Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 16. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Weisheit)

Zurück zur Übersicht von: 16. Sonntag Lesejahr A

23. Juli 2023 - St. Sebastianus, Sinzig - Bad Bodendorf

1. Stärke

  • Echte Stärke ist das Gegenteil dessen, was es zu sein scheint. Oftmals ist es auch nur das Gegenteil dessen, was es mit aller Kraft vorgibt zu sein, aber dann doch daran scheitert.
  • Eindrucksvoll kann man das anhand einer Tonaufnahme von Januar 1945 erleben, die erhalten geblieben ist. Damals konnte man Aufnahmen auf einer Schellackplatte machen. Aus welchem Grund die Verhandlung des Nazi-Richters Roland Freisler vor dem sogenannten Volksgerichtshof gegen den Jesuiten Alfred Delp mitgeschnitten wurde, weiß ich nicht.  Pater Delp war nach dem Scheitern des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 verhaftet worden, obwohl er zwar nicht an den Vorbereitungen des Attentats beteiligt war, wohl aber an den Beratungen, wie ein freiheitlichen und demokratisches Deutschland nach Hitler möglich wäre.
  • In der Tonaufnahme hören wir einen brüllenden Freisler, der den Angeklagten mit Beschimpfungen überschüttet, und einen ruhig und gefasst antwortenden Delp. Freisler hatte alle Macht. Er war eindeutig in der Position der Stärke und konnte Delp in den Tod schicken. Dennoch ist der Mann in Sträflingskleidung vor ihm der Stärkere. Ein Mensch, der sich sicher ist, das Richtige getan zu haben. Ein Christ, der durch seinen Glauben eine Stärke gewonnen hat, die der Nazi Freisler spürt und gegen die er auch mit Brüllen nicht ankommt.

2. Allmacht

  • Dieses Brüllen im Ohr, lese ich noch einmal aus dem Buch der Weisheit im Alten Testament. Da ist der ganze Unterschied zwischen vorgeblicher Stärke und der Stärke des Allmächtigen: "Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Schonung; denn die Macht steht dir zur Verfügung, wann immer du willst."
  •  Das ist die Gotteserfahrung und das Gottesbild, wie es ich in der Geschichte Israels immer klarer entwickelt hat. Daher ist es ganz verfehlt, Jesus einen Bruch mit seiner religiösen Heimat im biblischen Israel zu unterstellen. Im Gegenteil wird auch hier deutlich, dass die Predigt Jesu von der Barmherzigkeit Gottes und dass seine Allmacht in seiner Liebe besteht wesentlich grundgelegt.
  • Es ist Zeichen der Allmacht Gottes, dass Gott nicht straft.

3. Geduld

  • Es folgt daraus erstens, dass wir Christen durchschauen und benennen können müssen, welches Unrecht Gewalt gegenüber Schwachen und insbesondere Kindern ist. Es ist Schwäche und nicht Stärke.
  • Zweitens wird deutlich, dass kirchliche Haltungen, die sich in den Dienst menschlicher Machtausübung stellen, im Widerspruch zum Evangelium stellen. Das gilt für kirchliche Landesherrschaft in unseren Breiten (historisch – und in ihren Nachwirkungen bis heute!), aber auch für Kirche im Dienst des Staates, wie es in der Orthodoxie in Russland derzeit so offensichtlich ist.
  • Drittens definiert sich für Christen wie Juden aus auch aus diesem Abschnitt der Bibel Gerechtigkeit. Wir sollen Gottes Gerechtigkeit zum Maß nehmen – und die besteht nicht im Verurteilen und Strafen, sondern darin, in Liebe auf den Menschen zu schauen, wachsen zu lassen und zu schonen. Wir sind nicht allmächtig. Das letzte Gericht hat Gott seinem Christus und seinen Engeln anvertraut; wir müssen es nicht vorwegnehmen.