit Christus in der Taufe bewirkt.

2. Fleisch und Geist

  • Versuchen wir dies besser zu verstehen. Wir könnten uns dazu klarmachen, was die Empfänger des Briefes damals unter Fleisch und Geist verstanden haben. Ich will statt dessen die beiden Begriffe durch andere ersetzen: Sucht und Freiheit.
  • Das erfasst zwar nicht die Fülle dessen, was Paulus aussagt. Ich denke aber, mit Sucht ist ein wichtiger Aspekt dessen beschrieben, was Paulus mit Fleisch meint, denn Sucht bindet uns an Ziele mit schnellem Verfallsdatum. Ob Alkohol, Konsum oder Drogen, ob Sexsucht oder das suchthafte Herreschenwollen über andere. Immer geht es um die schnelle Befriedigung, die doch nicht befriedigt. Es ist dies das Joch, das uns auferlegt wird; manchen in besonders belastender Weise, wenn schmerzhafte Erlebnisse, Missbrauch oder jahrelange psychische Misshandlung in die Sucht und zwanghaftes Verhalten führen. Dagegen meint Paulus mit Geist die Weise, in Freiheit von solcher Sucht zu leben. Dann klingt die Lesung so:
  • Schwestern und Brüder, aufgrund der Taufe "seid ihr nicht von der Sucht [welcher Art auch immer], sondern von der Freiheit bestimmt. Die Freiheit Gottes, [die Freiheit, die Gott euch schenkt als seine Erben] wohnt in euch. Wer die Freiheit Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm. [Niemand kann zwangsweise zu Christus gehören, niemand kann euch zum Glauben zwingen.] Wenn die Freiheit dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch seine Freiheit, die in euch wohnt. [Denn die Sucht bindet an das Sterbliche und Vergängliche; wir bleiben in ihr fremdbestimmt für Ziele, die nicht unsere sind.] Wir sind also nicht der Sucht verpflichtet, Schwestern und Brüder, so dass wir nach der Sucht leben müssten. Wenn ihr nach der Sucht lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch die Freiheit die Sucht besiegt, werdet ihr leben."

3. Zur Freiheit in Christus

  • Paulus sieht etwas Richtiges, wenn er für den Gegensatz, den er beschreibt, von Fleisch und Geist spricht. (In anderen Zusammenhängen gilt auch für ihn dieser Gegensatz nicht!) Denn Sucht ist immer auch "fleischlich". Wer gewohnheitsmäßig seine Überlegenheit über andere auslebt und andere niedermacht, hat nicht einfach nur einen miesen Charakter. Wir wissen, dass Gewaltverhalten verbunden ist mit der Produktion körpereigener Substanzen, die wie Drogen wirken und süchtig machen können. Für Alkoholismus gilt das ohnehin. "Vom Fleisch bestimmt" ist also durchaus eine zutreffende Beschreibung für jemanden, der sich ganz von den biochemischen Prozessen in seinem Gehirn steuern lässt.
  • Umgekehrt muss aber (hoffentlich) kein Mensch seiner Sucht ausgeliefert bleiben. Es gibt die Chance zur Heilung und Befreiung. Vieles in unserem Kopf läuft automatisch ab. Aber es gibt, bevor das Verhalten aus dem Hinterzimmer des Unbewussten nach außen tritt, immer noch die Schleuse der Entscheidung, wo ich mein Verhalten entweder durchwinke oder stoppe. Es gibt - prinzipiell - diese Möglichkeit. Es gibt Wege, auch wenn sie manchmal steil sind und die Hilfe anderer unerlässlich ist. Paulus verspricht den Christen also nicht etwas Unmögliches, sondern etwas, das uns Menschen möglich ist.
  • Dies beschreibt er als Wirkung des Geistes. Wir haben das vorhin probehalber mit Freiheit übersetzt. Geist aber ist schon der bessere Begriff. Denn gegen die Sucht hilft nur geistliches Leben. Geistig leben, im Sinne von "intellektuell" zumal, hilft gar nicht weiter; manchmal sogar im Gegenteil (weswegen Jesus sagen kann: "den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber geoffenbart"). Geistlich bedeutet dagegen: In Beziehung zu Gott zu sein. Wo ich meinen Geist immer wieder auf Gott ausrichte, wo ich meine ganze Person Gott anvertraue, wo ich erfahre, wie sehr Gott mir schon immer vertraut und sich auf mich ausgerichtet hat, da entsteht genau die Kraft, die ich brauche, um aus der Spirale der Sucht auszubrechen. Die Gemeinschaft mit Getauften, sollte und kann auf diesem Weg Hilfe sein, die nicht mit wohlfeilen moralischen Vorwürfen, sondern mit Vertrauen und Gebet hilft, die eigenen Kräfte und die eigene Freiheit zu mobilisieren. Das ist das leichte Joch, das Jesus denen verheißt, die zu ihm kommen. Amen.