Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2003

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27. April 2003 - Semestereröffnungsgottesdienst der Kath. Studentenverbindungen, Deutschordenskirche

1. Wir haben den Herrn gesehen. Trügerische Bilder

  • "Wir haben den Herrn gesehen", berichten strahlend die Jünger. "Was habt ihr gesehen?", fragt skeptisch Thomas, genannt der Zwilling. Er misstraut den Bildern. Bilder können vieles sagen. Bilder sind manipulierbar. Selbst in einer Zeit, als es noch nicht für jedermann am PC möglich war, die Abbilder der Realität zu retuschieren, galt das Prinzip: Das Bild ist nicht die Wirklichkeit. Bilder können vieles sagen. Und vieles verschweigen.
  • Wer die Macht hat über die Bilder, hat die Macht über die Köpfe. Jahrtausendelang haben daher die Herrscher ihre Bilder öffentlich ausgestellt und die Verehrung gefordert. Diktaturen erkennt man auch heute noch unweigerlich an den allgegenwärtigen Herrscherbildern. Vielleicht ist das aber auch nur Ausdruck der Rückständigkeit der letzten Diktaturen im Irak, Kuba oder Nord-Korea. Denn längst sind es andere Bilder, über die Macht ausgeübt wird. Im ersten Golfkrieg 1991 war es noch die Alleinherrschaft von CNN, die die Wahrnehmung diktierte. Heute findet der Krieg selbst am Bildschirm statt. Selbst in unserer Wohnstubendemokratie Deutschland entscheiden Bilder und Einschaltquoten darüber, wer die Macht hat. Bilder, die danzu nicht passen, werden nicht gezeigt.
  • Denn der hat die Macht, der die Macht hat über die Herzen. Nicht zufällig drücken viele Sprachen das Einprägen in das Gedächtnis als Lernen des Herzens (learning by heart!) aus. Bilder schaffen Erinnerung, Erinnerung prägt das Herz - und wer die Macht über die Herzen hat, hat die Macht im Staate. Dies gilt ganz gleich für die Regierenden wie für die Wirtschaft, die Absatz für ihre Markenwaren sucht.

2. Streck deinen Finger aus. Erfahrung der Wunde

  • Die anderen Jünger setzen ganz auf die Bilder; das "Gesehen-Haben" scheint ihnen das einzige und zentrale. Zumindest berichten sie dem Thomas weder etwas von den verschlossenen Türen, noch von der Sendung, die Jesus ihnen gibt. Hätten die Jünger heute gelebt, dann hätten sie vielleicht ein Digitalphoto des Auferstanden gemacht oder ein Video gedreht. Vielleicht hätte dieses Bild des Auferstandenen dann eine Chance gehabt sich durchzusetzen, wenn es wieder und wieder angeschaut und gezeigt wird. Aber das dekorativ aufgehängte Kruzifix allein wird keine Chance haben gegen die Flut der Bilder, denen wir sonst ausgeliefert sind.
  • Das Johannesevangelium erwähnt den Apostel Thomas außer an der heutigen Stelle nur zwei Mal. In Joh 11,16 ist er es, der im Namen der Jünger bereit ist, mit Jesus zu gehen, auch wenn dies bedeuten sollte, mit ihm zu sterben. In Joh 14,5 ist es wieder Thomas, der nach dem Weg Jesu fragt, um mit ihm zu gehen. Thomas ist kein Mann der Bilderbetrachtung. Er fragt nach den Konsequenzen für das eigene Leben und Handeln.
  • Dazu passt es, dass er sich mit dem "Bild" des Auferstandenen, von dem die anderen Jünger berichten, nicht zufrieden geben will. Dazu passt auch, dass er nach den Wunden des Gekreuzigten fragt. Nur, wenn er diese berühren kann, scheint es ihm möglich zu glauben.

3. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

  • Thomas kann sich durch Jesus bestätigt fühlen. Es wird gar nicht einmal berichtet, dass Thomas, als er acht Tage später (heute!) dabei ist, als Jesus wiederum durch die verschlossenen Türen dringt, tatsächlich die Wunden Jesu berührt habe. Thomas wird verstanden haben, was Jesus ihm sagte: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben."
  • Es sind nicht die Bilder allein. Es ist zu aller erst die Frage: Wie antwortest Du mit Deinem Leben! Wenn die Bilder dabei helfen, sind sie gut. Das Evangelium aber macht unzweifelhaft deutlich, dass "sehen" nicht oder nicht allein selig macht. Jesus steht ganz in der Tradition des Ersten Bundes, der es verbietet, ein Abbild Gottes anzufertigen. Wir heutigen sollten wissen und verstehen, dass die Gefahr, sich durch Bilder manipulieren zu lassen, heute so groß ist wie damals. Bilder sind immer Instrumente, um die Herrschaft über unsere Herzen zu gewinnen.
  • Jesus aber lädt uns ein, ihm zu vertrauen, indem wir mit ihm gehen. Die Einladung, die Wunden Jesu zu berühren, ist dabei ganz wörtlich gemeint. Wir sollen die Wunden der leidenden Welt und die Schmerzen derer, die uns vielleicht gar nicht mal so fern sind, an uns heranlassen, gar berühren. Mag sein, dass dies uns selbst Schmerz bereitet. Ganz sicher aber öffnet es uns den Weg zur Erfahrung der Auferstehung, wenn wir wie Thomas bereit sind, den Weg mit Jesus zu gehen. Amen.