Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 23. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)

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6. September 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Fremdgegangen

  • Jesus geht fremd, wenn er in das Gebiet der Dekapolis kommt. Schon zuvor war er in Tyrus, wo kaum noch Israeliten wohnen. Jetzt kommt er in das Gebiet der "Zehn Städte", der Dekapolis, wo Israeliten und Heiden sich mischen. Das Markusevangelium betont diese Ortsangaben, denn sie sind von Bedeutung.
  • Wenn ich in der U-Bahn sitze, wird es oft passieren, dass um mich herum allerlei Sprachen höre und die meisten nicht verstehe. Nicht jeder findet das anregend. In der U-Bahn würde ich ohnehin nicht mit wildfremden ein Gespräch anfangen. Hier merke ich aber, ich könnte es oft auch nicht.
  • Fremde Sprache beginnt nicht dort, wo Fremdsprachen gesprochen werden. Wer versucht, ein wichtiges oder gar persönliches Gespräch zu führen, wird merken, wenn die anderen zwar die selbe Sprache sprechen, ihre Gedanken, Bilder und "Codes" mir aber fremd ist. Menschen ticken anders, wenn sie zu verschiedenen Altersgruppen, Freundeskreisen, oder sozialen Schichten gehören. Auch schon Musikstile, kulturelle oder ästhetische Vorlieben, verschiedene politische Vorstellungen und Wertmuster können sprachunfähig machen. Dekapolis, das Zehn-Städte-Land, macht schon im Namen solchen Pluralismus deutlich.

2. Der Taubstammler

  • Hier trifft Jesus auf einen Taubstummen. Wörtlich heißt es eigentlich, dass er taub war und nicht verständlich reden konnte. Er war ein Taubstammler. Niemcy, "Die nicht reden", nennen die slawischen Sprachen die Deutschen, weil sie nichts verstehen und daher nicht verständlich reden. Jesus heilt einen, dessen Ohren nichts hören, und der deswegen nur unverständlich sprechen kann. Immer schon haben Christen gemerkt, dass Jesus mit dieser Heilung ein Zeichen setzt für uns und unseren Glauben.
  • Jesus berührt den Taubstammler. Er berührt ihn mit dem Finger an den Ohren und an der Zunge. Dass er zu Letzterem sogar seinen Speichel mit einsetzt, mutet unappetitlich an; es ist aber ein in der Antike verstandenes Heilungszeichen: Jesus lässt ihn an seinem Leben und seiner Sprache teilhaben. Die Heilung geschieht nicht nur in dem Wort "Effata! Öffne Dich!". Jesus berührt den ganzen Menschen, damit er hören und verständlich sprechen kann.
  • Das aber geschieht nicht vor großem Publikum. "Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg", heißt es. Damit sich die Ohren öffnen und Kommunikation möglich wird, braucht es die ganz persönliche Zuwendung und die Intimität der Nähe zwischen Gott und Mensch. Dass dies dann voll Staunen überall weiter erzählt wird, steht nur auf den ersten Blick im Gegensatz dazu. In Wirklichkeit bedingen sich im Erlenen von Kommunikation und Sprache Intimität und Öffentlichkeit. Dass der Taubstammler in der Zuwendung hören und sprechen lernt, öffnet ihm die Welt.

3. Intim und öffentlich

  • Das Hören, das Jesus lehrt, ist die Aufmerksamkeit für Gott. Das Sprechen, das er möglich macht, hat seinen Raum in der Kommunikationsgemeinschaft der Kirche. Das Zeichen der Heilung des Taubstammlers aus dem Zehn-Städte-Land verweist auf das Hören und Sprechen von uns, der Kirche, die sich von Jesus berühren und heilen lässt. Die zehn Städte sind dabei ganz wichtig: Unser Glaube zielt nicht auf die Begrenztheit einer Kultur. Nicht im Eigenmief sollen wir glauben, sondern im Sprechen zwischen dem Volk Gottes und denen, die wir so leicht die Heiden nennen.
  • Das hat eine körperliche Dimension. Noch vor den Worten stehen die Gesten. Eltern, die ihr Kind vor dem Schlafengehen und bevor es das Haus verlässt mit einem Kreuzchen auf die Stirn treu segnen, helfen ihm, Gott zu hören und von Gottes Liebe zu sprechen. Die Liturgie - die Gestaltung des Gottesdienstes, ist eine solche körperliche Berührung. Auch der Raum in dem wir sind, ist körperlich. Deswegen wollen wir unsere Kirche und den Pfarrsaal renovieren, weil solche Äußerlichkeiten eben auch "körperliche Berührungen" sind, die Menschen einladen oder nicht, öffnen oder verschließen. Im Äußeren beginnt es, ob wir uns in einer überkommenen und vielfach verkommenen Kultur einrichten, oder ob wir Menschen berühren wollen, damit sich ihre Ohren (und Augen) auftun.
  • Wir leben in einer Dekapolis. Der Glaube beginnt hier nicht mit den großen Versammlungen, sondern im Vertrauen, abseits und "von der Menge weg". Unter Freunden, in der Familie, im geistlichen Gespräch kann Glaube wachsen. Wo Gott aber Menschen das Ohr öffnet und die Zunge befreit, wird es sichtbar und hörbar werden: Der Schöpfer und Retter der Welt "hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen". Amen.