Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel 2010 (Lukas)

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15. August 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg,

1. Leibfeindlichkeit

  • Leibfeindlichkeit ist eine Häresie. Aus Sicht des christlichen Glaubens und der katholischen Kirche ist Leibfeindlichkeit nicht nur ein Irrtum, sondern vor allem auch schädlich, wie es bei jeder wirklichen Häresie nicht um theoretische Haarspaltereien geht, sondern um "Seelenheil", also das was dem Menschen fördert oder schadet. Auch wenn Leibfeindlichkeit in der Geschichte des Christentums immer wieder vorkam und vorkommt, bleibt es eine Häresie. Auch wenn manche meinen, besonders fromm zu sein, wenn sie leibfeindlich sind, so ändert das nicht an dem Schaden.
  • Für Christen gibt es keine Trennung von Leib und Seele. In der Bibel wird der Mensch immer als Einheit und Ganzheit gesehen. Die Vorstellung, dass eine Seele in einem Körper wohnt, ja, in ihm gefangen ist, war in der Antike verbreitete Philosophie. Für Christen gehören Seele und Leib zusammen; sie sind keine verschiedenen Substanzen. Die moderne Naturwissenschaft bestätigt das, dass alle seelischen Vorgänge auch eine leibliche Seite haben. Was daher gut für den Leib ist, ist auch gut für die Seele und umgekehrt.
  • Die Häresie der Leibfeindlichkeit ist keine Spezialität der Antike. Sie gibt es heute genau so. Man spricht dann nicht mehr von Leib und Seele. Aber in der Sache geht es um dasselbe: Das Ich fühlt sich gefangen in einem Körper, der das Ich einschränkt. Manche nehmen Leiden und Kosten auf sich, um den Körper den Vorstellungen des Ichs gemäß durch Operationen oder endloses Training zu verändern. Andere lassen es dabei zu klagen, dass sie sich nicht selbst verwirklichen können, und meinen dabei ein abstraktes, weltfernes "selbst". Manche suchen das Heil in der Loslösung vom Leib durch Trance und Meditation. Und dann gibt es natürlich auch die, die meinen Sex sei vom Bösen, wobei nicht ganz klar ist, welche Erfahrungen dahinter stehen.

2. Beziehung

  • Gegen all die Unter- und Überbewertungen des Leibes steht die Bibel. Für uns ist der Leib ganz einfach die Weise, wie wir in der Welt sind. Denn dieser Leib ist es, durch den wir mit anderen leben. Essen, Trinken, Sprechen, Schauen, Berühren, Verletzen und Heilen - all das sind Vorgänge, durch die unser von Gott beseelter Leib Beziehung zu anderen hat. Vor allem aber: Gott selbst hat, so glauben wir, diesen Leib angenommen, um uns zu begegnen.
  • So ist die Szene des heutigen Evangeliums vom Leib geprägt: Zwei schwangere Frauen begegnen sich; das Kind der einen hüpft bei der Begegnung "vor Freude in ihrem Leib", denn Elisabeth kann zu Maria sagen: "gesegnet ist die Frucht deines Leibes." Und daraus wird das Lied des Jubels, in dem Maria sich freut über ihren Gott: Sie singt davon, dass Gott, der zu ihr in Beziehung steht, großes an ihr getan hat inmitten ihres Volkes. Der Gott der Mächtige vom Thron stößt und sich den Hungernden zuwendet, ist ihr Gott, der Großes an ihr getan hat, denn aus ihrem Leib sollte das Heil der Welt geboren werden. Das ist Maria, wie sie das Lukasevangelium uns leibhaftig vorstellt.
  • Der Schmerz sei nicht verschwiegen. Zum Glück haben wir heute in der Medizin Möglichkeiten, Schmerz zu lindern. Aber dennoch wird immer der Schmerz ein körperliches Erlebnis sein, gerade auch der seelische Schmerz. Es bleibt für immer ein zentrales Bekenntnis des Glaubens, dass Christus an seinem Leib den Schmerz des Unrechts und der Gewalt erlitten hat. Bis heute werden antike gnostische Versuche kolportiert, das zu leugnen: Die Häresie, Gott könne keinen Schmerz empfinden und sei nicht am Kreuz gestorben. Diese Irrlehre aus der frühen Kirche hat selbst im Koran noch Widerhall gefunden. Aber gerade der Schmerz des Kreuzes macht uns deutlich: Gott will uns Menschen in unserem Leib begegnen, weil der Leib es ist, in dem wir einander begegnen, im Guten wie im Schlechten.

3. Aufnahme

  • Das Ziel unseres Lebens beschreibt die Bibel als Begegnung mit Gott in unserem Leib. Wenn wir bekennen, dass Christus, auferstanden von den Toten zum Himmel aufgefahren ist und zur Rechten des Vaters sitzt, dann hat damit das Ziel des Lebens bereits begonnen: Unser menschlicher Leib ist von nun an untrennbar mit Gottes Wirklichkeit verbunden. Und Leib meint hier: Das, was wir als Menschen sind, mit unseren Freuden und Schmerzen, unseren Erfahrungen und Narben. Gott hat es in seine Gegenwart hinein verwandelt, als er Christus von den Toten auferweckt und ihn zu seiner Rechten erhoben hat.
  • Auch wenn sich immer wieder kluge Menschen daran gestoßen haben, so hat die Heilige Schrift und hat die Kirche immer daran festgehalten: Nicht eine im Leib wohnende Seele, nein der ganze Mensch kann und wird bei Gott sein, wenn wir uns von ihm verwandeln lassen. Genau das feiert die Kirche sogar als eigenes Hochfest im Kirchejahr: Das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. In diesem Glaubensbekenntnis drückt sich aus, was keineswegs nebensächlich ist. In Maria "voll der Gnade" erfüllt sich die Verheißung, zu der wir alle gerufen sind; sie ist "gesegnet mehr als alle anderen Frauen", und alle Generationen werden sie preisen. Denn an ihr will Gott zeigen und vollziehen, was die Auferweckung seines Sohnes für uns alle bedeutet.
  • Dieses Fest könnte unseren Glauben sinnlicher werden lassen. Es kann uns daran erinnern, das unser Beten und Singen nicht abgehoben sein muss von dem, was unser Leben ausmacht. Es kann in uns die Erinnerung wachrufen, dass der Glaube zuerst und zuinnerst Begegnung ist: Begegnung mit einander, wie Elisabeth Maria begegnet, bis hin zur Begegnung mit Gott, in unserem Leibe. Amen.