Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2011 (zur Seligsprechung von Johannes Paul)

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1. Mai 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

"Thomas, streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!"

  • Das heutige Evangelium lässt sich gegensätzlich interpretieren. Die eine Lesart sieht nur eine Zurechtweisung. Thomas soll sich nicht so anstellen und keine Beweise verlangen, sondern auf die Autorität der Apostel hin einfach nur glauben. Kritik würde damit abgekanzelt. Hier sei das eigene Denken und Fragen abzustellen und zu glauben.
  • Die andere Lesart ist nicht so einfach. "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben." Hier wird Glauben nicht als einfaches Für-wahr-halten verstanden. Vielmehr lädt Jesus Thomas ein, einen eigenen Weg des Vertrauens zu gehen.
  • Bloße Fakten sind banal. Über sie lässt sich nicht diskutieren. Sie sind nicht auf eine vertrauensvolle Beziehung angewiesen und auf nüchterne Weise 'objektiv'. Aber gerade deswegen brauche ich mich in keiner Weise zu verändern; ich kann sie ungerührt zur Kenntnis nehmen. Nicht zufällig spricht man von 'erschlagenden Fakten'; sie erschlagen einen selbst und den anderen. Jesus aber lädt Thomas auf den Weg des Glaubens ein: Wie verändern sich deine eigenen Vorstellungen von gelungenen Leben und dem, was im Letzten wichtig ist, wenn der mit den Wundmalen der Kreuzigung nicht tot und erledigt ist, sondern von Gott als sein geliebter Sohn bestätigt und auferweckt wird? Erst wenn ich meine eigene Weltsicht in Frage stellen lasse, bin ich fähig, diesen Auferstandenen gläubig zu erkennen, statt einfach nur stramm zu stehen und unabweisbare Fakten zu akzeptieren.
  • Hinter den beiden Lesarten stehen zwei grundverschiedene Weisen Kirche zu sein. In der einen wird von Christen gefordert, das eigene Denken und Fragen einzustellen. Der Zweifler Thomas würde gebrandmarkt als derjenige, der die geschlossene Formation der Apostel störe; den Kritikern dürfe kein Fingerbreit nachgegeben werden, weil an der Autorität alles hänge. In der anderen Lesart sind die Zweifler wichtig, weil erst sie uns auf den Weg echten, persönlichen Glaubens führen, der die Begegnung mit dem Auferstandenen sucht.

2. Seligsprechung Johannes Pauls II

  • An diesem Wochenende dürfen wir die Seligsprechung von Karol Wojty?a, Papst Johannes Pauls II., feiern. Die offizielle Kirche spricht damit aus, dass sie die Verehrung vieler Katholiken anerkennt, die in seinem Leben Gottes Gnade wirksam sehen und auf seine Fürsprache bei Gott vertrauen. Eine kirchliche Selig- oder Heiligsprechung 'macht' nach katholischem Verständnis keine Heiligen, sondern bestätigt nur die beim Volk bestehende Verehrung. Diese Verehrung teile ich uneingeschränkt: In Johannes Paul ist Gottes Gnade für unsere Kirche und viele Menschen sichtbar geworden; ihn dürfen wir uns als Vorbild im Glauben nehmen und Gott für seine Gnade danken. Wir dürfen ihn als Heiligen anrufen und so mit ihm im Gebet verbunden bleiben.
  • Ich sage das uneingeschränkt, obwohl ich auch zu sehen meine, dass gleichsam beide Lesarten des heutigen Evangeliums bei ihm eine Rolle spielen. Er hat durch die verschiedenen Phasen seines Lebens hindurch gezeigt, was dem möglich ist, der sich auf ein sehr persönliches, den Zweifel aushaltendes Vertrauensverhältnis zu Gott einlässt.
  • Es gab bei ihn aber auch immer wieder die andere Seite, was sich vielleicht durch seine Erfahrung einer durch die nationalsozialistische und durch die kommunistische Diktatur verfolgten Kirche erklären lässt: Immer wieder hat er eingefordert, gegenüber der Kirche Kritik zurückzustellen und Zweifeln keinen Raum zu gegeben. Zumindest hat er deutlich Bewegungen und Gruppen in der Kirche gefördert, denen ein solches Kirchenverständnis näher zu liegen scheint.

3. Der Heilige Thomas

    • Heilige sind nicht makellos und ohne Verstrickung in Sünde, der Wirklichkeit entrückt. Heilige können geirrt und sogar schwer gefehlt haben. Wir verehren sie nicht, weil sie ohne Sünde gewesen wären. Vielmehr ist uns wichtig, dass sie mit ihren Fehlern und Einseitigkeiten und durch sie hindurch zum erkennbaren Ort des Wirkens der göttlichen Gnade werden.
    • Gerade bei Johannes Paul ist für mich sichtbar, wie es ihm durch seine tiefe Verwurzelung im katholischen Glauben möglich geworden war, offen zu sein: in der Beziehung zu den Juden, unseren "älteren Geschwistern im Glauben" und im Beten zusammen mit Vertretern aller großen Religionsgemeinschaften. Durch seine unerschütterliche Verwurzelung im Glauben an die größere Macht des Kreuzes konnte er entscheidend beitragen zum Sturz der Diktaturen in Mitteleuropa, aber zum Beispiel auch auf den Philippinen und in Haiti. Unzähligen, gerade jungen, Menschen hat er weltweit den Glauben an Jesus Christus neu erschlossen.
      Ich sehe aber auch seine Schattenseiten, dass er anfällig war gegenüber dem Schmeicheln jener innerkirchlichen Gruppen, die meinen Kritiklosigkeit gegenüber dem Papst sei ein Zeichen von Loyalität. Ich weiß auch, dass er sich im Unterschied zum jetzigen Papst oft schwer tat zu sehen, welchen Schaden von Vertretern der Kirche anderen Menschen, insbesondere auch Kindern zugefügt wurde. (1) Vielleicht hat Johannes Paul das sogar selbst gespürt, als er mit bewundernswerter Beharrlichkeit das große Schuldbekenntnis der Kirche zu Beginn des Heiligen Jahres 2000 in Rom abgelegt hat. Auch das macht ihn mir als Vorbild wertvoll.
    • So passt es zu dem Ereignis der Seligsprechung Johannes Pauls, dass wir das Evangelium gehört haben, in dem der Heilige Apostel Thomas die zentrale Rolle spielt. Sein Zweifeln gehört zu diesem Heiligen dazu. Für ihn war nicht einfach alles klar. Deswegen hat Jesus Thomas angesprochen und ihn eingeladen, aufzubrechen auf den Weg des persönlichen Glaubens: "Sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott!" Jesus hat ihn damit auf den Weg der Heiligkeit geführt: Er solle nicht einfach nur 'Fakten' anerkennen, sondern einen persönlichen, von Glauben und Vertrauen getragenen Weg gehen, der sein Herz verwandelt und ihn öffnet für die allein seligmachende Gnade Gottes. Amen.


      Anmerkung

1. Ich denke dabei daran, dass das Verfahren gegen einen prominenten Vertreter einer neueren Gemeinschaft erst vom neuen Papst energisch geführt werden konnte und dessen Absetzung zur Folge hatte.