Predigt zum 2. Sonntag nach Weihnachten 2005 (Johannes)
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02.01.2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
Am Morgen des 26. Dezember
2004 hat ein Erdbeben im Indischen Ozean eine Flutwelle erzeugt, die in
Sri Lanka, Indien und mehreren Ländern Südostasiens die Küsten
überschwemmte, vermutlich weit über hundert Tausend Menschen das
Leben kostete und Millionen Menschen obdachlos gemacht hat. Die Predigt
versucht darauf Bezug zu nehmen.
1. Leid
- Am vergangenen Sonntag gab es nach der Messe Kritik. Am Morgen hatte es die ersten Meldungen über die
Flutkatastrophe in Südostasien gegeben. Die ersten Schätzungen der Opfer lagen bei drei bis vier Tausend. Nach der
Messe am Abend sagte eine Frau, man hätte doch angesichts dieser Katastrophe nicht Messe feiern können wie
gewöhnlich - nur in den Fürbitten und im Hochgebet die Opfer erwähnend. Ich glaube zu verstehen, was diese Frau
bewegt. Es ist jedoch nicht ganz leicht, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
- Was ist in diesen Tagen zu sagen? Jedem Satz, den man spricht, steht schreckliche Realität gegenüber. Wie sollte ein
Satz lauten, der dem Stand hält? Welche Theorie kann hier erklären? Welche Theologie soll hier trösten? Es wird immer
ein unüberbrückbarer Graben zwischen Theorie und Leben bleiben. Ich misstraue zutiefst jedem, der meint, er hätte das
rechte Wort zu sagen. Seit letztem Sonntag hat sich die Zahl der geschätzten Opfer vervielfacht. Die Natur hat blutig
Ernte gehalten.
- Leichter, so scheint es, kann man verstehen, warum zahllose Menschen in einem Krieg sterben müssen. Da kann man
auf die Täter mit dem Finger zeigen und Schuld zuweisen. Nur, wie ist es bei den rund 800.000 Menschen, die vor zehn
Jahren binnen weniger Wochen den Massakern in Ruanda zum Opfer gefallen sind? (vgl. Zahlen der GTZ) Spätestens
da versagt die Erklärung. Es ist wie bei dem Erdbeben weit unter dem Ozean, dessen Flutwelle zahllose Menschen das
Leben kostet, um ihr Obdach und um Hab und Gut bringt. Es bleibt angesichts dessen nur der stumme Schrei zum
Himmel, zu Gott.
2. Das Licht und die Welt
- "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist
durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben
war das Licht der Menschen." In diesen knappen Sätzen fasst der Evangelist Johannes zusammen, was christlicher
Glaube über den Ursprung der Welt ist. Auch das Evangelium liefert uns nicht "die Antwort" auf die Frage nach dem
Leid in der Welt. Auf diesen Glauben sind wir aber zurückgeworfen, wenn jeder von uns mit der Erfahrung fertig
werden muss.
Der christliche Glaube gibt keine Erklärung für das Leid der Welt. Ich denke, kein Glaube kann das, es sei denn, er
verschließt sich der Erfahrung. Die Vorstellung, Gott wolle mit Unglücken strafen oder erziehen ist für mich keine
"Erklärung" - und mit dem Evangelium nicht zu vereinbaren (vgl. Lk,13,1-9).
Noch viel weniger kann der Zynismus einen blanken Materialismus helfen. Wir sind
zurück geworfen auf das, was uns der Glaube darüber sagt, was die Welt
ist und wer wir sind.
