Predigt zum 18. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Römerbrief)
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31. Juli 2011, Fest des Hl. Ignatius von Loyola - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Ein kluges Muli
- Sogar ein Maultier war klüger als Ignatius von Loyola. Im Jahr 1521 hatte er, der später zusammen
mit Freunden den Jesuitenorden gründen sollte, eine grundlegende Bekehrung erlebt. In dem von
ihm diktierten "Pilgerbericht" schildert Ignatius, wie Gott ihn dabei geführt hat. Es war keineswegs
so, dass er von jetzt auf gleich vom Ritter und draufgängerischen Edelmann zum Heiligen wurde.
Vielmehr war es für ihn ein weiter Weg, innerlich und äußerlich. Daher konnte am Anfang sogar
ein Maultier klüger sein als Ignatius.
- Der Pilgerbericht (1) schildert das Ereignis mit Ironie:
- Nicht ohne Stolz über seine frische Bekehrung ritt Ignatius seiner neuen Zukunft auf einem
Maultier entgegen; nicht mehr das stolze Pferd des Ritters, aber auch noch nicht der demütige
Esel Jesu.
- Da holte ihn ein muslimischer Maure ein. Man kam ins Gespräch. Ignatius, der sich bislang für
fesche Hofdamen interessiert hatte, bringt das Gespräch auf die Gottesmutter Maria. Der Maure
findet das mit der Jungfrauengeburt zweifelhaft und reitet weiter. Ignatius bleibt grübelnd
zurück. Früher hätte er jedem, der Despektierliches über seine Herzensdame sagt, einen Dolch
zwischen die Rippen gestoßen. Jetzt überlegt er, ob er auf diese Weise die Ehre Mariens
wiederherstellen müsse.
- Die erste Bekehrung hatte zumindest so viel bewirkt, dass
Ignatius nicht seinen erlernten
Reflexen folgend zusticht. Er hatte ansatzweise gelernt, auf seine
inneren Regungen aufmerksam zu sein. Aber er hat im Glauben noch nicht
genug gelernt, um zu wissen, was er tun soll.
Er befand sich in einem inneren Widerstreit.
- Die Lösung, auf die er zurückgreift ist typisch. Er hat die
Entscheidung dem Maultier überlassen. An der nächsten Kreuzung gibt er
die Zügel frei und wartet ab, ob dieses dem Mauren folgt
oder einen anderen Weg nimmt. Das Maultier entscheidet. Der Maurer kommt
ohne Dolchstöße
davon und Ignatius reitet in Richtung Manresa. Dort erst wird er
wirklich beginnen zu
verstehen, wie Gott ihn führt.
- Die Maultierlösung ist bleibend typisch. Auch wenn das Problem, ob zur Ehrenrettung einer Dame mit
Dolchstößen zu reagieren sei, wohl eher heute nicht mehr unser Thema ist. Typisch ist an der Lösung, dass
Ignatius einerseits genug Freiheit hat, die Entscheidung offen zu lassen, andererseits sich an
Zufälligkeiten bindet.
2. Auf halbem Weg
- Die Maultiergeschichte hat Ignatius berichtet, weil er bei sich selbst daran etwas Wichtiges
beobachtet hat. Auch und gerade in der Nachfolge Jesu braucht es unsere eigene Entscheidung. Wir
müssen in konkreten Situation wissen, was wir wollen. Gleichzeitig aber führt uns der Glaube in
die Offenheit und Freiheit gegenüber dem Willen Gottes.
- Ignatius hatte seine alten Wertvorstellungen schon in Frage gestellt. Es ging ihm schon nicht mehr
um eine Karriere am königlichen Hof und um Abenteuer. Es waren jedoch noch alte Muster da. Da
ist noch der Gedanke, Gottes Ehre - und die der Jungfrau Maria - könnten davon abhängen, dass er
mit Waffengewalt für sie eintritt. - Wenig später wird Ignatius auf dem Monserrat diese Waffen vor
einem Bild der Gottesmutter ablegen.
- Ignatius war zudem schon bereit zu vertrauen. Wahrscheinlich hatte er es damals sogar als
Gottvertrauen aufgefasst, dem Maultier die Zügel zu lassen. Das entsprach durchaus einer alten
Vorstellung von Gottesurteil. Dabei bleibt aber alles äußerlich. - Später erst wird Ignatius in den
Exerzitien einen Weg finden, nach dem Willen Gottes zu fragen, in dem er innerlich sich für den
Weg Jesu öffnet.
3. Getragen von der Liebe Gottes
- Die heutige Lesung aus dem Römerbrief fasst wie kaum ein Text in der Bibel zusammen, was die
Bedingung dafür ist, Gottes Willen zu suchen und danach zu handeln: "Weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder
Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes." Umfassender
kann man es kaum sagen. Gottes Liebe allein zählt und ist stärker als alles, was uns sonst wichtig
vorkommen mag.
- Dies ist die Grundlage größtmöglicher Freiheit. Was kann uns zwingen und bestimmen, wenn Gott
uns trägt? Es gibt nichts, dem gegenüber wir ängstlich und furchtsam Rücksicht nehmen müssten.
