Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 22. Sonntag im Lesejahr A 1999 (Matthäus)

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28. August 1999 - St. Barbara, Krakau,

1. Vor die Wahl gestellt

  • "Wer sein Leben retten will, wird es verlieren" . Wieder eine Evangelium, das uns vor die Wahl stellt: Entweder wir verstehen es ganz allgemein und spirituell - dann kann es jeder auf sich beziehen, bleibt aber nur Unverbindliches übrig. Oder "sein Leben verlieren" wird so verstanden, wie man es unmittelbar versteht, dann ist das Evangelium wieder mal nur für ein paar Märtyrer gemeint, für uns Durchschnittschristen aber letztlich fremd.
    Eigentlich stellt sich dieses Problem dauernd. Denn wem gelingt es schon, sich dem Anspruch des Evangeliums zu stellen, und wie soll es möglich sein, so zu leben, wie Jesus es von uns fordert. Es gibt Menschen, die sich von Gottes Wort überwältigen und fesseln lassen wie der Prophet Jeremias (aus der ersten Lesung). Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass das immer die Ausnahme ist und bleibt.

2. Ankündigung

  • Bestätigt sich eigentlich dieses Problem wirklich, wenn wir das Evangelium von vorne nach hinten lesen?
    Jesus kündigt an, was ihm in Jerusalem bevorsteht. Er wird dies drei mal tun und drei mal werden ihn die Jünger nicht verstehen und lieber ihren eigenen Sorgen nachhängen. Aber nur dieses eine mal versucht Petrus den Herrn von seinem Vorhaben abzubringen. Die Antwort Jesu auf diesen Überredungsversuch hätte nicht schärfer ausfallen können: "Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen".
  • Warum aber widerspricht Petrus überhaupt seinem Meister. Genau besehen sagt nämlich Jesus keineswegs voraus, dass alle Jünger viel leiden oder dass Petrus sterben müsse. Jesus spricht ganz ausdrücklich nur von sich selbst, dem Menschensohn. Petrus muss also gar nicht um sich selbst fürchten, er fürchtet nur um Jesus. Als Antwort darauf aber spricht Jesus dieses harte Wort vom Leben, das man um seinetwillen verlieren muss, um es zu gewinnen.
    Konfusion! Wer verliert sein Leben? Um wen fürchtet Petrus? Was ist daran so satanisch-verwirrend, dass Jesus den Petrus in aller Schärfe zurückweist?
  • Erstaunlicherweise ist es offensichtlich genau dieses Faktum, dass Petrus nicht seine eigene Haut retten will, sondern Jesus daran hindern will, den Weg zum Kreuz zu gehen. Natürlich ist es auch für Petrus nicht ohne Gefahr: mitgehangen, mitgefangen. Aber davon, dass Petrus selbst gekreuzigt werden soll, ist nirgendwo die Rede. Es gibt nur eine Stelle, an der zwei Apostel, die Zebedäussöhne, sich bereiterklären mit Jesus nach Jerusalem hinaufzuziehen, um mit ihm dort zu sterben. Aber im Kern geht es doch immer nur um das Schicksal Jesu.

3. Mein Schicksal Jesu

  • Den Zusammenhang erfassen wir erst, wenn wir sehen, dass in einer Welt, in der Gott gegenwärtig wird, das Schicksal einzelner Menschen nicht mehr fein säuberlich voneinander zu trennen ist. Das Schicksal Jesu betrifft mich nicht erst dann, wenn ich es selbst erleide. Mein Leben ist nicht erst dann vom Kreuzestod Jesu betroffen, wenn ich in seiner Nähe gesehen mit ihm haftbar gemacht und mit dem Tode bedroht werde.
    Das Schicksal des Menschensohnes betrifft mich schon früher - und mindestens ebenso den Petrus - ganz persönlich. Es geht sogar so weit, dass durch den Zusammenhang, den Gott in diese Welt bringt, generell das Schicksal all der Menschen verbunden ist, die durch die Taufe in den Leib Christi eingefügt werden. Keiner kann sich vom anderen lossagen, sowenig sich ein Teil des Körpers vom anderen lossagen kann.
    Das Schicksal Jesu betrifft daher den Petrus ganz persönlich, auch wenn er nicht persönlich gekreuzigt wird. Das aber ist dem Petrus ganz unerträglich: Dieser Hitzkopf kann es nicht ertragen, dass Jesus gekreuzigt wird und er einfach nur daneben steht. Wer weiß schon, wie Petrus selbst noch die Verleugnung des Herrn vor sich selbst gerechtfertigt hat? Immer suchte er einen Weg, das Schicksal Jesu zu verhindern. Petrus fühlt sich in seinem Selbstverständnis betroffen, wenn Jesus leidet und er nicht daran teilhaben soll. Darum versucht er es von vorne herein zu verhindern.
  • Das aber ist das satanisch-verwirrende an der Intervention Petri. Es ist präzis dasselbe, wenn jemand das radikalere Christentum in der Kirche verbieten will, nur weil das doch kein Modell abgeben kann für die ganze Kirche. Das Gegenteil aber ist richtig: seit der Menschensohn stellvertretend am Kreuz gestorben ist, gibt es diese Schicksalsgemeinschaft von Menschen - durch die Taufe eingepflanzt in den Leib Christi! - in der das Schicksal des einen den anderen ganz ergreift - auch und gerade wenn er es nicht selbst am eigenen Leibe teilt. Gerade deswegen kann es aber auch in der Kirche ganz verschiedene Berufungen geben, Märtyrer und Alltagsmenschen gleichermaßen.
    "Weg mit dir, Satan!" richtet sich also gegen jeden, der das Radikale verbieten will, weil es nicht zur allgemeinen Norm werden kann. Satanisch-verwirrend ist es, mit diesem Argument die Kirche in das ebenmäßige Mittelmaß zurückzustoßen, das der Herr am Kreuz überwunden hat. Seit Jesus den Weg hinauf nach Jerusalem gegangen ist, gibt es Menschen, die berufen sind zu ihrem ganz eigenen Schicksal. Aber dieses Schicksal ist immer auch stellvertretend für die ganze Kirche, für alle am Leib Christi.
  • Das Martyrium der Märtyrer ist Teil unseres Christ-Seins, auch wenn wir nicht gekreuzigt werden. Die Hoffnung jedes Christen betrifft uns, auch wenn wir selbst in Ängsten bangen. Die Ehe jedes Christen betrifft uns, auch wenn wir selbst nicht in diesem Bund leben.
    Ich kann die Angst des Petrus verstehen. Es geht einem ein Schaudern durch den Leib, wenn das konkrete Schicksal Jesu so immer auch mein Schicksal ist und wenn das konkrete Schicksal jedes Christen auch mein Schicksal ist. Natürlich wird das immer nur dort erlebbar, wo wir es in unserem Umfeld und in der Gemeinde tatsächlich sehen. Aber nicht umsonst hören wir immer auch Berichte über die Christen weltweit und beten für die ganze Kirche, vom Osten, wo die Sonne aufgeht bis zum Westen, wo sie niedergeht (III. Hochgebet).

Bleibt nur die Frage: Was ist meine Berufung - stellvertretend für die ganze Kirche? Wer sein Leben für sich zu behalten versucht, wird es verlieren.

Amen.