Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag im Lesejahr A 2014 (Johannes)

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19. Januar 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Sünde der Welt

  • "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt." So vertraut den Kirchgängern der Satz ist, so fremd ist er uns vielleicht auch. Was soll das bedeuten, "... das die Sünde der Welt hinwegnimmt." Ist damit alle Sünde in der Welt weg, wie man eine hässliche Warze weg operiert und dann ist alles gut?
  • Wir müssten erst einmal zwei Wörter neu lernen, die hier verwendet werden.
  • Sünde meint nicht irgendetwas, das ich falsch gemacht habe. Vielmehr ist Sünde, viel grundlegender, ein Zustand. Wenn einem Menschen der Sinn Lebens verloren geht, wenn ein Mensch hineingezogen wird in einen Kreislauf aus Egoismus und Gier, wenn in der Seele eines Kindes das Vertrauen zerstört und ihm Gewalt angetan wird, wenn ich nicht mehr atmen kann und die Quellen meiner Lebensfreude und Zuversicht wie verstopft sind - das ist Sünde. Sünde ist, von Gott, der Quelle, getrennt zu sein, durch fremde und durch eigene Schuld und Verstrickung.
  • Und Welt meint hier im Evangelium nicht einfach die 'Erde' oder 'die ganze Welt'. Das griechische Wort, das wir mit Welt übersetzen, heißt kosmos. Es ist eine bestimmte Ordnung der Welt, eine bestimmte Weise, in der Dinge zusammen hängen, in der Menschen denken, in der Abhängigkeiten geschaffen werden und Menschen zu Objekten erniedrigt werden. Deswegen geht die Grenze zwischen Welt und Gott mitten durch das Herz des Menschen. Denn dieses selbe Herz kann sich dem anderen öffnen und kann sich ihm verschließen, es kann im Blick auf den kosmos dieses Zeitalters den Strömungen nachlaufen oder im Blick auf Gott den Schritt wagen, über sich hinaus zu gehen.
  • "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt", bedeutet also: Seht den, der sich hingib wie ein Lamm, um das, was von Gottes Liebe trennt, auf zu nehmen, auf sich zu nehmen, hinweg zu nehmen.

2. Emporheben, tragen und hinwegnehmen

  • Wie soll Jesus das machen, über den der Täufer Johannes diesen Satz sagt? Johannes sprach zu Menschen, die zu ihm gekommen waren, um ihr Leben zu erneuern, neu anzufangen. Den großen Neujahrsanfang wollen sie machen und sind deswegen an der Jordan gekommen. Johannes aber zeigt nun auf einen Anderen und sagt: Der da, er nimmt das hinweg, was zwischen Euch und einem Neuanfang steht.
  • Auch hier steht im griechischen Original des Evangeliums ein Wort, das nicht so einfach zu übersetzen ist, zumal es auf ein Wort aus dem hebräischen Alten Testament verweist. Es ist tatsächlich nicht uninteressant, die dreifache Bedeutung dieses Wortes zu kennen, weil man dadurch Zusammenhänge des Lebens besser versteht. Das Wort airo kann heißen: Erheben, tragen oder wegtragen. Alles drei steckt da drinnen:
  • Erheben ist das Gegenteil von verstecken. Was ich vor mir, vor Gott und vor den Menschen leugne und verstecke, das kann nicht heilen und gut werden. Die moderne Psychoanalyse hat das in Bezug auf verdrängte Bewusstseinsinhalte erkannt. Aber die Bibel meint viel mehr mit erheben, denn ich erhebe die Dinge meines Lebens ja nicht unter die Nase meines Analytikers, sondern vor Gottes Angesicht, von dem alles Leben kommt.
  • Tragen bedeutet, dass einer sich für zuständig erklärt. Wie ist es beim Abwasch? Die einen waschen streng nur das Geschirr ab, das sie selbst schmutzig gemacht haben - bestenfalls. Nie würden sie für andere eine solche Last tragen.
    Wenn es aber nicht um schmutziges Geschirr geht, sondern um Unrecht, Armut und Gewalt, dann will es auch niemand gewesen sein. Keiner will dem Opfer des Unrechts zuhören, noch viel weniger wird jemand die Verantwortung auf sich nehmen. Was passiert, wenn dann doch einer aufsteht und für das geradesteht, was andere getan haben? Wenn einer die Sünde trägt, mit der er eigentlich so gar nichts zu schaffen hätte?
  • Dann ahnen wir, was mit hinwegnehmen gemeint ist. Denn ein solcher, der die Schuld zu Gott erhebt und sie selbst trägt, statt nur wegzusehen, der allein setzt einen Prozess in Gang, in dem die Strukturen aufgebrochen werden, durch die Menschen immer neue Last auferlegt wird.
  • "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt"

3. Seht, das Lamm Gottes

  • Damals hat Johannes auf Jesus gezeigt. In ihm hat er Gottes Geist erkannt. Er hat Menschen zu Jesus geführt, die durch ihn gemerkt haben, wie Jesus ihren Kleinglauben, ihre Ängstlichkeit und auch ihre Schuld nicht nimmt, um sie von Gott fern zu halten, sondern vielmehr genau diese Menschen zu Gott führt.
    Heute zeigt der Priester in der Heiligen Messe das gebrochene Brot. Es ist das Brot, von dem Jesus Christus für alle Zeiten sagt: Das ist mein Leib. Wo ihr dieses Geheimnis feiert, werde ich unter euch gegenwärtig.
  • Der Priester zeigt das Brot und spricht: "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt" Seht auf Gott, der in seinem Sohn die Brüchigkeit und Gebrochenheit unserer Welt, die Unordnung dieses Kosmos und in unserem Herzen, nicht ignoriert und doch sich nicht abwendet. Vielmehr ist er in dieser Heiligen Feier und in unserem Leben unter uns, um das zu tragen, zu ertragen, es empor zu heben und dadurch den Weg zu gehen, die Last hinwegzutragen.
  • Das Lamm Gottes, dieses geduldig tragende Lamm, wird uns gezeigt, damit wir uns aufrichten und auf einander zugehen. Der Blick darauf, dass Gott uns trägt, soll Mut machen, es zu versuchen: der Logik dieser Welt und dieses Zeitalters die Stirn zu bieten und die Liebe zu leben, die möglich ist, weil Gott das leben mit uns lebt. Amen.