Ignatius wird das sogar umdrehen und sagen: Wenn nichts von all dem, was geschaffen ist, uns von
der Liebe Gottes trennen kann, dann kann uns umgekehrt auch alles Mittel sein, um zu dieser Liebe
zu finden. Die Liebe Gottes allein bleibt der Maßstab. Sie macht uns frei, ist gleichsam ein
Freischein für das Leben. Allerdings "funktioniert" dieser Freischein nur, wenn es wirklich die
Liebe Gottes ist und nicht Vertrauen auf irgendwelche Götter.
- Diese Erfahrung hat Ignatius verändert. Aus dem Ritter Ignatius konnte der Heilige Ignatius
werden. Dem Muli die Zügel zu überlassen war für ihn eine erste Vertrauensübung. Später wird er
sich immer wieder darin üben, Gott zu vertrauen.
Zugleich aber wird Ignatius ein Mensch werden, der viel und gerne organisierte, machte und plante.
Er versuchte dabei, sich die Liebe Gottes, "die in Christus Jesus ist, unserem Herrn",
zum Maßstab
zu nehmen und nicht mehr fragwürdige Ritterideale. Was am späteren
Ignatius aber so bemerkenswert ist, dass er mit großer innerer Freiheit
seine Pläne auch über den Haufen werfen lassen konnte,
wenn es denn anders kam, als von ihm geplant und organisiert. 'Nimm
meine Freiheit, mein Wollen
und Denken', hat er dann gebetet (2). 'Es kommt von dir, es soll in allem dir dienen'. Amen.
Anmerkungen
1. "Wie er also seines Weges zog, holte ihn ein Maure ein, ein Reiter auf einem Maultier. Und wie die beiden miteinander
sprachen, kamen sie darauf, über unsere Herrin zu sprechen. Und der Maure sagte, es schiene ihm wohl, dass die Jungfrau
[Maria] ohne einen Mann empfangen habe; aber das Gebären und dabei Jungfrau bleiben, das könne er nicht glauben. Und er
gab dafür die natürlichen Gründe, die sich ihm anboten. Der Pilger konnte ihm diese Auffassung, so viele Gründe er ihm gab,
nicht auflösen. Und so ritt der Maure mit soviel Eile voran, dass er ihn aus der Sicht verlor. Er blieb im Nachdenken darüber,
was er mit dem Mauren erlebt hatte. Und dabei kamen ihm einige Regungen, die in seiner Seele Unzufriedenheit bewirkten.
Ihm schien, dass er seine Pflicht nicht getan habe; und auch verursachten sie ihm Unwillen gegen den Mauren. Es schien ihm, er
habe schlecht getan, zuzulassen, dass ein Maure solche Dinge über unsere Herrin sage, und dass er verpflichtet sei, ihre Ehre
wiederherzustellen. Und so kam ihm das Verlangen, den Mauren suchen zu gehen und ihm Dolchstöße für das zu geben, was
er gesagt hatte. Und indem er lange im Kampf dieser Wünsche verharrte, blieb er zum Schluss im Zweifel, ohne zu wissen, was
zu tun er verpflichtet sei. Der Maure, der vorangeritten war, hatte ihm gesagt, dass er an einen Ort reiste, der ein wenig weiter
voran auf seinem selben Weg lag, ganz nahe bei dem Königsweg, aber nicht, dass der Königsweg durch den Ort ging.
Und indem er es so müde geworden war, zu erforschen, was gut zu tun wäre, und er nichts Gewisses fand, wozu er sich
entschließen sollte, entschloss er sich zu diesem: nämlich, das Maultier mit verhängtem Zügel zu dem Ort gehen zu lassen,
wo die Wege sich teilten. Und wenn das Maultier auf dem Weg in das Städtchen ginge, würde er den Mauren suchen und ihm
Dolchstöße geben. Wenn es nicht in Richtung des Städtchens ginge, sondern auf dem Königsweg, würde er es bleibenlassen.
Und indem er es so tat, wie er gedacht hatte, wollte unser Herr, dass das Maultier den Königsweg nahm und den Weg zum
Städtchen ließ, obwohl das Städtchen wenig weiter als dreißig oder vierzig Schritte weit lag und der Weg, der dorthin ging, sehr
breit und sehr gut war."
In: Ignatius von Loyola,: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Deutscher Werkausgabe Band I. Übersetzt von Peter Knauer.
Würzburg (Echter) 1998, Pilgerbericht Nr. 15f.
2. Vergleiche dazu die Exerzitien des Ignatius in der "Vierten Woche": "Die empfangenen Wohltaten von Schöpfung, Erlösung
und besonderen Gaben ins Gedächtnis bringen, indem ich mit vielem Verlangen wäge, wieviel Gott unser Herr für mich getan
hat und wieviel er mir von dem gegeben hat, was er hat, und wie weiterhin derselbe Herr sich mir nach seiner göttlichen
Anordnung zu geben wünscht, sosehr er kann.
Und hierauf mich auf mich selbst zurückbesinnen, indem ich mit viel Recht und Gerechtigkeit erwäge, was ich von meiner Seite
seiner göttlichen Majestät anbieten und geben muss, nämlich alle meine Dinge und mich selbst mit ihnen, wie einer, der mit
vielem Verlangen anbietet: "Nehmt, Herr, und empfangt meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen
ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Ihr habt es mir gegeben; Euch, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist Euer,
verfügt nach Eurem ganzen Willen. Gebt mir Eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir."
In: Ignatius von Loyola,: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Deutscher Werkausgabe Band I. Übersetzt von Peter Knauer.
Würzburg (Echter) 1998, Geistliche Übungen Nr. 234.