Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 14. Sonntag im Lesejahr B 2000 (2. Korintherbrief)

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9. Juli 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Starkes Leben

  • Nehmen Sie die Bilder des Lebens, die Sie aus der Werbung, aus Filmen oder von Fotographien kennen. Schön. Elegant. Jung. Attraktiv. Sportlich. Lässig. Freundlich. Gesund. Nehmen Sie die Bilder, die Sie vor Augen haben, wenn Sie daran denken, wie Sie sein wollen und welche Leute Sie um sich haben wollen.
  • Schön. Elegant. Attraktiv. Sportlich. Lässig. Freundlich. Wenn das Ihre Bilder sind, haben Sie recht. Das ist erstrebenswert. Welchen Grund sollte es geben, das Hässliche dem Schönen vorzuziehen, die Armut dem Reichtum, der Gesundheit die Krankheit, dem Attraktiven das Abstoßende, dem Freundlichen das Unfreundliche? Es sollte keinen Grund dafür geben, das offensichtlich Schlechtere dem offensichtlich Besseren vorzuziehen. Wenn Leben der höchste Wert ist, dann ist höheres, schöneres, besseres, stärkeres Leben die Erfüllung.
  • Welchen Preis sind Sie bereit dafür zu zahlen?
    Vielleicht gibt es Menschen, die es schaffen, so sehr an der Oberfläche zu leben, dass sie diese Frage nicht an sich heranlassen. Ich weiß nicht ob es diese Menschen gibt und ich würde mich nicht erdreisten, es jemand zu unterstellen. Ich weiß aber, dass ich es nicht erstrebenswert finde, so oberflächlich zu sein, dass ich mich nicht mehr fragen könnte: Welchen Preis bin ich bereit dafür zu zahlen, dies Erstrebenswerte zu erreichen.
    Aber, wenn Leben für mich der höchste Wert ist, kann dann ein Preis zu hoch sein, um Leben für mich zu erwerben und zu steigern?

2. Schwaches Leben

  • "Viel lieber will ich mich meiner Schwachheit rühmen", schreibt Paulus an die Korinther. Dies klingt nicht nach Hochschätzung seiner Stärken.
    Ausgangspunkt seiner Argumentation ist für Paulus eine Schwäche, die er nicht näher charakterisiert. Er nennt es einen "Stachel im Fleisch" und einen "Boten Satans", der ihn bedrängt. Es ist viel darüber spekuliert worden, worum es sich handeln mag. Manche vermuten ein körperliches Gebrechen. Dass der Saulus nicht den Idealkörper griechischer Athleten hatte, könnte der Grund für sein für seinen Namen als Apostel, denn Paul(l)lus ist lateinisch der Kleine, Geringe. Es gab Vermutungen, Paulus könne von Zeit zu Zeit epileptische Anfälle gehabt haben, aber keiner kann das belegen. Ich halte es genauso für denkbar, dass hier ein Stoßseufzer vorliegt über einen Charaktermangel, mit dem er zu kämpfen hat, denn auch große Heilige können in der Situation sein, mit ihrem Charakter arg im Kampf zu liegen.
    Paulus ist deswegen nicht ausführlicher geworden, weil er die Aufmerksamkeit nicht auf sein persönliches Problem, sondern auf das viel Wichtigere lenken möchte, das dahinter steht. Er wird deshalb auch sofort allgemeiner.
    Paulus hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass Gott ihm umwerfende mystische Erfahrungen geschenkt hatte. Er berichtet nun, dass er Gott gebeten hat, ihm diesen "Stachel" zu ziehen und dass er im Gebet den Willen Gottes verstanden hat: "Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit." Daraus zieht Paulus, radikal wie er ist, den Schluss: "Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark." -
  • "Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark." Das klingt doch verdächtig nach recht durchsichtiger Legitimation. Sklavenmoral würde mancher das nennen. Wer keine Stärke hat, verklärt die Schwachheit. Wer nicht herrschen kann, singt den Lobgesang auf das Dienen. Wer auf Erden unten durchfällt, beruft sich auf den Himmel. Oder, schlimmer noch, es wird aus der eigenen Schwäche eine Ideologie, die besagt, dass der Mensch klein sein müsse, damit Gott groß sein kann. Menschliches Leben und Gott werden zum Gegensatz erklärt. Konsequent nur, wer daraufhin Gott für tot erklärt, um das Leben des Menschen als höchsten Wert verkünden zu können.
  • In der Tat, Paulus will verkündigen. Er macht deutlich, dass er nicht irgend etwas, dass er auf keinen Fall sich selbst, sondern dass er Christus verkündigen will, der gekreuzigt wurde, nun aber Teil hat an der Herrlichkeit des Vaters. Gegenüber dieser Botschaft - und weil andere Verkündiger sich selbst groß tun - weist Paulus auf seine Schwäche hin. Gerade weil er als Verkündiger des Evangeliums so machtvoll auftritt, ist ihm dieser Hinweis auf seine eigene Schwäche unverzichtbar.
    [Diese Spannung zwischen der machtvollen Rede von Gott und der menschlichen Schwäche liegt auch dem Evangelium zu Grunde, das von der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt Nazaret berichtet. Will Paulus die Größe Gottes aufscheinen lassen, indem er auf seine Schwachheit verweist, so wird Jesus seine Schwachheit, seine "Normalität" zum Vorwurf. Sie ist der eigentliche Grund, warum er in seiner Heimat abgelehnt wird. In seiner Heimatstadt kennt man ihn als normalen Menschen, den Zimmermanns Sohn. Wie sollte, wie kann aus solcher normalen Menschlichkeit Gottes Stärke sprechen?]