- Das Johannesevangelium beginnt mit dem Ursprung. Ja, es beginnt sogar "davor", obwohl man in der Kategorie der Zeit
gar nicht von einem "davor" sprechen kann. Vor aller Zeit, Ursprung aller Zeit, im Anfang ist Gott. Wir neuzeitlichen
Menschen stellen uns die Schöpfung gerne als ein "Herstellen aus dem Nichts" vor. Der Bibel aber ist eine solche
philosophische Fragestellung fremd. Gottes Schöpfung begreift die Bibel als Ordnen und Bilden. Ohne Gott ist das
Chaos. Deswegen beginnt Gottes Schöpfung mit der Weisheit. Das Buch Jesus Sirach, aus dem wir die erste Lesung
gehört haben, formuliert das so: Das erste, was Gott geschaffen hat, ist die Weisheit. Gott setzt dem Chaos die Weisheit
entgegen. Johannes blickt in seinem Evangelium tiefer und sagt: Diese erste Schöpfung vollbringt Gott durch sein
ungeschaffenes Wort.
- Für die Bibel beginnt die Welt nicht mit einem Urknall. Der erste Schöpfungsbericht im Buch Genesis lässt Gott die
Welt entfalten. Gott fügt sein Schöpfungswerk ein in den Rhythmus des Wechsels von sechs Tagen des Tuns und dem
Sabbat der Ruhe. Nicht dass Gott aus dem Nichts heraus geschaffen habe, ist entscheidend, sondern dass Gott Leben
einhaucht, fortwährend. Im Wort Gottes ist "das Leben" und das Leben ist das "Licht der Menschen". Gottes Schöpfung
ist nicht ein Moment "am Anfang", sondern liegt "im Anfang" der Welt und findet fortwährend statt. Deswegen auch ist
die Schöpfung nicht am Ende. Ob Gott die Welt auch anders hätte schaffen können - ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass
Gottes Werk nicht vollendet ist, da das Leid noch in ihm Platz hat. Die Finsternis hat das Licht nicht ergreifen und
überwältigen können. Aber die Finsternis ist auch noch nicht besiegt. Die Vollendung steht aus und angesichts der
Katastrophen, die über uns kommen, schreien wir zu Gott.
3. Die Signatur des Kreuzes
- Die Katastrophe ist nicht die Ausnahme. Sie ist die Regel. Nur dass das regelmäßige Sterben in Hunger und Krieg es
schon lange nicht mehr in die Schlagzeilen schafft. Es ist die Gesetzmäßigkeit, nach der nur der Reisebus mit zehn
Unfallopfern eine Nachricht Wert scheint, zehn Autos mit je einem nicht. So schrecklich die Meldungen aus den
Ländern rings um den Indischen Ozean in diesen Tagen auch sein mögen: Jeder von uns muss sich vor diesen Bildern
exakt die selbe Frage beantworten, die der Tod eines einzelnen Menschen uns stellt, der einer Krankheit zum Opfer fällt,
bei einem Autounfall ums Leben kommt oder in irgend einem Winkel dieser Welt verhungert.
- Bereits "im Anfang war das Wort". Das "Wort", von dem das Evangelium spricht, ist nicht abstrakte Theorie und ein
flüchtiger Hauch, sondern ist Mensch geworden in Jesus Christus. Vor aller Zeit ist Christus, den wir erkennen als den,
der unter uns gewohnt und das Kreuz getragen hat. Seine Signatur ist der ganzen Schöpfung eingetragen. Sein Kreuz
erkennen wir in jedem Kreuz, das Menschen auferlegt ist.
- Die Messe ist keine Theorie, die uns erklären könnte, warum Menschen
leiden. Das Unbehagen der Frau vom letzten Sonntag, man könne nicht Messe
feiern wie gewöhnlich, stammt sicher aus der Suche nach einer Antwort
auf die Katastrophe. Keine Messe gibt aber "an sich" eine Antwort, weil die
Hl. Messe keine Theorie ist. Was wir feiern ist nur ein Geschehen: In unserer
Mitte schenkt sich Christus den Menschen. Wir werden hinein genommen in das
Geheimnis seines Kreuzes. Angesichts des Leids vertrauen wir uns diesem Herrn
an, der uns "Macht gab, Kinder Gottes zu werden". Beten wir in ihm
zu Gott als unserem Vater, dass er sich nicht abwendet, sondern sein Schöpfungswerk
vollendet. Amen.