Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 14. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Ezechiel)

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8. Juli 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Stell dich auf deine Füße

  • Es macht nicht Spaß Prophet zu sein. Weder sucht man sich aus, Gott so intensiv zu erleben, noch wird man die Situation mögen, wegen derer Gott zum Propheten beruft. Keiner sucht sich aus, ob er zum Propheten berufen wird.
    Auch kenne ich keinen Hinweis, dass Gott ohne Anlass jemanden zum Propheten beruft, auf Vorrat sozusagen, einen Schläfer, den er dann bei Gelegenheit aktiviert. Wohl aber stellt sich im Augenblick der Berufung heraus, dass anscheinend belang- oder sinnlose Teile der bisherigen Biographie auf einmal einen Sinn ergeben. Eigene Erfahrungen, gerade auch Misserfolge und negative Erlebnisse, können sich dann als Vorbereitung auf die Aufgabe herausstellen, in die Gott seinen Propheten beruft. Dann ahnt der Mensch, in welcher Weise sich Gott als Herr der Geschichte erweist: indem er Propheten beruft.
  • "Stell dich auf deine Füße, Menschensohn", fühlt Ezechiel sich gerufen. Zusammen mit anderen aus der Oberschicht Israels war er nach der Eroberung Jerusalems von König Nebukadnezzar nach Babylon verschleppt worden. Das war die humane Variante, die Oberschicht in einem Land unschädlich zu machen. (Man vergleiche das nur mit der Ermordung der intellektuellen und militärischen Oberschicht Polens durch das deutsche Besatzungsregime im Zweiten Weltkrieg!).
  • Wir können uns die Situation dieser nach Babylon Verschleppten leicht vorstellen. Einerseits haben sie allen Besitz und Einfluss verloren, mit dem sie zuvor in Israel geherrscht hatten. Die Schuld daran wurde den babylonischen Eroberern zugeschoben oder den Ägyptern, die nicht rechtzeitig zu Hilfe kamen. Andererseits ging es den Verschleppten leidlich gut, und war die Versuchung groß, sich vom Volk Gottes zum Volk des babylonischen Großkönigs zu assimilieren. Auf jeden Fall hat man die Schuld an der Misere anderen zugeschoben, liebäugelte schon wieder mit der Macht und hatte keinen Blick darauf, ob Gott dem Volk Israel eine neue Zukunft schenken könnte.
  • In allen drei Punkten war Ezechiel von Gott zum Widerspruch aufgerufen.
    • Erstens musste er verkünden, dass nichts anderes als der Abfall von Gott und seiner Gerechtigkeit zum Untergang geführt hatte.
    • Zweitens musste er als Prophet auch gegen Babylon auftreten.
    • Und drittens hat er eine Zukunft anzukündigen, die alle "Realisten" für völlig irrsinnig halten: Dass Gott selbst die Verbannten läutert, sie heimführt und einen neuen Anfang setzt.