3. Erfülltes Leben

  • Gott, Christus, die ganze christliche Moral steht der Fülle des starken Lebens entgegen, so lautet der Vorwurf. Der Mensch muss selbst stark sein, sich über sich selbst erheben, ist das Rezept. Beides ist falsch.
    Denn der Preis, den man für das oberflächlich schöne und starke Leben bezahlt, ist hoch. Es ist der Verlust des höchsten Lebens.
    Es geht dabei nicht um den Tausch von irdischer und himmlischer Freude. Wer einfach nur den "Höchstwert irdisches Leben" mit dem "Höchstwert himmlisches Leben" vertauscht, ist einer frommen Täuschung aufgesessen. Wer meint, sich das schöne und starke Leben im Himmel erkauft, indem der auf Erden die Raten einzahlt in der Währung der Selbsterniedrigung wird sich um diesen Himmel betrogen finden.
    Tatsächlich geht es nicht um ein Weniger an irdischem Leben, sondern um ein Mehr. Es geht um ein Leben aus der Fülle des Urgrundes, hier wie dort, in Zeit wie in Ewigkeit. Dieser Wert ist nicht mehr zu bemessen und zu erkaufen. Nur wer sich vorbehaltlos, ohne den Nutzen zu berechnen, diesem Höchsten öffnet, wird es erreichen.
    Wie könnte, bitte schön, die Erniedrigung des Geschöpfes, das doch Gottes ureignes Werk ist, den Schöpfer erhöhen. Keiner würde auf die Idee kommen, die Größe des VW-Werkes zu preisen, wenn die produzierten Karossen nur recht bald kaputt gehen. Da soll es Zeichen der Größe Gottes sein, wenn der Mensch nur recht schwach und niedrig ist? Unmöglich.
  • Nur oberflächlich handelt es sich um den Gegensatz zwischen menschlicher Niedrigkeit und göttlicher Größe. Nur oberflächlich. An der Oberfläche sieht manches glänzend aus, was so glänzend nicht ist. Was sich da stark und schön und mächtig gibt, ist innerlich unter Umständen Leichtbaukonstruktion und wenig belastbar. Wie Münchhausen am eigenen Schopf ist da ein Haus auf sich selbst als eigenem Fundament gebaut. Widersinnig.
    Was Paulus verkündigt ist nicht der Über- und nicht der Untermensch. Es ist der Mensch, der seine eigene Größe entdeckt an der Stelle seiner tiefsten Wurzel: seiner Herkunft aus Gott. Der Gekreuzigte ist nicht Verherrlichung des Scheiterns, sondern Triumph einer Liebe, die in ihrer äußerlichen Ohnmacht ihre wahre Größe hat. Nicht, wer zurückschlägt ist groß, sondern wer die andere Wange hinhalten kann, nicht hündisch, sondern souverän!
    Wenn auch nicht ganz so radikal wie in der Weimarer Republik hört man auch heute immer wieder von der Schwäche der Demokratie und des Parlamentarismus. Ein Rechtsstaat, schwach und in seinen eigenen Regularien gefangen. Ein Staat, unfähig den Willen des Volkes durchzusetzen, weil die staatlichen Gewalten geteilt und im Spiel der Kräfte gehemmt seien.
    Nur: kann irgend jemand, der diese "Schwäche" am Stammtisch analysiert, irgend eine Diktatur benennen, von der er sagen wollte, diese sei stark, schön, gut und erstrebenswert? Ist nicht gerade der Nationalsozialismus in Deutschland Ausdruck der Schwäche unseres Volkes gewesen, sind nicht die großprotzigen Aufmärsche und gestenreichen Reden im Rückblick deswegen lächerlich, weil sich dahinter kleinbürgerliche Schwäche angestrengt und notdürftig versteckt?
  • "Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark" sagt Paulus. Es geht nicht um das Erniedrigen des Menschen, damit Gott sich wie ein Weltendiktator fühlen kann. Paulus, der Verkündiger, weiß vielmehr, das die eigentliche Größe und Souveränität des Menschen dann erst unverkennbar wird, wenn sie sich nicht hinter Glanz und Glimmer versteckt. Man ist ja fast versucht, es dem Heiligen Paulus als Eitelkeit anzukreiden, dass er - sich seiner Schwachheit rühmend - so sehr sich seiner Stärke in Gott rühmt. Aber aus eigener Erfahrung dürften wir wissen, dass es ein weiter Weg ist, um diese Stärke und diese wahre Größe zu finden. Amen.