2. Fürchte dich nicht vor ihnen

  • Es macht nicht Spaß Prophet zu sein. Vielmehr braucht es viel innere Kraft, um gegen den Trend aufzustehen, um beim Namen zu nennen, was alle anderen totschweigen wollen, und um in der konkreten Situation daran festzuhalten, dass Gott mehr zählt als all das, was von Menschen als unabwendbar, alternativlos und systemnotwendig hingestellt wird. Wenn alle sagen, dass es besser sei die Vergangenheit ruhen zu lassen, deckt Gott durch seinen Propheten Wunden auf, weil sie nur so heilen können. Wenn alle sagen, dass man Ungerechtigkeit hinnehmen müsse, spricht Gott durch seinen Propheten dagegen. All das kostet innere Kraft.
  • Ezechiel bringt seine Erfahrung in die Worte: Als Gott zu mir sagte "Stell dich auf deine Füße!", da "kam der Geist in mich und stellte mich auf die Füße." Vermutlich hätte sich Ezechiel seine Rolle nie zugetraut. Keiner von uns weiß, ob er die Kraft zum Widerspruch hat, wenn es darauf ankommt. Wir können nur Tag für Tag dafür beten. Ezechiel - und mit ihm viele andere - haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass Gott im entscheidenden Augenblick die Kraft gibt, die es braucht. Der entscheidende Augenblick ist dabei immer eine fest im Leben verwurzelte Situation:
    • So wie damals in Babylon, als eine ganze Volksgruppe nicht sehen wollte, welches Unheil sie verschuldet hatte.
    • So wie im Dritten Reich, als es lebensgefährlich war offen zu benennen, was jeder sehen konnte.
    • So wie in einer Familie, einer Schule oder einer Kirche, wenn sich der Angesehenste aus der Gruppe mit Gewalt an Kindern vergreift.
    • So wie in einem Unternehmen, in dem es selbstverständlich geworden ist, Kunden über's Ohr zu hauen, und Arbeitsplätze gefährdet sind, wenn einer aus der Belegschaft die Betrügereinen öffentlich macht.
  • Gott sagt dem Ezechiel: "Fürchte dich nicht vor ihnen, hab keine Angst vor ihren Worten!" - Es besteht Anlass zu einer solchen Furcht. Denn wer ist schon Ezechiel. Ähnlich wie Jesus beim Besuch in seiner Heimatstadt Nazareth, wird man auch Ezechiel versuchen zum Schweigen zu bringen, indem man ihn auf 'Normalmaß' zurecht stutzen will: "Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon?". Dies geht nicht nur dem Messias und Gottesohn so. Jeder, der prophetisch redet, wird diesen Zweifel kennen: Wer er schon sei, dass er sich herausnehmen könne so zu reden. Das aber genau ist die Situation, in der Ezechiel Gottes Wort hört: "Fürchte dich nicht" vor der Einsamkeit, wenn du aus der Reihe tanzt und als Spinner giltst. Du warst einer von ihnen, jetzt bist du einer von mir, spricht Gott.

3. Iss, was ich dir gebe

  • Ezechiel schildert in seinem Bericht, dass die Berufung, gegen die " Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen" zu sprechen, schlagartig über ihn gekommen sei. Ich bin mir aber aus eigener Erfahrung sicher, dass das doch ein weniger komplizierter ist. Zwar überkommt einen die Erkenntnis der Art, 'Der Kaiser ist nackt!', 'Das stimmt doch alles hinten und vorne nicht' schlagartig. Aber zuvor braucht es viel Zeit des Nachdenkens, des Innerlich-Frei-Werdens, des Gebetes und nicht zuletzt des Gespräches mit anderen Menschen, die durch ihren Glauben an Gottes Macht die innere Freiheit haben, aus den Nebelgespinsten der allgemeinen Meinung herauszufinden.
  • Auch deswegen ist für mich die Gemeinschaft im Glauben unverzichtbar. Dabei ist diese Gemeinschaft nicht einfachhin die Kirche, auch nicht die römisch-katholische. Ich finde in ihr auch die Menschen, die klar und angstfrei glauben und denken und sprechen. Vor allem finde ich in meiner Kirche die Heilige Schrift, die verkündet wird, und die Sakramente, in denen Gott uns zu seinem Volk macht.
    Aber in unserer Kirche gibt es gerade in letzter Zeit wieder viele bis hinauf zu manchen Bischöfen und Vielen in den vatikanischen Behörden, die von Ängstlichkeit und Enge getrieben werden. Man erkennt das - sei es im direkten Lebensumfeld oder in der Kirche - immer an den Denk- und Sprechverboten, die durchgesetzt werden sollen. Man erkennt das an den Berührungsängsten gegenüber Menschen, die eine andere Meinung haben. Man erkennt das oft auch einfach an der Behauptung, es sei doch alles klar, obwohl es genau das nicht ist. All das gibt es leider auch in unserer Kirche.
  • Klarheit ist ein Merkmal des Prophetischen. Aber es ist nicht die Klarheit der Macht und nicht die Klarheit des Verschweigens, sondern die Klarheit, die aus Gott kommt. "Öffne deinen Mund und iss, was ich dir gebe", so hat Ezechiel Gott erfahren. Ganz plastisch bringt er es zum Ausdruck, dass Gott ihm sein Wort in den Mund legt. Es kostet Kraft und Mut, das auszusprechen. Aber das genau bedeutet Glauben: Darauf zu vertrauen, dass Gott mir diese Kraft und diesen Mut gibt, wenn es darauf ankommt. Amen.